Leere Gedanken

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POV: Simon
Als Simon am nächsten Morgen aufwachte, fand er nicht die Kraft, aufzustehen. Ihm fehlte die Motivation, seinen Oberkörper aufzurichten und sich von seinen Beinen in den nächsten Raum tragen zu lassen. Also überlegte er, ob es nicht einfacher wäre, im Bett zu bleiben und so war es. „Simon, wir müssen los!", rief Sara aus dem Flur und wartete keine Antwort ab, sondern verschwand wieder in ihrem Zimmer. Simon bewegte sich kein Stück. Erneut kam seine Schwester ins Zimmer, doch er sagte ihr, er sei krank und sie verließ alleine das Haus.
An diesem Morgen verging die Zeit so langsam, wie lange nicht mehr. Es war kaum zu ertragen und als er gerade fast wieder eingeschlafen wäre, klingelte sein Handy. Der Bildschirm leuchtete auf und zeigte ein Bild von Ayub. Vorsichtig nahm er den Anruf entgegen. „Hey, was gibt's?", fragte er und in Simons Stimme konnte man seine Müdigkeit deutlich hören. „Schalt sofort deinen Fernseher an!" Ayub klang am Telefon fordernd und wirklich ernst, doch Simon war erst einmal nur verwirrt und tat nicht direkt, was sein Freund ihm sagte. „Was ist denn so wichtig?" „Komm schon! Vertrau mir, es ist ernst." Auch wenn er immer noch nicht ganz verstand, was los war, verließ Simon endlich sein Bett und ging ins Wohnzimmer. Ayub erklärte ihm aufgeregt, welchen Sender er einschalten sollte und, dass er ein paar Minuten zurückspulen musste, um es nicht zu verpassen. Simon tat das, was ihm gesagt wurde und spulte bis zum Anfang der Sendung zurück. Natürlich wusste er nicht, was ihn erwartete, doch als er es sah, blieb sein Herz stehen. Er blickte direkt in seine unverkennbaren Augen und in seinem Kopf drängte sich nur ein Wort in den Vordergrund: „Wilhelm". Es war ein Interview von ihm und August im Schloss. Doch wieso saßen die Beiden nebeneinander? Worum ging es hier, dass Ayub so darauf bestand, dass Simon sich das ansah? Schließlich kam er an die Stelle, an der das Interview begann und stoppte. Bereit fühlte er sich gerade nicht. Seine Aufregung und seine Angst, etwas wirklich schlimmes zu hören, waren zu groß. Aber er musste es sich einfach ansehen, also drückte er auf Start. „Der Anfang ist noch uninteressant", hörte Simon Ayub ins Telefon sagen. In Wahrheit aber, fand er es überhaupt nicht uninteressant, denn er wollte nie aufhören, Wilhelms Stimme zu lauschen und zuzusehen, wie er sich bewegte. Selbst die kleinsten Details raubten ihm den Atem. Die Art, wie er sich durch sein Haar strich, oder wie er sprach, wenn er nervös wurde. Eben Dinge, die wohl niemandem sonst aufgefallen waren, doch Simon konnte seinen Blick nicht vom Fernseher abwenden. Dabei vergaß er sogar, dass er auf eine wichtige Stelle wartete. „Jetzt musst du aufpassen!", betonte Ayub und Simon wurde aus seinen Gedanken gerissen. Also konzentrierte er sich auf das, was Wilhelm sagte und weniger auf seine Bewegungen. Anfangs versuchte er langsam, ruhig und kontrolliert zu atmen, doch innerhalb von Sekunden konnte er es nicht mehr. Hatte Wilhelm das gerade wirklich vor laufender Kamera gesagt? Es war nicht zu fassen. War das die Wirklichkeit oder träumte Simon nur wieder? Nein, das konnte kein Traum sein, es fühlte sich zu real an. Was passierte hier? Wilhelm hatte sich geoutet. Er hatte der ganzen Welt sein Geheimnis verraten. Nun war es offiziell. In diesem Moment wusste Simon nichts mehr. Seine Gedanken waren wie gelöscht. Völlige Leere.
Unzählige Fragen umkreisten seinen Kopf. Was würde jetzt passieren? Was bedeutete das für ihre Beziehung und für ihre Zukunft? Würde es irgendetwas ändern? Wahrscheinlich nicht. Doch es gab Hoffnung und das konnte vielleicht die Rettung sein, auf die Simon gewartet hatte.
„Was sagst du, Mann?" Schon wieder hatte er vergessen, dass Ayub immer noch am Telefon war. Er schüttelte den Kopf und antwortete ihm sprachlos: „Ich muss auflegen." Sein Freund versuchte ihn aufzuhalten, doch es war zu spät. Ohne nachzudenken, warf er sein Handy aufs Sofa und ging in die Küche. Simon bekam kaum Luft und er rieb sich mit seiner Hand durchs Gesicht. Was sollte er jetzt tun? Er konnte Wilhelm jetzt nicht einfach anrufen. Wahrscheinlich war er gerade viel zu beschäftigt damit, mit seiner Mutter zu diskutieren und sich dafür recht zu fertigen, dass er etwas gesagt hatte, was für immer ungesagt bleiben sollte. Sie würde wohl nie zugeben, dass es falsch war, seine Sexualität zu verleugnen. Egal was er auch machte. Doch endlich hatte Wilhelm sich behauptet und bewiesen, dass Simon ihm wichtig genug war, alles andere für ihn aufzugeben. Die Bindung, die seine Familie zusammenhielt, hatte er nun einfach so durchbrochen.
Plötzlich fing Simons Handy erneut an, zu vibrieren und er wurde angerufen: „Wille" leuchtete auf dem zuvor schwarzen Bildschirm auf. Nun war er sich sicher, dass seine Hoffnung nicht nur aus leeren Gedanken bestanden hatte. Es war echt, so wie Wilhelm es ihm gesagt hatte. Die Gefühle, die Berührungen, die Blicke, all die Emotionen, die Simon gespürt hatte, wenn er ihm nahe war oder nur an ihn dachte.
Voller Freude nahm er den Anruf entgegen. „Wille?" Er konnte sein Lächeln nicht unterdrücken, wollte es auch nicht. „Hey. Hast du es gesehen?" Wilhelms Stimme klang aufgeregt und etwas zittrig. Als Simon zu sprechen begann, konnte er all die Gedanken, die aus ihm heraus platzten, kaum bremsen. „Ja, ich hab es gesehen. Wie geht's dir? Was hat deine Mutter gesagt? Ich meine, sie hat es bestimmt nicht so gut aufgenommen. Oder wusste sie etwa, dass du vorhattest, es allen zu sagen? Nein, das glaube ich nicht. Ich weiß gar nicht...". Simon konnte nicht weiterreden, denn Wille unterbrach ihn mitten im Satz: „Warte, warte! Das ist doch alles unwichtig. Die einzige Frage, die du dir im Moment stellen solltest, ist, wie wir uns schnellstmöglich sehen können. Kann ich zu dir kommen?"
Simon konnte nicht antworten. Sein Mund stand ein Stück weit offen und es kam kein Ton heraus. Er war wie gelähmt, doch im Inneren fühlte er alles andere, als Stille. Und trotzdem wusste er nicht, was er sagen sollte. Natürlich wollte er Wille jetzt sehen, aber ihrer Liebe stand doch immer noch so vieles im Weg. Niemand konnte wissen, wie es nun weitergehen würde, denn so oft Simon auch geglaubt hatte, es zu wissen, er wurde immer wieder enttäuscht und das konnte er nicht mehr ertragen. Nicht schon wieder. Eigentlich war dieser Moment doch alles, was er wollte. Wieso war es dann jetzt so schwer, die richtige Antwort zu geben?

Young Royals Staffel 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt