Zweiundzwanzig - LISA

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Genervt lege ich nun schon zum siebten Mal in folge auf, nach dem ich erfolglos versucht habe, Lisas Eltern zu erreichen. Ist das ein Zeichen? Ein Zeichen, dass ich mir die Entscheidung nochmal überlegen sollte?

„Lisa!", schreit mir Anna ins Ohr und ich zucke zusammen.

„Meine Güte, du bringst mir noch ein Gehörschaden!", äußere ich mich und schaue sie schräg von der Seite an.

Anna rollt ihre Augen. „Den hast du bereits, denn ich rufe schon die ganze Zeit deinen Namen durch den Laden. Die Leute denken bestimmt, dass ich verrückt bin." Das dachten sie wahrscheinlich schon vorher. „Was ist los mit dir? Du bist so abwesend im Moment."

Regungslos starre ich auf mein Handydisplay, welches immer noch den Kontakt von der Firma aus Washington anzeigt. Natürlich fällt Annas Blick ebenfalls darauf. „Warte Mal... Warum hast du versucht, Sarahs Eltern anzurufen? In Washington? Auf ihre offizielle Nummer der Firma?" Mit großen Augen sieht sie mich an. Verlegen lege ich meine linke Hand in den Nacken, während ich mit der anderen mein Handy in meine Hosentasche stecke.

Ich atme tief durch. „Sie haben mir ein Angebot gemacht, weshalb ich mit ihnen telefonieren muss."

„Ein Angebot? Was für ein Angebot? Gehst du nach Washington? Du kannst mich doch nicht alleine lassen! Erst geht Sarah, dann du... Aber, was ist mit Steven? Schafft ihr eine Fernbeziehung? Oh mein Gott, das ist so ein großer Schrit. Ich-"

„Anna! Komm' runter!", versuche ich meine Freundin zu beruhigen und greife nach ihren Händen, die sie eben noch wie wild durch die Luft gewedelt hat. „Ich habe Sarahs Eltern versucht zu erreichen, weil ich ihnen absagen wollte."
Geschockt sieht mich Anna an und ich kann sehen, wie es in ihrem Gehirn rattert. „Wie jetzt? Lisa, das was ich eben gesagt habe war halb zum spaß."
Grinsend schüttele ich den Kopf.

„Ich habe die Entscheidung doch schon vor deiner Rede getroffen, du Dummie."

„Aber, warum sagst du nicht ja? War es nicht immer dein Traum nach Washington zu gehen?"
Im Gedanken reise ich kurz zurück an die ganzen Seminare und Fortbildungen, die ich in Washington hatte. Dazu kommen noch private Ausflüge dort hin, wo ich allerdings trotzdem immer einen Abstecher zur großen Firma gemacht habe. Ich komme wieder zurück in die Realität und fasse es für Anna kurz. „Ich mag mein Leben hier gerade sehr und ich möchte das, was ich hier habe, nicht aufs Spiel setzen. Washington kann warten. Das hier nicht."

Annas Pupillen weiten sich und ihr Mund öffnet sich ein Spalt, doch sie spricht kein Wort.

„Anna?", frage ich verunsichert.

„Du hast ja richtig Gefühle für Steven! Du bist volle Kanne verknallt in ihn!"

„Psht!", zische ich und halte meinen Zeigefinger auf ihren Mund, obwohl Steven nicht mal ansatzweise hier in der Nähe ist, und die Menschen um uns herum, in dem Klamottenladen, viel zu sehr mit sich beschäftigt sind. Ich kenne diese Leute hier nicht einmal. Wahrscheinlich will ich mich selber vor dem bewahren, was Anna gerade offenbart hat. „Wie kommst du denn auf den Blödsinn?", versuche ich es locker abzuspielen, entferne dem Finger von ihrem Mund und überkreuze meine Arme vor der Brust.

Meine Mitbewohnerin zieht eine Augenbraue nach oben. „Du bist so eine schlechte Leugnerin. Gib es doch einfach zu!"

„Wieso soll ich etwas zugeben, was gar nicht stimmt?", krächze ich in einer hohen Stimmenlage. Schnell räuspere ich mich. „Ist mir jetzt auch egal. Geh' dich jetzt mal umziehen." Anna starrt mich weiterhin an mit einem breiten Grinsen im Gesicht. „Los, da ist eine freie Umkleidekabine."

Ich drehe sie in die Richtung und gebe ihr einen Schubs, damit sie endlich verschwindet. Gott sei dank tut sie dies auch. Ich atme tief durch, wobei mir auffällt, dass ich bei der Konversation ziemlich angespannt war, aber warum? Sie weiß doch gar nicht, was ich für Steven empfinde. Im Moment mag ich es halt sehr, ihn um mich herum zu haben. Nur gerade ist er nicht bei mir.

Die MitbewohnerkatastropheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt