Ein Interview hinterlässt Spuren

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Wien, 30. April 2019
Endlich! Pünktlich wie immer, müde und mit leerem Magen verließ ich die Wohnung um halb fünf Uhr morgens und ging zur Arbeit. Ich hatte mich nicht geschminkt, ja nicht einmal meine Haare gemacht. Heute wird Gernotina das alles für mich erledigen. Und ich werde perfekt gestylt und geschminkt Sebastian wiedersehen. Meine Klamotten dafür hatte ich in einem Kleidersack über meinen rechten Unterarm getragen. Ich wollte nicht auf die Gefahr auflaufen, bis 7:15 irgendwelche Flecken reinzubekommen. Beschwingt kam ich im Studio an, selektierte Berichte und ordnete sie. Ich war so aufgeregt, dass ich langsamer war als sonst. Verdammt. Um viertel nach 6 Uhr ging ich schließlich in die Maske. "Nervös?", fragte Gernotina. "Ein bisschen", antwortete ich und versuchte dabei gelassen zu wirken. Während Gernotina mein Make-up, das sie hervorragend gemacht hatte, abpuderte, sah ich Armin im Spiegel. "Du hast dich echt ins Zeug gelegt", lobte Armin die Kosmetikerin. "Bei so einem hübschen Gesicht wie Helenas kann man auch nichts falsch machen", kicherte sie verlegen. Ich kicherte ebenfalls und sah mich genau an. Gernotina hatte mein Gesicht perfekt konturiert, die Augen staken durch die dunklen Nudetöne auf meinen Augenliedern hervor und überhaupt hatte Gernotina ganze Arbeit an meinem Gesicht geleistet. "Ich zauber dir ganz wunderschöne große Wellen", meinte Gernotina und teilte meine Haare in Sektionen, um diese mit dem Lockenstab zu bearbeiten. "Der Kanzler ist da!", rief Armin. Ich verspannte mich. Es war zehn Minuten vor 7. In 25 Minuten würde das Interview stattfinden. "Waltraud!", rief Gernotina. Waltraud war ebenfalls Kosmetikerin und Friseuse. Sie sollte sich wohl um den Kanzler kümmern. Das heißt er muss jetzt auch in die Maske. Ich verkrampfte mich noch mehr. Wie wird er reagieren, wenn er mich sieht?? "Guten Morgen, Herr Bundeskanzler!", rief Gernotina. "Guten Morgen, Sie leisten hier ganze Arbeit!", lobte Sebastian sie. Im Spiegel konnte ich ihn schon sehen. Er trug ebenfalls dunkelblau. Als er sich auf den Stuhl neben mich setzte, beachtete er mich zuerst gar nicht. "Guten Morgen", rief ich vorsichtig. Er drehte sich zu mir um. "Guten Morgen", meinte er und lächelte leicht. Wie süß, er ist schüchtern! Ich ließ Gernotina weiter an meinen Haaren arbeiten, linste aber oft zu Waltraud und ihm hinüber. Wie gerne wäre ich jetzt sie, könnte ihm ans Kinn fassen und ihm nahe sein. Sebastian sah gut aus. Groß, sportlich, schlank. Waltraud kämmte seine Haare ordentlich zurück und fixierte sie mit Haarspray. "Sie könnte ich öfter zu Hause brauchen", scherzte er, als er seine Frisur bewunderte. Waltraud kicherte. Was ist mit mir? Ich sah Gernotina im Spiegel an und gab ihr ein Zeichen, dass ich kurz mit Kurz alleine sein wollte. Sie verstand den Wink. "Soll ich dir was zu trinken bringen, Helena? Einen Kaffee vielleicht?" -"Ein Glas Wasser wäre wundervoll!", antwortete ich. "Für Sie auch etwas, Herr Bundeskanzler?" - "Machen Sie sich keine Mühe, danke, ich brauche nichts", wehrte er ab. Gernotina zog Waltraud am Ärmel von Sebastian und mir weg. "Herr Bundeskanzler, ich wollte mich bei Ihnen bedanken...", fing ich an. "Oh bitte, das war doch keine große Sache!" Er sah sich dabei im Spiegel an. "Doch, natürlich war es das! Ich meine, Sie hätten doch wirklich..." - "Hätte ich sie auf dem Kies im Regen alleine lassen sollen? So viel Gentleman bin ich dann doch!", lachte er. Hatte er Angst über das Päkchen zu reden? "Herr Bundeskanzler, wissen Sie, ich habe sie ja nicht nur aus beruflichem ähm Interesse einladen lassen, ich... ich...". Er sah mich verwirrt an. "Ich verstehe nicht". "Herr Bundeskanzler, ich habe mich sehr sehr über diese kleine oder eher große Aufmerksamkeit gefreut und dass Sie das als Hilfspaket sozusagen verkleidet haben, das..." - "Helfen Sie mir bitte auf die Sprünge, ich habe keine Ahnung wovon Sie reden!" Ich sah ihn entgeistert an. Er verstand es gerade tatsächlich nicht. "Ich rede von dem Paket, dass Sie mir geschickt haben!" Er sah mich mit offenem Mund an, fing dann aber an leise zu lachen. "Ich habe Ihnen ganz sicher kein Paket zukommen lassen, ich weiß ja nicht einmal wo Sie wohnen!"-"Sie haben es mir ins Büro schicken lassen!"- "Habe ich nicht!", wehrte er sich. Ich glaubs nicht! "Sie müssen sich irren! Ich war das nicht!" - "Ich zeigs Ihnen!" Ich stand auf. Er zögerte kurz, stand dann aber auch auf. Obwohl ich noch haufenweise Nadeln in den Haaren hatte und Gernotina noch nicht fertig war, verließ ich die Maske. Er folgte mir durch das Gebäude bis in mein Büro. Ich hatte das Paket natürlich über Nacht mit nach Hause genommen, aber ich hatte es wieder mitgebracht. Ich öffnete die Schublade, in die ich es gelegt hatte... doch sie war leer. "Es ist weg!" - "Was sollen diese kindischen Spielchen!" - "Das ist... das war so! Es ist kein Paket für mich abgegeben worden!" - "Das kann schon sein, aber es war nicht von mir! Weshalb sollte ich Ihnen überhaupt etwas schicken? Es hätten doch wohl eher Sie einen Grund mir etwas als Dankeschön zu schicken und selbst das würde ich seltsam finden!" Was? Ich sah ihn entgeistert an. "Sind wir hier fertig?" - "Der Brief war mit Sebastian Kurz unterschrieben worden! Und... und im Paket waren ein Regenschirm und ein wasserfester Notizblock!" Ich begann panisch zu werden. "Hören Sie, das ist sehr süß, aber das war ich nicht" - "Aber wer sonst hat davon gewusst??" - "Na, alle, die die Pressekonferrenz angesehen haben!" - "Die wissen aber nichts von den nassen Notizen!" - "Da wollte sich dann wohl irgendjemand aus ihrem Team einen Scherz erlauben!" Er wurde sauer. Und ich war so unfassbar traurig. Und dann wusste ich plötzlich, wer es gewesen sein muss: Estelle. Sie wollte mich aus der Bahn werfen, damit ich die nächsten Tage nicht meine gewohnte Leistung bringen konnte und alles versaue. "Dieses elendige Miststück!", presste ich hervor. Er sah mich hilflos an. Ich versuchte Tränen zurückzuhalten. Für Sebastian bin ich... also nichts? Ich schniefte. "Oh Gott, Helena! Es tut mir leid! Ich... ich wollte Sie nicht kränken, ich war..." Nicht weinen, bloß jetzt nicht weinen!! Sebastian wusste nicht, was er tun sollte. "Soll ich Sie alleine lassen?", fragte er vorsichtig. Ich schüttelte den Kopf. "Geht schon wieder", hauchte ich. "Ist ja nichts passiert, ist ja nicht so, als würde das jetzt die Welt für mich sein, es... ich habe mich gestern einfach nur gefreut und ich glaube ich habe heute zu wenig geschlafen oder vielleicht bekomme ich meine Tage, dass mich das so mitnimnt, ich meine, ist ja nicht so, als würden Sie mir menschlich etwas bedeuten". Ich atmete noch einmal tief durch und ging voran aus meinem Büro. Ich riss mich zusammen. Dieses Interview muss professionell und gut werden! Estelle darf ihr Ziel nicht erreichen! Auf halben Weg holte Sebastian mich ein und ging neben mir her. "Es tut mir leid, dass ich grade so ungehalten war, ich war einfach so verwirrt!", gab er zu. Ich nickte. "Ist okay, ist absolut in Ordnung" - "Kann ich das wieder gut machen?", fragte er. vorsichtig. Ich blieb stehen und sah ihn direkt an. "Ihre Augen sind rot!", rief er besorgt. "Wie lange haben wir noch Zeit?"- "Zehn Minuten"-"Scheißdreck, meine Haare sind noch nicht fertig!" Wir liefen wie von der Tarantel gestochen hoch zur Maske. Aber Gernotins und Waltraud waren nicht mehr da. "Verdammt!", rief ich panisch. "Setzen Sie sich! Ich mach das!"- "Können Sie das??" - "Ich habe eine Freundin mit langen Haaren!" Genau, reibs mir unter die Nase! Ich setzte mich auf den Stuhl und er zog vorsichtig die Nadeln aus meinen Haaren, mit denen Gernotina die Locken zum Auskühlen festgesteckt hatte. Er berührte mich ständig undbdad machte mich wahnsinnig. "Sie haben wunderschönes Haar", murnelte er. "Danke", hauchte ich. Unsere Blicke trafen sich im Spiegel. Er griff zur Bürste und ging jede Sektion einzeln durch um sie anschließend aufeinanderzulegen. Mir wurde ein wenig heiß, als er an meinen Haaren zog. Wie geschickt seine Hände doch sind. Ich beobachtete ihn genau ihm Spiegel. Zu guterletzt fixierte er sein Werk mit Haarspray und strich mit den Fingerknöcheln darüber. "Wunderschön", hauchte er. "Danke", hauchte ich zurück. Er legte seine Hände auf meine Schultern und ich drehte meinen Kopf zurück um ihm ins Gesicht sehen zu können. Er war so hübsch. "DA seid ihr?! Ja spinnts ihr total, ihr könnts doch ned weglaufen!", rief Armin. "Es tut mir leid, ich.. wir..."- "Wir mussten etwas aus der Welt schaffen", meinte Sebastian. Ich sah ihn kurz an und nickte. Armin seufzte und gab uns einen Wink mit ihm zu kommen. Wir folgten Ihm in das große, helle Interviewzimmer. Wir waren weder die Fragen, noch den allgemeinen Ablauf durchgegangen. Ein Glück, dass es keine Lifesendung war! Sebastian und ich setzten uns und gaben unser bestes. Armin zeigte uns mit dem Daumen an, dass ihm gefiel, was wir taten. Wir brauchten etwa eine Stunde für das Interview. "Helena, das hast du sehr gut gemacht. Ich hätte mir zwar ein wenig mehr... Provokation, nennen wir es so, gewünscht, aver dennoch hat mir sehr gefallen, was du gemacht hast. Der Bundeskanzler schien ein wenig... nachdenklich gewesen zu sein", meinte Armin und sah mich eindringlich an. "Möglich", meinte ich etwas zu schrill. "Was musstet ihr denn aus der Welt schaffen" - "Nichts. Also ein Missverständnis" - "War das Paket von ihm?" - "Weshalb weiß jeder über dieses scheiß Packet Bescheid?!" - "Helena! Ist es von ihm oder nicht?"- "Nein!" Sebastian sah uns aus dem Augenwinkel an. "Ich habe dich sehr gern, Helena. Und deshalb gebe ich dir einen der wichtigsten Erkenntnisse, zu denen ich selbst gekommen bin: du darfst privat parteipolitisch sein! Aber das darf sich nicht auf deine Arbeit auswirken. Und wenn du dir etwas mit Politikern anfängst, dann kannst du nicht mehr professionell als Journalistin beim ORF arbeiten. Deine Arbeit muss parteiunabhängig bleiben,
klar?" Ich schluckte und nickte. "Verstanden". Ich drehte mich von Armin weg und ging zurück zur Maske. Sebastian war nicht mehr da. Das wars dann wohl. Ist laut Armin ja auch besser so. Ich wollte zurück hinter den Vorhang und mich umziehen. Als ich den Vorhang beiseite schob, in die Kabine ging und den Vorhang wieder vorzog, sah ich Sebastian auf dem Stuhl in der Kabine sitzen. Oh Schreck. Sebastian deutete mir leise zu sein. "Armin mag mich nicht", flüsterte er. "Ich wollte Sie nicht in Schwierigkeiten bringen, wenn ich noch länger im Studio mit Ihnen gesprochen hätte. Also: Ja, ich möchte das irgendwie wieder gut machen, zumal... zumal ich finde, dass Sie keine Arschloch Journalistin sind"-"Na vielen Dank auch!"- "Nein, ich meinte damit... Sie sind eine menschliche Journalistin. Die meisten Journalisten sind so... ungut. Die wollen mich nur erniedrigen, die wollen einen Schwachpunkt finden, die wollen... die wollen mich schlecht aussehen lassen. Die sind hinterlistig. Und bei Ihnen habe ich das Gefühl, dass Sie nicht so sind. Dass Sie tatsächlich interessiert an dem sind, was ich sage und dass Sie einfach nur die Wahrheit wissen und mich nicht bloßstellen wollen". Das träume ich doch. "Ähm... danke". "Helena, was brauchst du denn so lange zum Umziehen??", fragte Armin. "Oh, ich... ähm die Bluse klemmt im Reisverschluss und ich ähm..." Sebastian versuchte nicht laut loszulachen und ich musste mich auch zusammenreissen. Er versuchte die Kravatte zu lockern um nicht husten zu müssen. "... und ahm, meine Kravatte sitzt zu eng..." Sebastian warf den Kopf in den Nacken und schlug sich dabei an der Wand an. Ich lachte laut los, weil das so süß ausgesehen hatte. "Helena?", fragte Armin wieder. "Ich habe außversehen zwei verschiedene Socken mitgenommen, deshalb lache ich so". Sebastian hielt sich den schmerzenden Kopf und unterdrückte es zu lachen. "Ich bleib da, bis du umgezogen bist, wir müssen jetzt dann sofort das nächste Interview besprechen!" Verdammt. Ich sah Sebastian an. Er verdrehte sie Augen und hielt sich beide Hände vors Gesicht. So habe ich es mir zwar nicht vorgestellt, wenn ich mich zum ersten Mal vor ihm ausziehe, aber wenn er nicht hinschaut, dann zählt das ja nicht als erstes Mal ausziehen. "Ich schau eh nicht hin", zischte Sebastian leise. Ich atmete tief ein und aus und zog mich rasch bis auf die Unterwäsche aus. Ich gestand es mir nicht ein, aber mich vor ihm auszuziehen weckte Lust in mir. Als ich zur Tasche mit meinen Klamotten greifen wollte, sah ich, dass Sebastian durch seine Finger linste. Dieser Arsch! "Hey!" Sofort zuckte er zusammen. "Was ist da los?!", fragte Armin harsch. "Nichts!" Zum Glück habe ich mich gestern noch rasiert! Ich beugte mich runter zu Sebastian und flüsterte:"Arschloch". Ich zog mich schnell an. Als ich fertig war, zerrte ich seine Hände von seinem Gesicht. "Das kostet Sie mehr als eine kleine Wiedergutmachung!"-"Ich lade Sie zum Essen ein!" Himmel. "Morgen Abend, 7 Uhr, wir treffen uns im Stadtpark. Einverstanden?" Ich sah ihn perplex an. "HELENA?!?!" Armin, sei leise! "Sag äen Sie ja!" drängte Sebastian mich. "Okay ja!" Ja natürlich! Er lächelte. "Ich bin fast soweit Armin ähm... könntest du mir bitte die Tasche aus meinem Büro bringen? Ich hab meine Tage bekommen und würde gerne ein frisches Höschen ..." Sebastian mir gegenüber grinste schelmisch. "Ja", seufzte Armin. Als wir uns sicher waren, dass er weg war, schlüpften wir aus der Kabine. Gernotina starrte uns mit offenem Mund an. "Nicht was du denkst!" - "Ihre Bluse hat im Reisverschluss geklemmt und ich musste ihr helfen!" Gernotina nickte kurz. "Auf Wiedersehen, Herr Bundeskanzler", meinte ich und streckte ihm die Hand entgegen. "Auf Wiedersehen, Helena. Morgen, sieben Uhr, Stadtpark", flüsterte er Ich nickte und lächelte. Er wandte sich um zu gehen. Wir haben ein Date!

Die Staatsaffäre -eine skandal- und intrigenreiche Fanfiction mit Sebastian KurzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt