Das Schicksal des Erzherzogs

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Meine liebe Leserschaft!
Dies ist das ACHTUNG letzte Kapitel der Geschichte aber ACHTUNG eigentlich das vorletzte Kapitel. Denn wie versprochen wird es nach diesem Kapitel noch ein Reflexions- und Aufklärungskapitel geben. Wenn es also noch Fragen gibt, bitte gerne stellen!! Und ja, ich werde auch verraten, ob Sebastian das exakt gleiche Schicksal mit Franz-Ferdinand teilt, oder ob lediglich die äußeren Umstände dieselben waren.
Was mein Leben angeht, so habe ich für den Herbst einen Studienplatz in Rechtswissenschaften und bin... nach langen harten Wochen voller Tränen und Verzweiflung, immer noch die Freundin eines verheirateten Mannes. Die letzten Wochen waren wirklich unfassbar schwierig zumal all diese furchtbaren Gespräche über die Zukunft geführt worden sind. Und ich muss der Tatsache ins Auge sehen, dass eine gemeinsame Zukunft eine schier unerreichbares Ziel ist. Wir beide müssen das. Obwohl wir ohne einander nach diesen Gesprächen beinahe pausenlos geweint haben, unfähig, das eigene Leben weiterzuleben, weil ein Leben ohne den anderen nicht mehr vorstellbar ist. Die schwere Erkenntnis, dass wir uns zur falschen Zeit kennengelernt haben, ist nicht zu verkraften. Den anderen verlieren ist keine Option. Eine Affäre ohne Lichtblick ebenfalls nicht. Schon bevor wir tatsächlich zusammengekommen sind, haben wir ein Zitat zum Leitspruch unserer Bekanntschaft gemacht:
                    "When two people love each other and can't make that work- that's the real tragedy"
Und dennoch sind wir zusammengekommen, haben nicht aufgehört uns zu sehen und uns zu lieben und das können wir immer noch nicht. Wir können es nicht.
Das hier werden wahnsinnig viele Menschen lesen und diese Menschen haben einen winzigen Einblick in die Realität einer gesellschaftlich missachteten, tabuisierten und moralisch unfassbar schwierigen Beziehung bekommen.
Seid lieb zu einander, ihr wisst selten, was tatsächlich dahinter steckt und was die Menschen durchmachen.
Euer Eichhorn

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Wien, 28. Mai 20219
Meine Augen fielen wieder zu, als ich sie verschlafen öffnete. Alles tat mir weh, mein Schädel drohte zu explodieren und in meinem Mund schmeckte ich den pappigen Geschmack, den man hat, wenn man vor dem Schlafen gehen die Zähne nicht putzt. Sebastian, welcher dicht hinter mich gedrängt schlief, blies seinen Atem an mein Ohr. Wie spät ist es denn bitte? Und waren noch Menschen am Ballhausplatz? Vor der Akademie dürfte sich die Menschenmenge aufgelöst haben, zumindest konnte ich sie nicht mehr hören. Seufzend rappelte ich mich auf, während ich mich aus Sebastians Umarmung befreite. Sein Atem wurde unregelmäßig und er begann ebenfalls wach zu werden. Ein Blick auf mein Handy zeigte mir, dass es bereits halb neun Uhr war. Fuck. Warum hat uns denn bisher niemand aufgeweckt? Muss denn gar nichts mehr großartig besprochen werden? Und was ist mit Nadja? Sie sollte uns doch frische Sachen und Waschzeug vorbeibringen! "Helena...", murmelte Sebastian und tastete nach meinem Oberschenkel. "Ich bin ja hier", seufzte ich und legte meine Hand auf seine. "Und das ist schön", hauchte er und drückte seine Nase gegen meinen Rücken. „Es ist bereits halb neun, Sebastian“, merkte ich an. „Und?“ Und?? „Nun, ahm… sollten wir da nicht schon längst aufgestanden sein?“ Sebastian schüttelte den Kopf. „Die Enthebung ist erst in drei Stunden“, meinte er und drehte sich auf die andere Seite. Oje. Kurzerhand tippte ich eine Nachricht an Nadja. An Duschen wird wohl leider nicht zu denken sein, aber wenigstens mein Gesicht waschen, mich schminken, die Haare richten und frische Kleidung anziehen wollte ich. Ich stand auf und suchte meine Klamotten vom Vortag zusammen. Wem auch immer ich begegnen sollte, möchte ich nicht bloß mit Höschen bekleidet begegnen. Meine Haare hatte ich zum Glück gestern am Nachmittag gewaschen. Während ich mich anzog, setzte Sebastian sich auf und tätigte einen Anruf. „Guten Morgen, Frederick… ja, ich weiß, ich hatte mein Handy heute Nacht auf stumm…“ Sebastian hatte sein Handy auf stumm?? „… aber du wusstest ja eh, wo du mich findest… ja, ich weiß… wie dem auch sei, wann kommst du denn ins Bundeskanzleramt?... ich hätte nämlich Hunger…“ Ich konnte mir ein leises Lachen nicht verkneifen. „Genau, pack einfach was… warte kurz…“ Sebastian nahm das Handy vom Ohr und sah in meine Richtung. „Helena, was möchten Sie zum Frühstück?“ Verdutzt fing ich an zu überlegen. „Ach, einfach irgendein Weckerl“, meinte ich kurzerhand. „Was die Bäckerei hergibt! Heute lassen wir uns nicht lumpen. Magst du auch gleich mit uns frühstücken?“ Der tickt doch nicht ganz sauber! Ich deutete Sebastian, dass ich den Raum verlassen würde. Glücklicherweise wusste ich, wo sich Toilette und Badezimmer sowie die Küche befanden. Ich klatschte mir kaltes Wasser ins Gesicht und trocknete es mit Küchenrolle ab. Meinen Mund konnte ich noch so oft ausspülen, eine Zahnbürste ersetzte das nicht. Ich fühlte mich zwar nach der schnellen Katzenwäsche immer noch ranzig, aber ein bisschen wacher. In der Küche kochte ich schließlich eine Kanne Kaffee. Während ich Teller und Besteck suchte, hörte ich, wie auch Sebastian sich frisch machte. So frisch es eben ging. Ich ertappte mich dabei, wie ich wieder an Karl Nehammer und seine Verletzungen dachte. „Als wäre er als Ganzes gequetscht worden“. Ja. Er war zwischen den Sitzen und mir bei der Bremsung als Ganzes gequetscht worden. Und anstatt sich mit diesen wahnsinnigen Schmerzen und gefährlichen Verletzungen sofort in ärztliche Behandlung zu begeben, hatte er sich in ein Korsett zwängen und mit Schmerzmitteln vollpumpen lassen, um seine bescheuerte Rede halten zu können. Wie derart dämlich können Politiker eigentlich sein?? Ihr Amt ist auch nur ein scheiß Job! Ja, ein Job mit viel Ansehen und noch mehr Verantwortung, aber auch nur ein scheiß Job, für den es sich nicht zu sterben lohnt! Sebastian betrat die Küche. „Sollten Sie jemals beim ORF kündigen wollen, würde ich Sie sofort als meine Assistenz einstellen“, scherzte er. Leise lachend ließ ich das heiße Wasser durch den Filter laufen. „Sehr vorbildlich von Ihnen, dass Sie nach wie vor die Filtermaschine anstelle der Kapsel-Umweltsünder-Maschinen benutzen!“- „Man tut, was man kann“, hauchte er leise und nahm mir Teller und Besteck ab. „Nehammer wird heute nicht anwesend sein“, meinte er kurz. Das dachte ich mir. „Mit seinen Verletzungen ist das ja auch besser, wenn er im Krankenhaus bleibt!“- „Ich frage mich wirklich, was dieser Mann getrieben hat! Er hat angegeben, dass er sich nicht erinnert, aber er ist ja nicht mit dem Kopf angestoßen! Sein Kopf hat nichts abbekommen! Irgendwas ist da passiert, aber er erzählt es nicht! Ich frage mich, weshalb Richard und er überhaupt unterwegs waren, wo Nehammer doch eigentlich bei mir sein wollte! Und Richard meint, er hätte ihn nicht gefahren! Aber er war es, der den Krankenwagen gerufen hat. Mir werden hier Dinge verheimlicht und das macht mich rasend!“- „Vielleicht… ist es ja besser, wenn Sie es nicht erfahren?“, warf ich vorsichtig ein. Sebastian fuhr herum. „Was soll denn das heißen?!“- „Naja“, meinte ich nervös „Es kann doch sein, dass es Dinge gibt, die mit Ihnen nichts zu tun haben und sie deshalb nichts davon erfahren zu brauchen. Vielleicht war Nehammer auf dem Weg seine ganz eigenen Intrigen und Staatsaffären zu vollziehen?