Als ich bei Noes Appartement ankam setzte die Dämmerung bereits ein. Ich war nach meinem kurzen Abstecher zur Themse noch eine Weile durch London gelaufen, bis ich mich dazu entschied mit dem Bus zu Noe aufzubrechen.
Ich hüpfte von dem roten Gefährt und lief die paar Meter zu Noe zu Fuß. Er wartete bereits vor der Haustür und grinste.
»Hast du etwa hier draußen auf mich gewartet?«, rief ich schon von Weitem und lachte.
Noe hielt einen Beutel hoch. »Ich würde zwar gern 'Ja' sagen, aber ich muss wohl zugeben, dass ich gerade aus der Pizzeria komme«, antwortete er ebenfalls lachend und schloss mich in die Arme, als ich endlich vor ihm stand. Ich schlang meine Hände um seinen Nacken und presste meine Wange gegen seine muskulöse Brust. Bis zu diesem Moment war mir gar nicht bewusst gewesen wie sehr ich meinen besten Freund die letzten Tage vermisst hatte.
»Ich freue mich dich endlich wieder drücken zu können, ohne dir Bazillen auf den Hals zu hetzen«, witzelte Noe als er sich aus meiner Umklammerung löste. »Trotzdem sollten wir reingehen, ich habe nämlich wahnsinnigen Kohldampf!«
Ich lachte und ging hinter ihm die Treppe nach oben. Während er die Tür aufschloss nahm ich ihm die Tüte aus der Hand und hüpfte in die Wohnung, wo ich nachsah welche Pizza er gekauft hatte.
»Tomate, Mozzarella, Basilikum - wie immer«, erklärte Noe stolz, als ich meine Schachtel aus der Tüte zog.
»Du bist ein Engel!«, lobte ich und setzte mich schwungvoll auf seine Couch, wo ich den Fernseher anschaltete und begann mein erstes Stück Pizza zu mampfen. Es schmeckte großartig.
Wenige Sekunden später setzte Noe sich zu mir und sah mich mit einem missmutigen Blick an.
»'as is?«, fragte ich kauend, wandte mich jedoch wieder dem Fernseher zu, in dem gerade 'Doctor Who' lief. Ich sollte jedoch nicht erfahren was David Tennant zu Billie Piper sagen würde, denn dieser verstummte mitten im Satz, als der Ton ausgeschaltet wurde.
Ich drehte mich zu Noe, doch statt seines Gesichts hatte ich eine schwarze Tüte vor der Nase.
»Alles Gute zum Geburtstag, Ruby«, säuselte er und drückte mir die Tüte in die Hand.
»Woher weißt du-?«, setzte ich an, doch da dämmerte mir bereits, dass es nur eine Person gab, die Noe von meinem Geburtstag hätte erzählen sollen. »Susi ist echt 'ne miese beste Freundin«, murmelte ich säuerlich. Sie wusste ganz genau, dass ich meinen Geburtstag nicht mehr feierte. Es machte einfach keinen Spaß im Mittelpunkt zu stehen und mit Geschenken überhäuft zu werden. Das machte die Leute nur nervös. Außerdem war mein letzter glücklicher Geburtstag mit meinem Ex gewesen und daran wollte ich ja theoretisch nicht zurück denken. Meine Mutter wusste es, Terry wusste es und Sus wusste es auch: Ich hasste meinen Geburtstag und wollte auch nicht, dass andere mich beglückwünschten, geschweige denn Geschenke kauften.
»Das kann ich nicht annehmen, Noe«, sagte ich deshalb mit fester Stimme und wollte ihm den Beutel zurück geben, doch er ließ nicht locker. »Sieh doch wenigstens mal hinein, danach kannst du es mir immer noch zurück geben.«
Nach drei weiteren Versuchen ihm die Tüte wieder zu geben, stellte ich schließlich meine Bemühungen ein und sah in die Tüte. Sie enthielt ein kleines Kästchen und als ich darauf schaute, stockte mir der Atem.
»Swarovski«, flüsterte ich beeindruckt, holte das samtene Kästchen heraus und öffnete es. Als ich den Inhalt erblickte sog ich scharf die Luft ein. Darin lag ein schmales, silbernes Bettelarmband mit einem einzigen Anhänger daran, ein Buch, welches in einer Fassung aus Swarovski-Steinen lag.
Es war wunderschön.
Aber ich konnte das nicht annehmen.
Ich klappte das Kästchen wieder zu und sagte dies Noe.
»Ruby, ich schenke es dir, also nimm es gefälligst an, sonst muss ich dich dazu zwingen.«
»Na schön«, hauchte ich und öffnete das Kästchen wieder um mir das Armband anzulegen. Es passte perfekt und klimperte ein wenig sobald ich meinen Arm bewegte.
»Es ist wunderschön! Vielen Dank, Noe.« Ich beugte mich über das Sofa und schlang meine Arme um ihn. Er erwiderte die Umarmung und drückte mich an sich.
Ich wollte mich von ihm trennen, doch das ließ er nicht zu, sondern gewährte mir lediglich so viel Abstand um ihm in die Augen zu sehen. Unsere Gesichter waren nur wenige Zentimeter voneinander entfernt und ich musste unwillkürlich an unseren ersten und einzigen Kuss in der Karaokebar denken, der nun schon fast ein halbes Jahr zurück lag.
»Ruby«, flüsterte er und es klang wie ein Versprechen. Im nächsten Moment lagen auch schon seine Lippen auf meinen und ich war für einen Augenblick zu erstarrt um auch nur zu irgendeiner Bewegung fähig zu sein. Doch während mein Herz sich gegen den Kuss wehrte, schaltete mein Kopf auf Durchzug, was dazu führte, dass ich anfing meine Lippen zu bewegen und den Kuss zu erwidern.
Von Noe schien eine Anspannung abzufallen, er legte eine Hand an meinen Hals, mit der anderen umfasste er meine Taille und zog mich enger zu sich heran, bis ich rittlings auf seinem Schoß saß. Meine Hände waren irgendwo in seinen dunklen, weichen Locken vergraben, während seine Finger immer wieder meine Wirbelsäule auf und ab führen.
»Ruby«, keuchte er schließlich und löste sich so ruckartig von mir, dass es fast weh tat. Ich war ebenfalls außer Atem und sog den Sauerstoff gierig in mich ein, bis sich meine Lunge wieder beruhigt hatte. Erst als auch er wieder normal Luft bekam, fragte Noe: »Ich bin mir nicht sicher, ob dir bewusst ist was ich für dich empfinde, Ruby. Aber ich möchte gern, dass du weißt-«, weiter konnte er nicht Sprechen, da presste ich auch schon wieder meine Lippen auf seine und erstickte damit jede peinliche Liebeserklärung in Keim. Mir war sehr wohl bewusst, dass ich damit einen sehr großen Fehler machen und es danach bereuen würde, trotzen begann ich an Noes Shirt zu zupfen um ihn zu zwingen es auszuziehen. Da stockte er. »Bist du sicher?«, fragte mein Gegenüber und sah mich mit diesen hoffnungsvollen Augen an.
Ich nickte nur und er ließ mich gewähren.•
Als ich die Augen aufschlug, war es schon taghell und die Sonne schien mir durch die großen Balkontüren ins Gesicht. Ich schloss die Augen und ließ mich kurz von ihr wärmen, bis ich nicht länger still sein konnte und mich aufsetzte.
Ich fühlte mich schrecklich.
Neben mir regte Noe sich etwas, seufzte und drehte sich in meine Richtung. Er schlief noch immer tief und fest und wirkte so entspannt und glücklich.
Glücklich wegen mir, sagte mein Unterbewusstsein, dabei hast du nur mit ihm gespielt.
Ich kniff die Augen zusammen, in der Hoffnung die letzte Nacht als schöne Erinnerung zu durchleben, doch alles was ich empfand waren tiefe, schmerzvolle Schuldgefühle - bei denen ich mir nicht einmal sicher war wem sie golten - und Selbsthass.
Ich sah wieder zu Noe und nahm mir die Freiheit ihn ein paar Minuten zu beobachten. Wie sich seine Brust auf und ab senkte, auf der sich schwarze Linien entlang schlängelten, die auf der Schulter endeten und in sein Gang-Tattoo übergingen. Eine dunkelbraune Haarsträhne die über seinem Gesicht lag und sich bei jedem Ausatmen leicht wölbte. Die schwarzen, dichten Wimpern, deren Schatten sich auf seiner gebräunten Haut abzeichneten. Er war wunderschön und über die Maßen perfekt, aber wenn ich ihn ansah empfand ich nicht das, was ich hätte empfinden müssen. Ich spürte eine Verbundenheit zu ihm, aber keine Liebe. Nichts weiter als Freundschaft. Was ich ihm mit letzter Nacht angetan hatte würde ihm das Herz brechen, wenn er um meine Gefühle wüsste.
»Ruby, hör auf mich anzustarren«, murmelte Noe nun und öffnete ein Auge.
Ich versuchte zu lächeln, was jedoch nur spärlich gelang und beugte mich vor um ihm einen Kuss auf die Wange zu geben.
»Tut mir leid«, flüsterte ich. »Ich muss jetzt los, habe später eine Vorlesung.«
Damit schob ich mich aus dem Bett und begann meine Sachen zusammenzusuchen und mich anzuziehen.
»Sehen wir uns später?«, fragte Noe, der nun etwas wacher wurde.
»Mal sehen wie viel ich zu tun habe«, sagte ich schnell und war auch schon zur Wohnungstür hinaus. Das war wirklich die mieseste Lüge die ich seit Langem gebracht hatte und es war nicht fair. Aber ich hätte nicht noch länger in der Wohnung bleiben können, sondern musste an die frische Luft, also hastete ich die Treppen hinunter und war froh, das erste mal an diesem Morgen richtig durchatmen zu können. Ich rief mir ein Taxi und war eine Stunde später an unserem Haus. Meine Mom öffnete die Tür als ich gerade den Schlüssel ins Schloss stecken wollte und lächelte mich an.
»Guten Morgen Engelchen, warst du bei Sus?«, fragte sie und drückte mich kurz.
»Hmm«, machte ich, ohne zu wissen weshalb. Ich war nun 21 und es sollte mir egal sein, ob meine Mutter dachte ich hätte etwas mit Noe, sie mochte ihn schließlich genauso sehr wie Sus und Terry. Aber es war mir nicht egal.
»Schön«, säuselte sie und lief an mir vorbei die Treppen runter. Bevor sie ins Auto stieg, sagte sie noch: »Es ist ein Päkchen für dich abgegeben wurden, liegt in der Küche. Ich bin dann auf Arbeit, tschüss!« Damit stieg sie in den Wagen und brauste davon.
Ich ging nach drinnen und rief nach meiner Schwester, die jedoch nicht reagierte. Wahrscheinlich schlief sie noch tief und fest - ein Zustand um den ich sie beneidete - vielleicht war sie aber auch nur auf Arbeit oder bei Sus.
Ich schmiss meine Tasche auf die Treppe, zog meine Stiefel aus und ging in die Küche, da mich das Paket doch neugierig gemacht hatte. Es war wahrscheinlich nur ein Geburtstagsgeschenk meiner Großeltern die noch in Framlingham lebten oder meines Vaters der wahrscheinlich gerade an der Grenze zwischen Amerika und Mexiko stand und nach illegalen Einwanderern Ausschau hielt. Ich zuckte mit den Schultern, packte es aber trotzdem aus. Es war ein schweres Paket ohne Absender, also musste es jemand persönlich abgegeben haben. Ich schnitt die Verpackung auf und holte eine Kiste hervor, darauf lag ein Zettel.Rubyred.
Ich werde dir nicht sagen, dass es mir leid tut, denn das willst du nicht hören. Aber ich hoffe trotzdem, dass du mein Geschenk annimmst, ich habe es gesehen und musste an dich denken.
Happy Birthday
Ed xIch zitterte und musste drei mal von vorne beginnen bevor ich endlich verstand von wem die Nachricht war. Den Tränen nahe öffnete ich die kleine Box. Darin lag, in graues Papier gewickelt, ein Buch mit braunem Ledereinband und wunderschönen Verzierungen bemalt. Der Titel war bereits verblasst doch ich wusste genau was dort stand: Pride and Prejudice.
Stolz und Vorurteil - mein Lieblingsbuch. Ich öffnete es und blätterte zum Datum der Veröffentlichung.
Erstausgabe
Ich schlug das Buch zu, wobei es eine kleine Staubwolke aufwirbelte, presste es an meine Brust und ließ mich auf die kühlen Fliesen des Küchenbodens sinken.
Er hatte mir eine Erstausgabe meines Lieblingsbuches besorgt, von der er wusste wie sehr ich sie, schon seit ich Stolz und Vorurteil das erste Mal gelesen hatte, haben wollte. Seit ich 13 war hatte ich nach einer Erstausgabe des Buches gesucht, jedoch nie eine gefunden und nun schickte ausgerechnet Ed das Einzige was ich je haben wollte und mir jedes Jahr zum Geburtstag gewünscht hatte. Ausgerechnet Ed der mich abserviert hatte. Ausgerechnet Ed den ich vergessen wollte. Ausgerechnet Ed den ich immer noch bedingungslos liebte.
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Everything Has Changed || Ed Sheeran ✔️
Fanfiction»Ich hörte ihn. Ich hörte ihn jeden Tag. Ich schaltete das Radio ein und da war er. Ich schaltete den Fernseher ein und da war er. Ich konnte nicht einmal ins Ausland fahren, ohne ihn zu hören.« Wenn man abserviert wird will man sich eigentlich von...