Kapitel 12

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Rita (irgendwo in Gefangenschaft)

Das unaufhörlich Pochen ihres Kopfes reißt Rita schließlich aus ihrem bewusstlosen Zustand. Stöhnend richtet sie sich auf und hält sich den Kopf. Sie befindet sich in einem dunklen Raum, der ständig hin und her schwingt. Moment mal, seit wann schaukeln Räume hin und her? Befindet sie sich auf einem Schiff? So ein Unsinn. Niemand entführt eine so große Gruppe von Kindern ohne gesehen zu werden, oder? Sie massiert sich ihre Schläfen um die stechenden Kopfschmerzen zu vertreiben
„Hilft nichts, sie haben uns irgendein Serum gegeben womit wir nicht ganz richtig im Kopf sind.", sagt Jame's Schwester. Sie sitzt nicht unweit von ihr entfernt.
„Wo sind wir?", fragt sie heiser. Das Mädchen zuckt mit den Schultern. „Dem Schaukeln nach zu urteilen, befinden wir uns womöglich auf einem Schiff.", sagt es. Rita sieht sich um.
„Das denke ich allerdings auch."
„Kommen wir hier wieder raus?", fragt ein vermutlich fünf Jahre altes Mädchen. Rita kneift die Augen zusammen um besser in der Dunkelheit zu sehen. Dann sieht sie die Fünf jährige an und sagt zu ihr mit einem schlechten Geschmack im Mund: „Ja wir kommen hier wieder raus. Das verspreche ich dir."
„Und wenn wir es nicht schaffen?", fragt ein Junge.
„Wir müssen es. Ich weiß, dass wir es schaffen können. Aber bis dahin werden wir noch durchhalten müssen" spricht sie den Kindern und sich Mut zu. Eine Tür wird geöffnet und ein schmaler Lichtstreifen erhellt den Raum. Sie befinden sich tatsächlich auf einem Schiff. Mindestens fünf, wenn nicht sogar noch mehr, Kinder befinden in einer Zelle. Fast alle Zellen sind von den Verwaisten besetzt. Schritte nähern sich auf der knarzenden Treppe, die zu den Zellen führt. Ein uniformierter Mann bleibt vor Ritas Zelle stehen und betrachtet sie abschätzig.
„Sieh einer mal an, die Älteste ist endlich wach.", sagt er höhnisch. Rita steht mühsam auf, sie fühlt sich wie von einer Kutsche überfahren, und fällt sofort wieder hin, weil ihre Beine ihren Dienst versagen. Der Mann lacht nur auf. Dabei bekommt Rita einen ausgiebigen Blick auf seine faulen Zähne. Sie muss sich würgend wegdrehen.
„Wird dir schlecht, Prinzessin?", fragt er. Dabei merkt jeder sofort, dass es ihn aber eigentlich nicht interessiert.
„Was wollt ihr?", fragt sie.
„Das wirst du noch früh genug erfahren, aber jetzt kommst du mit." Er schließt eine Zelle auf und zerrt das fünf Jahre alte Mädchen von gerade an ihrem Haar hinter sich her.
„Lass sie sofort los, oder...", versucht Rita ihn davon abzuhalten. Doch er sieht sie nur abschätzig an.
„Sonst was?", fragt er. Doch bevor Rita noch etwas erwidern kann ist er auch schon mit dem Mädchen verschwunden.
„An deiner Stelle würde ich mich nicht mit ihm anlegen.", sagt ein Junge. Er sitzt ganz alleine in einer Zelle und hat eine verdreckte und zerlumpte Kleidung an. Selbst sein Gesicht ist völlig schmutzig. Seine Haare sind total verfilzt und ungewaschen. Rita versucht sein Alter einzuschätzen. Was aber nicht so leicht ist, seine Kleidung und auch sein restliches Erscheinungsbild führen dazu, dass man sein Alter schlecht einschätzen kann. Rita schätzt ihn höchstens auf neun Jahre.

Das Zimmer, in welches das kleine Mädchen gestoßen wird, liegt im Dunklen. Gelegentlich kommen Sonnenstrahlen durch das große Fenster hinter dem überdimensionalen Schreibtisch. Der Stuhl, der dazwischen steht, ist mit der Rückenlehne zu dem Mädchen gedreht. Somit kann sie nicht erkennen, ob dort jemand sitzt oder nicht. Jedenfalls wird sie von ihrem unangenehmen Zeitgenossen alleine gelassen. Sie will gerade etwas sagen als eine männliche Stimme vom Fenster her ertönt.
„Komm näher mein Kind. Du brauchst keine Angst zu haben.", sagt die Stimme. Das Mädchen setzt unsicher einen Schritt vor den anderen.
„Was willst du von mir?", fragt sie mit zittriger Stimme.
„Nur ein paar Antworten. Wie heißt du denn?", fragt er. Endlich dreht er sich zu ihr um. Es ist ein recht junger Mann. Vielleicht so alt wie Rita. Er trägt ebenfalls eine Schiffsuniform und einen Kapitänshut, den er absetzt und über seinen Stuhl hängt. Seine schwarzen plattgedrückten Locken kringeln sich um sein rundes Gesicht. Am rechten Kleinfinger trägt er einen goldenen Siegelring und sowohl an dem rechten als auch an dem linken Ringfinger einen Ehering.
„Wie heißt du?", wiederholt er seine Frage. Irgendwie scheint er nett zu sein.
„Ich habe keinen Namen."
„Na, welche Menschen geben ihren Kindern denn keine Namen?"
„Ich bin im Waisenhaus ausgewachsen und werde nur als das Mädchen bezeichnet", antwortet sie. Er betrachtet sie stumm.
„Das Mädchen, das gefällt mir.", sagt er nachdenklich. Er setzt sich hin und bedeutet ihr sich ihm gegenüber hinzusetzen. Zögerlich setzt sie sich hin.
„Hast du etwa die Gerüchte gehört?", beginnt er das Gespräch. Sei schüttelt den Kopf. Gedankenverloren dreht er an seinem Siegelring.
„Dann weißt du also nicht, dass die Leute munkeln, dass die ehemalige englische Königin ihre eigene Enkeltochter genommen hat und mit ihr untergetaucht ist? Das sie ein normales Leben führen so wie wir?", fragt er nach. Das Mädchen sieht ihn schweigend an.
„Du denkst ja vielleicht, dass ich etwas böses im Sinn führe, aber so ist das nicht. Glaube mir. Bitte!", sagt er freundlich. Immer noch bekommt er nur schweigende Blicke. Er steht auf und geht zum Fenster.
„Die Sterne, die du gerade nicht sehen kannst, sind durchaus mehr als nur leuchtende Objekte am Himmelszelt. Sie leuchten uns in der Dunkelheit den Weg. Aber sie können weitaus mehr als nur leuchten. Sie hören uns zu, weißt du das? Sie strahlen für uns und bewahren unsere Träume für uns auf!"
„Es heißt, dass die Sterne als allererstes existiert haben", erwidert das Mädchen flüsternd. Der Mann dreht sich zu ihr um.
„So erzählen es sich die Menschen, wohl wahr. Aber was stimmt wirklich davon? Das sollte man sich unbedingt fragen."
„Ich glaube nicht an Märchen.", sagt das Mädchen leise. Der Kapitän betrachtet sie eindringlich. Plötzlich scheint sie nicht mehr wie fünf, sondern schon viel erwachsender. Sie ist das Abbild eines jenes Kindes, was viel früh seiner Familie entrissen wurde und vereinsamt ist. Dieses Mädchen hat mehr von der Welt gesehen als die meisten Erwachsenen. Vermutlich weiß sie auch mehr als sie zugibt. Somit will sie sich vor anderen schützen. Indem sie sich einfach zurückzieht und unschuldig tut um nicht verletzt zu werden.
„Was würdest du sagen wenn ich dir anbiete hier zu bleiben? Ohne Fesseln natürlich!"
„Nein, danke. Ich verzichte. Lieber will ich gefangen gehalten werden werden und bei meinen Freunden sein als auch nur eine Sekunde für dich und deine Leute zu arbeiten.", faucht sie. Jetzt hat sie nichts mehr von einer Fünfjährigen an sich. Eher wirkt sie wie fünfzehn.
„Ist das dein letztes Wort?", hakt er. Denn sie ist schon aufgestanden und hat bereits den Raum zu der Tür durchquert. Die Hand in der Luft über der Klinke schwebend hält sie inne. Ganz langsam dreht sie sich zu ihm um. „Was soll ich an einem Ort wo ich nicht erwünscht bin?"
„Für dein Alter bist du deutlich zu weise."
„Wissen kommt nicht vom Alter her. Sondern von den Erlebnissen" erwidert es noch bevor es von dem unangenehmen Zeitgenossen zurück in die Zelle gebracht wird. Den Weg über schweigen sie.

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