Rahel und Lucy (London)
Niemand ist in den Fluren unterwegs und dennoch scheint es Rahel so, als wird sie beobachtet. Das Personal besteht immer noch aus den gleichen Leuten, die auch damals da waren. Ihre Enkeltochter Lucy sah ziemlich überrascht aus, als sie Rahel kennengelernt hat. Hat Aurelia den Anderen denn nichts gesagt? Diese Frage stellt sie sich nicht zum ersten Mal. Anscheinend hatte ihre Tochter Angst wie die Anderen reagieren würden wenn sie erfahren würden, dass sie eigentlich eine andere Kronprinzessin haben. Das schlimmste aber ist, dass niemand Rahel vermisst hat. Vermutlich wussten die Angestellten nicht was damals wirklich passiert ist. Gerade will Rahel in ihr altes Gemach zurückkehren als sie etwas aus der Küche hört. Leise geht sie die Treppen herunter und lauscht an der Tür. Zwei Frauenstimmen unterhalten sich.
„...am Besten fand ich aber, wie du immer danach ein unschuldiges Gesicht gemacht hast." Die Stimme hört sich irgendwie alt an.
„Natürlich war es lustig, sonst hätte ich es wohl nicht gemacht.", sagt die zweite jüngere Stimme. Daraufhin lachen beide. Rahel betritt die Küche und bleibt entgeistert stehen. Vor ihr stehen, ebenfalls erschrocken. Lucy und die Gouvernante Anna.
„Grandma, ich habe dich gar nicht kommen gehört, wenn..."
„Was ist hier los?", fragt Rahel nur.
„Die Prinzessin hat das Abendessen verpasst. Da bin ich mit ihr in die Küche gekommen und habe dafür gesorgt, dass sie nicht vom Fleisch fällt."
„Kuchen? Mitten in der Nacht?", fragt die ehemalige Königin. Und beide sehen beschämt zu Boden. Lächelnd geht sie zu den Schubladen und holt sich ebenfalls eine Gabel daraus. Dann kostet sie auch von dem Stück.
„Wer hat diesen Kuchen gebacken?", fragt Rahel. Beschämt hebt Lucy eine Hand. „Ich war es. Ich hatte Langeweile. Da habe ich einen Kuchen gebacken. Es tut mir leid..."
„Was tut dir leid? Der Kuchen ist himmlisch."
„Wirklich?" Lucys Augen leuchten plötzlich. Rahel nickt. „Und wie. Du könntest bei so etwas ruhig beim internationalen Wettbewerb teilnehmen."
„Es gibt doch keinen internationalen Wettbewerb für Kuchen. Und selbst wenn doch kann ich dennoch nicht teil nehmen. Denn ich bin die Kronprinzessin und werde sofort erkannt werden, wenn ich nicht vorsichtig bin.", sagt sie resigniert. Die Königin lächelt sanft.
„Und wenn du für einen Tag normal sein könntest?"
„Dann würde ich vermutlich die Freiheit genießen."
„Natürlich würdest du das.", sagt Anna. Lucy sieht sie an. „Wie meinst du das?"
„Jedes Mädchen hat seine Träume, aber du musst auf deine verzichten. Nur weil du vom adligen Geschlecht bist."
„Vielleicht!"
„Ich meinte es gerade übrigens wirklich ernst", mischt sich die Königin ein.
„Und wie soll das Klappen? Soll ich mich verkleiden als Bauernmädchen und durch die Straßen laufen?" Sowohl Rahel als auch Anna nicken als Antwort. Lucy sieht die beiden zweifelnd an.
„Ich kann mich doch schlecht meinen Pflichten entziehen. Das geht doch nicht", erwidert Lucy vernünftig. Rahel sieht ihre Enkelin an.
„Und wenn du einen kleinen Ausflug machst?"
„Einen Ausflug? Aber wie soll ich mich dann verkleiden?"
„Mach dir mal keine Sorgen. Schatz!", sagt sie lächelnd.Am nächsten Morgen sitzen alle beisammen am Frühstückstisch. Jeder isst schweigend sein Essen.
„Lucy und ich wollen heute einen Ausflug machen.", durchbricht Rahels Stimme die Stille.
„Wohin soll es denn gehen?", fragt Philipp.
„Ich möchte gerne meiner Enkeltochter meine Lieblingsorte zeigen.", erwidert sie nur.
„Und wann seid ihr wieder da?", mischt sich jetzt auch Aurelia ein.
„Ziemlich spät am Abend. Ich möchte schließlich auch mal etwas Zeit mit Lucy verbringen. Sie näher kennenlernen und so."
„Und was mit unserem Training?", wendet sich der König an Lucy.
„Wärst du mir böse, wenn wir es heute mal ausfallen lassen?", fragt sie vorsichtig. Der König will gerade zu einer Antwort ansetzen, da legt seine Gemahlin ihm eine Hand auf den Arm. Stumm sieht sie ihn an.
„Lass sie doch.", sagt sie leise. Stöhnend gibt der König nach. „Na gut, du darfst. Aber unter einer Bedingung: ich möchte, dass du dafür morgen das Doppelte machst."
„Einverstanden!" Kaum ist das Essen beendet, stehen Lucy und Rahel auf und ziehen sich um. Vor der Tür wartet schon eine Kutsche. Schnell stiegen die Beiden ein und die Kutsche fährt in die Stadt. An der Stadtgrenze steigen die beiden jedoch aus und gehen das letzte Stück zu Fuß. Vor einer alten Schneiderei bleiben sie schließlich stehen. Lucy öffnet die Tür und lässt ihrer Großmutter den Vortritt. Beim Öffnen der Tür bimmelt eine kleine Glocke über dem Türrahmen.
„Ein Moment bitte. Ich komme sofort!", ruft eine weibliche Stimme hinter einem Vorhang. Die beiden sehen sich um und streichen über die unterschiedlichsten Stoffe. Der Vorhang klimpert leise, als eine Frau nach vorne kommt.
„Wie kann ich Ihnen helfen?", fragt sie freundlich. Rahel kommt auf sie zu und setzt ihre Kapuze ab. Der Frau stockt der Atmen.
„Was kann für E...", beginnt sie. Doch Rahel legt nur einen Finger vor den Mund. Automatisch schweigt die Frau.
„Meine Enkelin möchte gerne ein Bauernmädchen-Kleid haben. Habt ihr welche?"
„Gestattet mir eine Frage, wofür braucht denn die Prinzessin ein Bauernkleid?", bei den letzten Worten senkt sie ihre Stimme.
„Weil ich zu einem Maskenball eingeladen bin. Da wollte ich gerne mal etwas unauffällig sein.", erklärt Lucy. Die Frau holt ein Messband hervor und misst Lucys Figur. Dann eilt sie davon und kommt keine zwei Minuten später mit zwei Modellen wieder.Zwei Stunden später mischen sich Lucy und Rahel in angemessener Kleidung unter das Volk. Lucy trägt ein himmelblaues Kleid mit Blumenmuster und einer dazu passenden Haube auf dem Kopf. Links und rechts kommen jeweils einzelne Locken raus. Rahel dagegen trägt ein weinrotes Kleid. Sie hat ihre Haare einfach nur etwas aus dem Gesicht genommen indem sie sie zu einem Knoten gebunden hat. Beide tragen jedoch eine Schürze über dem Kleid und haben ihren königlichen Schmuck abgelegt. Alles liegt gut versteckt in einer Kammer der Schneiderei. Die Schneiderin hat geschworen, dass sie gut darauf aufpassen wird. Sie fand die Idee gut, dass sich die beiden anonym unters Volk mischen wollen. Weshalb sie auch versprochen hat, dass sie die Kleider für die beiden aufbewahren wird. Lucy und Rahel quetschen sich durch die anderen Menschen. Einige der Marktverkäufer bieten lautstark ihre Ware an. Von Nahrung bis Kleidung ist alles vorhanden. Die Marktstände sind im Zentrum rund um den Springbrunnen aufgestellt. Begeistert dreht Lucy sich um ihre eigene Achse. Sie kommt kaum aus dem Staunen heraus.
„Es ist alles so schön!", ruft sie erfreut.
„Wenn dir schon der Markt so gut gefällt, dass solltest du mal meinen Lieblingsort sehen.", sagt Rahel erfreut. Sie freut sich, dass ihre Enkelin sich so an dem Dorf erfreut. Gemeinsam schlendern sie über den Markt. Einige Mädchen in Lucys Alter eilen an ihnen vorbei. Sie haben die Hände voll mit handgemachten Sachen. Dabei unterhalten sie sich belustigt. Beinahe wäre Lucy ihnen hinterher gegangen, wenn Rahel sie nicht zurück gehalten hätte. Mahnend sieht sie Lucy an.
„Du willst doch nicht auffallen, oder?", fragt sie. Ihre Enkelin nickt betroffen.
„Du brauchst dich doch nicht schlecht fühlen. Es ist alles in Ordnung."
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A royal Story Das Leben einer Prinzessin
Historical FictionPhilomena, welches achtzehn Jahre lang als normales Mädchen aufwächst, erlebt an ihrem 18. Geburtstag eine Überraschung. Plötzlich brennt ihr Herrenhaus lichterloh und sie kann ihre Großmutter nicht mehr finden. Sie begibt sich auf eine Reise voller...