“ Sebastian zog eine Augenbraue hoch und musterte mich. „Es wäre absurd, wenn Sie etwas wissen würden, was ich nicht weiß“, stellte er trocken fest. „Das wäre es absolut“, antwortete ich ebenfalls trocken. „Wenn Sie mir versprechen, dass es mich wirklich nicht betrifft, dann werde ich nicht weiter danach fragen“. Ich schluckte. „Sie vertrauen mir?“- „Ich kann nichts anderes tun, als Ihnen zu vertrauen“. Seine Worte waren wunderschön. Und genau das hatte Frederick auch mir bezüglich seinem Fremdgehproblem gesagt: Alles, was ich tun kann, ist ihm zu vertrauen. „Und ich vertraue Ihnen“, hauchte ich. Wir lächelten uns an und hörten auch schon Schritte. „Das muss Frederick sein!“- „Oder Nadja mit unseren Klamotten!“, hoffte ich. Obwohl… nein, Nadja hatte sich immer noch nicht gemeldet und das bereitete mir Sorgen. Vielleicht war sie gestern doch noch bei einer Kommilitonin versumpft und schlief jetzt noch… sollte ich Coralie anrufen?? „Guten Morgen!“, rief Frederick, als er zur Tür hereinkam. In seiner Hand hatte er ein großes Papiersackerl. „Da komm ich ja grade recht!“ Sebastian drückte ihm drei Tassen in seine freie Hand. „Verschanzen wir uns ins Besprechungszimmer! Danke für die flotte Lieferung!“, scherzte er. Sebastian war wie gestern vor dem Einschlafen den Umständen entsprechend gut drauf und ich hoffte sehr, dass nicht vor kurz vor oder nach der Enthebung der Zusammenbruch kommen würde. Frederick hatte verschiedenstes Gebäck und Butter mitgebracht. Er war echt ein Lieber! Zudem erzählte er uns von der aktuellen Lage und was sich draußen vor dem Ballhausplatz abspielte. „Wir können es gar nicht glauben! Die ganze Nacht waren diese Volldeppen da und grade werden es immer mehr! Und zu allem Übel haben sich nun beide Parteien, die ursprüngliche Demonstration und die Gegendemonstration, an einem Ort versammelt und wollen sich ums Verrecken nicht auflösen! Und solange sie sich nicht bekriegen und keinen anderen Mist bauen, darf die Polizei auch nichts dagegen tun“. Sebastian hörte sich all das an und rührte in seinem Kaffee. „Welchen der drei Pläne werden wir nun nehmen? Wie sicher ist die Lage?“- „Sebastian, ich würde dir dringend raten, dich nur kurz der Menge zu zeigen. Wenn überhaupt. Plan A, den öffentlichen Weg zu gehen, erscheint mir zu gefährlich“. Sebastian nickte. „Dann machen wir das auch so“. Das Frühstück war wirklich gut und ich fühlte mich danach gleich besser. Es war mittlerweile fast zehn Uhr. Nur mehr anderthalb Stunden bis zur Amtsenthebung. Und keine Spur von Nadja! „Ich werde Coralie bitten, uns Zeug zum Anziehen zu bringen“, meinte ich knapp, stand auf und verließ das Besprechungszimmer. Das ist so dermaßen untypisch für Nadja! Sie ist doch immer zuverlässig! Tuuut… Coralie, heb du doch bitte ab… Tuuuut… es ist wichtig! „Ja hallo, Helena?“- „Oh Gott, Coralie! Danke, dass du abhebst! Könntest du mir bitte einen Gefallen tun?“- „Ja klar, was denn?“- „Könntest du Sebastian und mir Klamotten zum Bundeskanzleramt bringen? Und mir noch Schminkzeug?“ Keine Antwort. „Coralie?“- „Ja schon, aber das hat doch Nadja gemacht?“ Was? „Nadja ist bisher nicht aufgetaucht und antwortet auf keine Nachrichten!“ Ich wurde panisch. War Nadja etwas passiert?? „Wann ist sie los?!“- „Vor anderthalb Stunden schon, sie müsste längst bei dir sein!“ Oh nein, nicht auch das noch! „Ich werde sie sofort noch einmal anrufen und wenn sie nicht abhebt, bei der Polizei melden!“- „Ja bitte, mach das!“ Coralie klang nun auch panisch. „Ich wünsche euch viel Kraft heute, ciao Helena“, meinte Coralie. „Danke, ciao!“ Gott, war sie schockiert, als sie gemeinsam mit Nadja die Wahlergebnisse im ORF schauen wollte und Sebastian sich schließlich öffentlich zu mir bekennt hatte! Da musste ich auch einiges erklären und erzählen… Nadja! Ich rief sie umgehend an und hoffte, dass sie abhob. Tuuuuut… bitte, Nadja, ich hab dich doch so lieb… Tuuuuut… dir darf nichts passiert sein, das überlebe ich doch nicht… Tuuuuuut „Joah, Helena, sorry, ich bin in zwei Minuten da, ich hab einen kleinen Umweg gemacht!“ Ein Stein fiel mir vom Herzen. „Gott, Nadja, ich hatte Angst um dich!“- „Oh, ahm, das tut mir leid, aber ich bin ja gleich da. Der Türhorst macht uns eh gleich auf“. Uns?? Wer war denn bitte uns?? „Der Türhorst, wie du ihn nennst, wird dir nicht aufmachen, der kennt
dich ja nicht!“- „Oh, ich bin in prominenter Begleitung“- „NADJA?!“- „Alter, gib mit zwei Minuten und die Situation erklärt sich selbst, ja? Tschüss, Milchmaus, bis gleich!“. Und damit legte sie auf. Ich ging zurück ins Besprechungszimmer. „Nadja steht schon unten und sie ist nicht alleine. Aber sie sagt nicht, mit wem sie hier ist?“ Sebastian zog die Augenbraue hoch. „Gehen wir ihr entgegen. Oder ihnen“, meinte er bloß und stand auf. Kaum hatten wir das Besprechungszimmer verlassen, hörten wir Schritte von der Treppe hochkommen. „Scheiß dich jetzt bloß nicht an! Für einen Rückzieher ist es zu spät, Prinzessin!“, hörte ich die Stimme meiner Freundin durch das Stiegenhaus hallen. Nadja, mit wem redest du da?! Sebastian blieb am Treppenabsatz stehen. Dicht hinter ihm ich. Die Schritte kamen näher. „Wie weit ist es noch??“, hörte ich Nadja keuchen. Ach, Nadja! Die Antwort war so leise, dass ich sie weder verstehen noch ausnehmen konnte, wer sie von sich gegeben hatte. Die Schritte schienen nun nur mehr wenige Treppenstufen entfernt zu sein. Und das Bild, welches ich schließlich zu gesehen bekam, zog mir den Boden unter den Füßen weg: da hastete Nadja mit zerzaustem Haar und Reisetasche über der Schulter mit einer Frau, ebenfalls ziemlich fertig aussehend, an der Hand die Treppe hoch. Und diese Frau war niemand Geringeres als Susanne. Tausend Fragen gingen mir zeitgleich durch den Kopf. Woher kennen Susanne und Nadja sich? Weshalb hat Nadja sie mitgenommen? Und verdammt weshalb steht Susanne jetzt hier?? Nach einigen Schrecksekunden sah ich zu Sebastian, der mit offenem Mund und starren Augen wie angewurzelt dastand. Als Suanne ihn sah, erschreckte sie ebenfalls. Blieb abrupt stehen und starrte zurück. Nadja blieb gezwungenermaßen auch stehen und lächelte mich an. „Tut mir voll leid, Milchmaus, aber es hat ein bissl gedauert, dieses Weib zu überzeugen, mitzukommen!“ Nadja, wie?! UND WESHALB?!? Ist nicht grade alles kompliziert und nervenaufreibend genug?! „Suanne…“- „Sebastian“. Nadja stupste Susanne an. „Ich geh mit Helena, wir sehen uns dann gleich wieder, ja?“, meinte Nadja. Susanne sah sie kurz an, lächelte und nickte. Bin ich deppert, oder hat da grade was geknistert? Nadja ging die letzten paar Stufen zu mir hoch, nahm mich an der Hand und fragte, als ob nichts wäre: „Gibt’s hier ein Badezimmer, in dem ich dich herrichten kann?“ Ich nickte stumm und deutete ihr, mit mir einen Stock höher zu kommen. Völlig perplex ging ich mit ihr hoch. Mein letzter Blick, bevor ich das Szenario verließ, galt Sebastian und Suanne, welche sich anstarrten und dabei eine schmerzliche Sehnsucht versprühten. „Milchmaus, ich muss dir so fucking viel erzählen!“, fing Nadja an, als wir oben waren. Sie wollte mich weiterziehen, doch ich blieb abrupt stehen und zwang sie dasselbe zutun, indem ich sie an der Hand zurückzog. „Nadja, du musst mir erstmal erklären, warum zum Tüvel du Susanne mitgebracht hast! Und seit wann du sie kennst und… was das eigentlich alles soll!“, zischte ich. Nadja stockte kurz. Ich sah ihr tief in die Augen. Sie blickte ebenso selbstsicher zurück. Dann atmete sie bewusst aus und ein. „Zeig mir wo das Badezimmer ist und dort erzähle ich dir absolut alles, was du wissen willst, okay?“ Geschlagen nickte ich. Gut, Nadja, alles, was du willst! Ich zeigte in Richtung Badezimmer und wir gingen los. Und plötzlich fiel mir etwas ganz, ganz Wichtiges ein: „Danke, dass du gekommen bist, Nadja“. Aus dem Augenwinkel konnte ich sehen, dass Nadja lächelte. „Für dich tu ich alles, Milchmaus“. Im Badezimmer angekommen, öffnete sie die Reisetasche und warf mir ein Handtuch zu. „Kannst dich duschen gehen, das brauchst du jetzt sicherlich“- „Brauchen schon, aber Zeit habe ich dafür nun eigentlich nicht mehr, die Enthebung ist in weniger als anderthalb Stunden und es sollten schon bald die hohen Herren von der Partei und der Regierung antanzen“. Nadja zuckte mit der Schulter und schmiss mir dann ein dunkelblaues Kostüm und eine Bluse zu. Warte mal… „Nadja, ist das etwa…“- „Genau, das Kostüm und die Bluse, die noch in der Waschmaschine waren. Ich hab die Teile gestern noch aufgehangen. Seit wann wäschst du bitte dunkel und hell zusammen?? Du passt doch normalerweise voll auf dein Zeug auf! Und wegen ein paar Stücken schaltest du die Maschine normalerweise auch nicht an!“ Ich schluckte. Das waren die Klamotten, die ich gestern beim Aufeinandertreffen mit Karl Nehammer anhatte. „Ich… ich glaube, ich behalte das an, was ich jetzt gerade trage“. Nadja sah mich verständnislos an. „Du, Helena, du wolltest, dass ich zu dir komme und dir Sachen bringe, sag mir jetzt bitte nicht, dass du…“- „Ich will mich nun ernst mal schminken und mir die Haare machen, ja? Erzähl du mir erst mal, weshalb du Suanne mitgebracht hast!“ Nadja seufzte. Ich lies die gewaschenen Klamotten auf den steinernen Boden fallen und wühlte in der Tasche nach Schmink- und Haarzeug. „Also, das war so: Nachdem klar war, dass dein Bundesdaddy morgen seines Amtes enthoben wird, hab ich mir so überlegt, dass es Susanne jetzt grade richtig mies schlecht gehen muss. Und es waren einige Klatschpressedödel am Abend vor unserer Tür. Und da hab ich einem Typen gesagt, dass, wenn er mich zu Susanne bringt, ich ihm verrate, wo du zu finden bist. Und so hat er mich zu Susanne gebracht“- „Und was hast ihm gesagt, wo ich bin?“, fragte ich und fing an, mein Make-up zu machen. „Dass du beschäftigt bist, die ‚Das war Kurz‘-Demo am Ballhausplatz zu leiten“. Ich prustete und Nadja musste auch lachen. „Du bist schon fies!“- „Aber der hats verdient! Wie dem auch sei, ich hab dann bei Susanne geschellt und sie hat tatsächlich aufgemacht. Sie war alleine und das hat mir richtig leidgetan. Erst war sie misstrauisch, aber sie hat mich dann doch reingelassen. Ich hab ihr ja auch Kuchen mitgebracht!“ Ach, Nadja! Du gute Seele! „Also klar, war die Situation da erst Mal ziemlich weird, weil wir uns ja gar nicht gekannt haben und ich zudem eine Freundin von dir bin. Aber wir haben uns echt gut unterhalten, beziehungsweise ich hab ihr gut zugehört und sie getröstet und es ist verdammt spät geworden. Und naja… also…“ Nadja stockte. Ich unterbrach meine Aktivität und sah ihr im Spiegel in die Augen. Das kann nicht sein! Das träum ich doch! „Du hast mit…“- „Nein, aber irgendwie ist das was“, hauchte sie und wurde rot. Ich lies das Schwämmchen sinken und drehte mich zu ihr um. Meine Nadja! Hilfe! Ich fing an zu lachen und Nadja fiel ein. „Das gibt’s doch nicht! Nadja!“- „Mann, ich glaub es ja auch immer noch nicht! Aber es ist halt passiert!“- „Das mit euch, ist das… oder wird das…“- „Gott, so weit sind wir doch noch lange nicht! Ich weiß es ja selbst auch nicht und sie ist total durcheinander, da brauchen wir erst Mal richtig viel Zeit! Fakt ist, wir verstehen uns gut. Und alles weitere… da müssen wir erst Mal schauen. Okay?“- „Ja, okay!“, lachte ich und wandte mich wieder dem Spiegel zu. Himmelherrgott, das sind vielleiht wilde Konstellationen! „Die Nacht hab ich dann bei ihr verbracht und ich wollte eben, dass sie heute mitkommt und Sebastian Zeug bringt. Ich glaube nämlich, dass Susanne im wahnsinnig fehlt und es ihm furchtbar in dem Wissen geht, dass sie leidet und ihn hasst. Und ich denke, dass es ihm guttun wird, wenn sie ihm frische Sachen bringt. So quasi als kleine Geste, um ihm zu zeigen, dass sie ihn nicht total hasst und dass es ihr halbwegs gut geht. Halbwegs den Umständen entsprechend“. Nadja ist so eine gute Seele! Und den Erzählungen von Sebastian über Susanne nach, ist sie das auch. Gott, das ist so unwirklich, aber die beiden würden tatsächlich sehr gut zusammenpassen! „Erst wollte sie natürlich nicht. Vorm Schlafengehen hatte ich sie dann aber so weit. Am Morgen bin ich dann nochmal heim, um für dich Zeug zu holen und dann bin ich wieder zu ihr. Und das Weib hat sich dann so gesträubt!! Ich musste sie eine halbe Ewigkeit überreden und grade unten wollte sie dann wieder einen Rückzieher machen und deshalb bin ich nicht an mein Handy gegangen- ich war mit ihr beschäftigt“. Lächelnd schminkte ich mich fertig. „Ich bin so wahnsinnig stolz auf dich, Nadja!“
Währenddessen bei Sebastian: „Susanne, was… Gott, wie geht es dir? Es tut mir alles so furchtbar leid!“- „Das soll es auch, Sebastian“, hauchte sie leise. Frederick machte kehrt und verschwand im Besprechungszimmer. Was auch immer nun passierte, ging ihn nichts an. Zögernd setzte Sebastian einen Fuß auf die erste Stufe. „Ich habe das, was passiert ist, weder verarbeitet noch überhaupt realisiert und… keine Ahnung, was da in mir vorgeht“. Sie hielten beide die Tränen zurück. „es geht nicht in meinen Kopf, dass das vorbei sein soll“, krächzte sie. „Ich habe immer, jedes verdammte Mal versucht, das wieder hinbiegen zu können!“- „Susanne, du warst all die Jahre so stark, du hast so viel mehr ausgehalten, als man einem Menschen zu trauen kann! Du bist eine wundervolle Frau und… ich liebe dich doch immer noch, das war nie weg und das wird auch nicht so schnell weg sein!“ Susanne schluchzte und die ersten Tränen flossen über ihre Wangen. Sebastian wusste nicht, wie ihm geschah. Der Schmerz der letzten Tage, den er zu verdrängen versucht hatte, kam wieder hoch. „Du bist… du warst doch alles, was ich kannte“, krächzte Suanne. „Das warst du doch auch für mich!“- „Es war dennoch schön. Trotz allem“- „Ja, trotz allem“. Er war den Tränen nahe. Er wusste nicht, ob er Susanne, die Frau, die die letzten fünfzehn Jahre mit ihm geteilt hatte, überhaupt in den Arm nehmen durfte. „Ich hab ein paar Sachen für dich. Falls du dir was anderen anziehen magst“, flüsterte sie und stellte die Tasche auf den steinernen Stufen ab. „Ich danke dir so sehr, für alles“. Susanne nickte und wandte sich zu gehen. „Bitte geh jetzt nicht!“- „Was soll ich denn noch hier?!“- „Ich weiß es doch auch nicht“. Sebastian versuchte die Tränen, die sich bereits in seinen Augen gesammelt hatten, wegzublinzeln. Die beiden sahen sich schmerzerfüllt an. „Warum mussten wir nach unserer ersten Trennung überhaupt wieder zusammenkommen?“, fragte Susanne in den Raum. „Weil wir danach noch einige wunderschöne Jahre zusammen hatten“. Sie schluchzte erneut. „Sebastian, ich will nun wirklich nichts kaputt machen, aber Löger wird in ein paar Minuten da sein“, rief Frederick aus der Entfernung. „Ich geh dann“- „Danke für alles“- „Danke auch dir“- „Susanne, versprich mir, dass wir uns wiedersehen, ich kann dich sonst nicht gehen lassen“- „Ich würde auch nicht gehen, wenn wir uns heute das letzte Mal gesehen hätten“- „Ich liebe dich“- „Ich liebe dich auch“. Susanne ging, ohne sich noch einmal umzublicken.

Es war kurz nach elf, als Sebastian und ich das Kanzleramt verließen. Ich hatte mich schließlich überwinden können, das frische Kostüm und die Bluse anzuziehen. Meine Haare trug ich locker hochgesteckt. Nadja war, nachdem sie erfahren hatte, dass Suanne gegangen war, fluchtartig das Bundeskanzleramt verlassen. Nach und nach sind immer mehr Politiker eingetrudelt und schlussendlich wurden wir mit Polizeischutz abgeholt. Sebastian bestand nach wie vor darauf, den offiziellen Weg zu gehen. Durch einen Teil der Demonstranten. Josef Kasperl hatte noch auf ihn eingeredet, es nicht zu tun, aber er wollte sich nicht abbringen lassen. Nun saßen wir im Auto. Eng nebeneinander, händchenhaltend. Und müde. Müde und fertig. Körperlich und auf den Nerven. Wir hörten die Menge toben. Immer lauter. Es waren nur mehr wenige Sekunden, bis wir aussteigen und uns der Menge, der Presse und somit ganz Österreich präsentieren würden. Sebastians letzter Auftritt als Kanzler, bevor er seines Amtes enthoben werden würde. Der Wagen blieb stehen. „Wir schaffen das“, flüsterte ich ihm ins Ohr. „Wir schaffen alles“, hauchte er zurück und wir küssten uns ein letztes Mal, bevor die Wagentür geöffnet wurde. Lautes Gebrüll schlug uns entgegen. Sebastian stieg aus und half mir, meine Hand nehmen, aus dem Wagen. Kameras. Mikrofone. Blitzlicht. Das Gebrüll wurde nicht leiser. Es lief mir eiskalt über den Rücken. Ich fühlte mich nicht sicher. Sebastian drehte sich in alle Richtungen und versuchte souverän und ausgeglichen zu wirken. Sebastian, bitte! Gehen wir doch endlich! Sebastian nahm meine Hand und endlich setzten wir uns langsam in Bewegung. Die vielen aufgebrachten, wütenden, enttäuschten und enthusiastischen Menschen um mich herum, verängstigten mich. Ich zog an seiner Hand. Aber alles, was ich hätte tun können, wäre vergebens gewesen. Sebastian sollte es wie dem Erzherzog Franz-Ferdinand ergehen. Ein kurzes, lautes Geräusch ließ mich zusammenzucken: ein Schuss. Ab diesem Moment setzte mein Verstand aus. Die Menge schrie auf. Sebastian neben mir versuchte sich an mir festzuklammern. Panisch wollte ich wegrennen, doch Sebastian hing auf mir. Er war getroffen worden. Ich hörte die Menschen nicht mehr schreien. Ich hörte mich nicht mehr denken. Ich hörte nicht einmal, dass ein zweiter Schuss fiel. Ein weiterer Schuss in Sebastians Rücken. Iris und Pupillen seiner Augen verschwanden kurz unter den Lidern. Die Zeit dehnte sich und ich schottete die Außenwelt ab. Sebastian sank samt mir zu Boden. Ich spürte keinen Aufprall. Ich war wie taub. Ich war unfähig zu schreien. Bevor Polizisten auf uns zugelaufen kamen und Sebastian von mir runterzogen, hörte ich ihn schmerzerfüllt nach Atem ringend. „Ich liebe Sie!“

Die Staatsaffäre -eine skandal- und intrigenreiche Fanfiction mit Sebastian KurzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt