Things were all good yesterday

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Wenn man nur zwei Beziehungen im Leben gehabt hat, ist die Statistik für's Sitzen-Gelassen-Werden ziemlich eintönig. Entweder man wurde sitzen gelassen oder man ließ sitzen. In meinem Fall war sie sehr eintönig. Ich wurde zweimal sitzen gelassen - beide Male total unerwartet, beide Male völlig unnötig, beide Male unglaublich verletzend.

Wir lagen auf dem Sofa in Noes Wohnung, ich hatte meinen Kopf auf seine Beine gebettet und wir sahen Shrek 2.
»Was ich nicht verstehe, wenn sie doch beide hübsch bleiben könnten - wieso bleiben sie es nicht? Stattdessen werden sie wieder zu diesen schrecklichen Ogern und ziehen in den Sumpf. Ist doch ungemütlich dort.«
Shrek gehörte zu Noes Lieblingsfilmen, weshalb er es hasste wenn ich blöde Fragen stellte und ihm damit den Spaß nahm.
»Weil sie sich lieben und es da doch egal ist wie sie aussehen und wo sie wohnen. Hauptsache ist doch, sie sind zusammen. Oder siehst du das anders?«
Er sah mich mit einer hochgezogenen Augenbraue an, was den Neid in mir erweckte. Wieso konnte jeder Mensch eine Augenbraue hochziehen außer mir?
Ich zuckte die Schultern und gab mich gespielt gleichgültig, denn er wusste wie ich mich jedes Mal darüber aufregte. »Wenn du nicht so gut aussehen würdest hätte ich mich nie auf ein zweites Date einge- Au!«, rief plötzlich, denn er gab mir einen Klaps auf den Oberschenkel.
»Geschieht dir recht, oberflächliches Stück!«, rechtfertigte er sich mit übertrieben verkniffener Miene.
»Ach ja?«
Ich begann ihn zu kitzeln, worauf er sich krümmte vor Lachen. Ich hörte erst auf als er die Arme hob und feierlich, aber immer noch lachend, verkündete: »Schön, ich gebe zu, dass ich dich nur wegen deines Aussehens nach einem zweiten Date gefragt habe. Wärst du hässlich hätte ich dich damals im Wembley Stadion stehen gelassen.«
Diesmal war ich es, die ihm einen Klaps auf den Arm gab.
Er lachte, beugte sich zu mir hinunter und flüsterte: »Ich liebe dich.«
Diese Momente waren für mich die schönsten und ich fühlte mich so wohl, dass ich Ed vollkommen vergaß.
Aber diese Momente waren selten. Die meiste Zeit quälte ich mich mit Sorgen was ich falsch gemacht hatte. Ich hatte Albträume, plötzliche Zitterattacken und versank in meinen Gedanken, sodass ich nichts mehr um mich herum wahrnahm. Noe erzählte ich davon natürlich nichts, denn ich wusste nicht ob er Verständnis zeigen oder mich vor den Kopf stoßen würde, weil ich nach fast 5 Jahren immer noch an Ed hing. Es ging mir selbst auf die Nerven und irgendwann erzählte ich Sus und Terry davon. Sie machten sich Sorgen um mich und ihnen war es unverständlich, wie ich nach dieser langen Zeit meinem Ex hinterherging, doch sie halfen mir indem sie mich zu einer Psychiaterin schickten.
Ich besuchte Dr. Finkle einmal die Woche und mittlerweile war es mir auch nicht mehr peinlich, dabei gesehen zu werden wie ich das Gebäude betrat.
Als ich das erste Mal in ihre Praxis kam und mich ins Wartezimmer setzte, habe ich mich sehr unbehaglich gefühlt, denn ich dachte um mich herum würden nur Verrückte sitzen, die irgendwelche Zwangsneurosen hatten oder Dinge sahen, die andere eben nicht sahen. Doch die Leute sahen ganz normal aus und ich setzte mich neben eine Frau mittleren Alters. Sie lächelte mich traurig an, begrüßte mich aber freundlich.
»Mein Mann ist vor drei Jahren an Krebs gestorben«, erklärte sie, als ich sie fragte weshalb sie hier war. »Und mein Sohn hat sich letztes Jahr erhängt als er dieselbe Diagnose bekam. Ich habe versucht darüber hinwegzukommen und mein Leben fortzusetzen. Aber ich habe das Gefühl, sie wären immer noch bei mir und ich sehe ihre Gesichter in jedem Mann der mir begegnet. Ich würde einfach gern darüber hinwegkommen und mich vielleicht noch einmal verlieben.«
Ihre Geschichte ergriff mich zutiefst und plötzlich kamen mir meine Probleme so banal vor. Ich wäre beinahe aufgestanden und gegangen, da wurde mein Name aufgerufen. Die Frau neben mir lächelte mich aufmunternd an und ich erhob mich seufzend und ging in das Sprechzimmer von Dr. Finkle.
Es sah aus wie man es aus dem Fernsehen kannte: Ein schwerer Mahagoni-Tisch stand vor einem riesigen Bücherregal, aus dem selben Holz, an der rechten Seite des Raums. Auf der linken Seite stand ein Kunstledersofa mit einem gläsernen Tisch davor, auf dem eine leere Obstschale stand, und einem braunen Ledersessel daneben. Die Wand gegenüber der Tür wurde fast komplett von einem riesigen Fenster eingenommen, das einen wunderschönen Blick auf das herbstliche London gab.
Hinter dem Schreibtisch saß eine junge Frau mit blonden Haaren, die sie zu einem Dutt gesteckt hatte, und einer kleinen Brille auf der geraden Nase. Sie wirkte auf mich viel zu jung um schon einen Doktortitel zu besitzen. Sie sah nicht viel älter aus als ich.
Als ich das Zimmer betrat, erhob sie sich von ihrem Drehstuhl, kam lächelnd auf mich zu und reichte mir die Hand. »Hallo Ms Kingsley, freut mich sie zu sehen.«
»Ich wünschte ich könnte dasselbe sagen«, murmelte ich, erwiderte aber ihren Händedruck. Sie wieß auf die Couch und ich ließ mich auf dem Kunstleder nieder. Sie setzte sich in den Sessel und erwiderte lachend: »Ja, das denken wohl die meisten meiner Patienten. Aber es wird sich lohnen, ich verspreche es.«
Bei dem Wort ›Patienten‹ verzog ich den Mund. Das klang als wäre ich die Testperson bei irgendeiner primitiven Forschung über Schmerztabletten oder so.
»Nun gut«, sagte sie seufzend und ihr Lächeln verblasste ein wenig, verschwand aber nicht ganz. Sie schien einer der Menschen zu sein die immer ein Lächeln auf den Lippen trugen. Das lag wahrscheinlich an ihrem Job. »Was bringt dich zu mir, Ruby - darf ich Ruby sagen?«
Ich nickte. »Meine Schwester und meine beste Freundin rieten mir sie zu besuchen. Vor fast fünf Jahren hat sich mein Freund nach knapp zwei Jahren Beziehung von mir getrennt. Obwohl ich mich wieder neu verliebt habe und mein neuer Freund der netteste Mensch ist den man sich vorstellen kann, scheine ich noch nicht über Edward hinweg zu sein. Ich habe Albträume, Zitterattacken und dämmere manchmal komplett weg. Ich denke nicht, dass das normal ist.«
Sie nickte und kritzelte etwas in ihr Notizbuch.
»Wie alt warst du genau, als ihr zusammen wart?«, fragte sie dann und schob sich den Bleistift zwischen die Zähne, eine Geste die sie noch jünger werden ließ als sie wahrscheinlich sowieso schon war.
»14 als wir zusammengekommen sind und 16 als er sich von mir getrennt hat.«
Wieder Notizen.
»Hast du während eurer Beziehung eine schlimme Phase durchgemacht? Ist jemand in deinem Familienkreis gestorben oder gab es andere Vorfälle?«
Ich nickte nachdenklich. »Mein Vater hat uns verlassen, kurz bevor ich mit Ed zusammengekommen bin, aber das hat mich nichts so schwer getroffen - unser Verhältnis war nicht das Beste.«
Notizen.
»Viel schlimmer war der Tod meiner Großmutter«, fuhr ich fort und bei der Erinnerung lief mir ein eiskalter Schauer über den Rücken.
»Hattest du ein enges Verhältnis zu deiner Großmutter?«
Ich nickte wieder. »Ich besuchte sie mindestens einmal die Woche und verbrachte eine Menge Zeit mit ihr. Als sie starb brach eine Welt für mich zusammen und Ed hat es geschafft mich aus diesem Loch herauszuholen und wieder aufzubauen.«
Nachdem Dr. Finkle wieder etwas in ihr Buch notiert hatte, nahm sie ihre Brille von der Nase und sah mich nachdenklich an. »Er hat eine wichtige Rolle in deinem Leben übernommen. Durch den Verlust deines Vaters kann es sein, dass du an einem schwach ausgeprägten Vaterkomplex leidest und dein Freund die Lücke füllte, als männliche Ersatzperson. Dazu kam der Tod deiner Großmutter wodurch du wieder von einer geliebten Person getrennt wurdest und erneut jemanden brauchtest, der dich genug liebt und den du genug liebst um den Platz einzunehmen. Als er dich schließlich auch noch verließ, war es als würden dich drei geliebte Personen auf einmal und erneut verlassen: Edward selbst, dein Vater und deine Großmutter. Und jedes Mal wenn du an deinen Exfreund zurück denkst, projizierst du auf ihn diese Verluste die du erlitten hast«, erklärte sie und es schien mir einleuchtend. Es könnte bedeuten, dass ich Ed in Wahrheit vielleicht gar nicht mehr liebte.
»An dieser Situation lässt sich arbeiten und ich kann dir helfen dich wieder normal zu fühlen, aber eine Frage habe ich, sonst macht die ganze Therapie keinen Sinn.«
Ich setzte mich aufrecht hin und beäugte sie neugierig - gespannt was sie fragen würde.
»Bist du bereit deinen Exfreund ein für allemal hinter dir zu lassen?«
Darüber musste ich nicht lange nachdenken, denn meine Antwort lautete sofort: »Ja.«

Everything Has Changed || Ed Sheeran ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt