❥ Chapter 29

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Lyas POV

"Jetzt haben wir uns zwei Wochen nicht gesehen. Wie erging es dir denn in dieser Zeit?", fragt Mrs Jensen mich an unserem üblichen Donnerstagnachmittagtermin.

Nervös spiele ich mit dem linken Ärmel meines Hoodies. So langsam geht der Sommer nun endgültig dem Ende zu und die Tage werden bereits kürzer und kühler.

In den letzten Nächten hatte ich wieder Albträume, aber mittlerweile empfinde ich diese kaum noch als etwas besonderes, sodass ich darüber berichten müsste. Es ist doch sowieso immer das Gleiche. Also zucke ich nur mit den Schultern und senke meinen Blick auf meine Hände.

Mrs Jensen legt ihren Block und Stift auf den Tisch zwischen uns und beugt sich ein Stück vor. Sie verschränkt ihre Hände miteinander und sieht mich an. Auch wenn ich das nur aus dem Augenwinkel beobachten kann, macht es mich noch nervöser, sodass ich schließlich den Blick hebe und ihren erwidere. "Was ist passiert, Lyana?", fragt sie sanft nach und in ihrem Blick kann ich fast schon eine Art mütterliche Sorge erkennen. Ob Mrs Jensen Kinder hat?

"Das Übliche. Ein toter Nick in der Badewanne, den ich finde. Dann schreie ich und wache schweißgebadet auf.  Wie Sie sehen, nichts neues." Ich versuche lässig zu klingen, kann jedoch die Bitterkeit in meiner Stimme nicht unterdrücken.

Meine Therapeutin lehnt sich wieder zurück und schlägt ihre Beine übereinander. "Letzte Woche war Homecoming, nicht wahr?", fragt sie und überrascht mich mit diesem plötzlichen Themenwechsel. Sie sagt, ihre Tochter sei zu dem Ball gegangen und fan des toll. Also hat sie doch mindestens ein Kind. "Bist du auch hingegangen?"

Ich schüttle den Kopf. "Zum Spiel schon, aber nicht zum Ball." Dort auch noch hinzugehen, war mir dann doch zu viel, also bin ich zu Hause geblieben.

Ein flüchtiges Lächeln schleicht sich auf ihr Gesicht, während sie sich Notizen macht. "Hat es dir gefallen?", hakt sie nach.

"Ja, eigentlich schon. Ich bin zwar kein Footballfan, aber es hat trotzdem Spaß gemacht, zuzusehen", gebe ich ehrlich zu.

"Das freut mich zu hören. Warum bist du hingegangen?" Was ist das denn für eine Frage? Warum sollte ich wohl zum Spiel gegangen sein?

"Ähm... na ja, ich war mit Freunden da und die haben mich mehr oder weniger dazu gezwungen." Nachdem ich diese Worte gesagt habe, komme ich mir dumm vor. Als hätte ich mich monatelang in meinem Zimmer versteckt und jetzt zum ersten Mal wieder das Tageslicht gesehen und das auch nur, weil meine Freunde mich quasi eigenhändig dort rausgeholt haben. Was ja eigentlich auch stimmt, aber das muss ich nicht unbedingt in allen Einzelheiten erklären.

Mrs Jensens Augenbrauen schießen nach oben, was ich ihr bei meiner Aussage kaum verübeln kann. "Was genau meinst du damit, dass sie dich gezwungen haben?"

Ich atme langsam aus. "Sie haben mein Nein nicht gelten lassen, ganz besonders Maddie nicht. Und meine Eltern waren so glücklich, als ich das Haus verlassen habe, dass ich nicht aufhören konnte, an ihre Gesichter zu denken", antworte ich und meine Stimme wird leiser, je mehr ich zum Ende meines Satzes komme.

Erneut sehe ich das ehrliche Lächeln auf den Gesichtern meiner Eltern, als ich an jenem Abend das Haus verlassen habe und später wiederkam. Und eigentlich auch das ganze Wochenende über. Zuerst fand ich es fast schon gruselig, aber dann wurde mir bewusst, wie lange es her war, dass die beiden mich nicht mehr mit mitleidigen Blicken angesehen haben. Sie schienen so sorglos, dass ich selbst irgendwann lächeln musste und die Stimmung im Hause Healey schon lange nicht mehr so entspannt war.

Mrs Jensen nickt und macht sich wieder Notizen. "Warum wolltest du denn zuerst nicht hingehen?", fragt sie anschließend und eine Schwere macht sich in meinem Magen breit. Eigentlich hätte ich mit dieser Frage rechnen können, doch sie trifft mich trotzdem unvorbereitet.

Nervös knete ich erneut meine Hände, die noch immer auf meinem Schoß liegen und schaue zu dem Regal, an meiner Therapeutin vorbei.

"Hat es etwas mit Nick zutun?" Irgendwie hat doch alles mit Nick zutun. Wie immer bei der Erwähnung seines Namens zieht sich mein Magen zusammen. Obwohl sein Tod schon Monate her ist, kann ich seinen Namen nicht mehr hören, ohne an diesen Tag zu denken.
Ich wende meinen Blick wieder zu Mrs Jensen zurück und nicke nur, bevor ich meine Worte wiederfinde. "Ich war vorher noch nie bei einem Spiel, weil es mich nie wirklich interessiert hat und... und Nick ist immer mit Jonah hingegangen. Er hat mich zwar immer wieder gefragt, ob ich mit ihm mitkommen möchte, aber ich habe immer verneint."
Ich schlucke den Kloß in meinem Hals runter, der sich mittlerweile dort gebildet hat.
"Es kam mir vor wie Verrat, dass ich ausgerechnet jetzt dorthin gehe, wo er doch nicht mehr da ist."  Schuldbewusst senke ich den Blick auf meine verschränkten Hände im Schoß und presse meine Lippen aufeinander, sodass ich meine aufkommenden Tränen zurückhalten kann. Ich will nicht weinen und ich werde nicht weinen. Nicht hier. Nicht schon wieder. Irgendwann müsste meine Tränenflüssigkeit doch aufgebraucht sein, oder nicht?

"Du bist also der Meinung, dass Nick sauer auf dich wäre, wenn er wüsste, dass du ohne ihn zu dem Spiel gegangen bist?",fragt sie in einem sanften Unterton.

"Ja", antworte ich mit brüchiger Stimme, ohne aufzuschauen.

"Bisher hast du mir ja noch nicht so viel über ihn erzählt, aber ist dir jemals der Gedanke gekommen, dass er vielleicht gar nicht beleidigt wäre, wenn er wüsste, dass du dein Leben lebst?"

"Was ?" Dieser Gedanke trifft mich. Mein Leben leben. Genau das ist es doch, was ich tue. Oder zumindest, ist es, was ich tun sollte. Natürlich hätte Nick das gewollt. Er hat es mir sogar in meine Geburtstagskarte geschrieben.

"Lyana?", unterbricht Mrs Jensen meine Gedanken und ich schaue wieder in ihre Augen. "Ich sagte, unsere Zeit ist leider schon vorbei, aber vielleicht denkst du darüber einmal nach und irgendwann, wenn du bereit dazu bist, können wir auch über Nick reden."

Ich nicke nur und zwinge mich zu einem kleinen Lächeln, ziemlich sicher, dass ich wohl niemals dazu breit sein werde, über ihn zu reden.

Break The FallWo Geschichten leben. Entdecke jetzt