Augenkontakt

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POV: Simon
„Komm, steh auf! Es ist sowieso schon so spät, Simon." Sara warf ihm ein Kissen ins Gesicht. „Lass mich schlafen", entgegnete Simon genervt. Er hatte keine Energie, war niedergeschlagen, müde, wütend, vor allem aber war er traurig. Zu jeder Tageszeit überkam ihn diese Traurigkeit. „Hey, was hast du denn mit deinem Handy gemacht?" Am Ende des Betts lag Simons Handy, dessen Bildschirm kaum rissiger sein könnte. „Oh Scheiße", murmelte er in sein Kissen, als er sah, was Sara in ihrer Hand hielt.  Das hatte er über Nacht total vergessen. Oder vielmehr hatte er gehofft, den Anruf bloß geträumt zu haben. Dies war nun aber der endgültige Beweis dafür, dass Simon tatsächlich versucht hatte, Wilhelm zu erreichen und dieser hatte nicht abgehoben. Und das machte die ganze Sache so unangenehm. Was dachte er sich nur, wenn er bald sehen würde, dass er angerufen wurde. Oder hatte er es sogar schon gesehen? Bestimmt hatte der Kronprinz wichtigeres zu tun, als Anrufe von hoffnungslos verliebten Teenagern anzunehmen. An dieser Stelle bremste Simon seine eigenen Gedanken. Das ging zu weit. Er wusste selbst, dass er zu viel darüber nachdachte und, dass er sich zu tief hineinsteigerte, sodass irgendwann Bilder in seinem Kopf entstanden, die wahrscheinlich weit von der Realität entfernt waren. Er stand auf und nahm Sara das Handy aus der Hand, um nachzusehen, ob es noch funktionierte. Aber nein. Simon hatte kein Glück, denn außer den Rissen war im Bildschirm nichts mehr zu sehen. „Ich glaube du brauchst jetzt ein neues, Simon", sagte Sara und klang dabei fast, als hätte sie Mitleid mit ihm. Als Antwort seufzte Simon nur laut und verließ das Zimmer.
Die Schule verlief, wie an jedem anderen Tag auch und genauso wie Wilhelm, hatte Simon seinen Kopf nicht da, wo er sein sollte. Seine Gedanken schweiften ab, denn für ihn war an diesem Tag nichts wichtiger, als der Junge den er liebte. Von ganzem Herzen und scheinbar hoffnungslos. Nicht einmal anrufen konnte er noch und ein neues Handy brauchte er nun auch. Doch wozu eigentlich? Es würde ihm sowieso nichts mehr nützen, denn Wilhelm hatte sich längst gegen ihn entschieden. Er war weg und es gab keine Chance mehr, ihn zurückzugewinnen. Alles würde dadurch noch komplizierter werden. Das was Simon am liebsten tun würde, würde Wilhelms Leben erneut durcheinanderbringen. So wie schon viel zu oft. Und dann war es offensichtlich, dass er sich wieder und wieder um entscheiden würde. Outing oder kein Outing?
„Verdammt", sprach Simon leise aus. Sara drehte sich verwirrt zu ihm um und warf ihm ein paar verurteilende Blicke zu. Sie saßen mitten im Unterricht, aber er war nicht bei der Sache. „Wie kann ich mir je sicher sein, dass ich das bin, was Wille wirklich will?", führte er seinen Gedanken weiter aus, diesmal jedoch leise und nicht so, dass jeder mithören konnte.
Sein Unterbewusstsein sagte Simon, dass die Gefühle echt waren und dass ihre Anziehung zu stark war, um jetzt aufzugeben. Er wusste auch, dass er nicht der einzige gewesen sein konnte, der derartige Emotionen gespürt hatte. Wenn er daran dachte, wie sie sich in die Augen gesehen hatten, dann wusste er, es war echt. Und es war noch nicht zu Ende. Doch etwas in ihm wollte ihn vom Gegenteil überzeugen. Aus diesem Grund schwankten Simons Gefühle immer wieder um. Von positiv zu negativ und das Ganze wieder und wieder. Er wollte Wilhelms Leben nicht verkomplizieren, doch da er sich sicher war, dass er ihn liebte, dachte er auch, dass er das war, was Wille brauchte. Es konnte nicht falsch sein, wenn es sich so richtig anfühlte, oder?
Nach der Schule saß Simon still mit seiner Familie am Esstisch. Er gab fast keinen Ton von sich. Plötzlich klingelte es an der Haustür. „Wer könnte das sein?", fragte Simons Mutter und legte ihr Besteck zur Seite. Er verdeutlichte mit einer Geste, dass seine Mutter sitzen bleiben sollte und stand selbst auf, um zur Tür zu gehen. Als er diese geöffnet hatte, war er nicht überrascht. „Hey, wollen wir spazieren gehen?" Simon zögerte und wusste nicht genau, was er sagen sollte. Gestern war ihm klar geworden, dass Fynn bloß eine Ablenkung war. Er war nicht die Person in Simons Kopf, denn es gab dort nur Platz für einen. Doch dann dachte er weiter darüber nach. Wieso konnte Fynn nicht einfach nur ein Freund sein? Mit ihm rauszugehen, bedeutete noch lange nicht, dass er Wilhelm ersetzten würde. Das konnte niemand. „Ja, ich komme mit dir." Simon nahm seine Jacke und rief seiner Mutter zu, dass er bald wiederkommen würde.
„Wo gehen wir hin?", fragte Simon neugierig und Fynn schüttelte lächelnd den Kopf. „Lass mich dich führen. Dir werden diese Orte nicht neu sein, das weiß ich." Simon schenkte diesen Worten weniger Aufmerksamkeit, als er es noch gestern getan hätte. Er bemerkte, dass Fynn nicht ohne Hintergedanken so mit ihm sprach, doch er antwortete ohne besondere Emotionen. Nun war ihm bewusst, dass er nicht diese Ablenkung für ihn werden durfte. Für einen kurzen Augenblick mochte er Simon den Kopf verdreht haben, doch damit war nun Schluss. Er spürte, wie er die Kontrolle über seine eigenen Gedanken gewann und wie er sich immer mehr auf Wilhelm fokussieren konnte.
Fynn und Simon schwiegen eine Weile, während sie nebeneinander liefen. „Da sind wir." Fynn grinste. „Der Fußballplatz?" „Keine gute Idee?", überlegte er kurz und sagte dann mit beruhigender Stimme: „Vertrau mir, das wird super!" Mitten auf dem Platz lag ein Fußball, den Fynn direkt aufhob. Er warf ihn Simon entgegen, um zu spielen und in diesem Moment hatte Simon Spaß, denn er konnte alles um sich herum vergessen. Er rutschte aus, schoß daneben, lachte und war einfach glücklich, nur in diesem Augenblick. Langsam bemerkte er, wie ihm Fynn immer näher kam. In seiner Hand hielt er den Ball und kurz dachte Simon, er würde ihm den Ball gleich entgegenhalten, doch er tat genau das Gegenteil. „Den brauchen wir nicht mehr. Wir haben genug gespielt", flüsterte Fynn und plötzlich spürte Simon, dass ihm sein Gegenüber nah sein wollte. Er stand nun so nah vor ihm, dass ihm Fynn tief in die Augen sehen konnte, doch es fühlte sich anders an. Etwas hatte sich verändert, denn auf einmal bemerkte Simon, wie falsch das hier war. Er senkte den Kopf und drehte sich zur Seite. „Alles gut bei dir?" Fynn berührte sanft mit seiner Hand Simons Wange, sodass er ihn wieder ansah. „Ich...ehm...ich..." Simon brachte keine Worte mehr hervor, sondern stammelte nur noch vor sich hin. „Ist schon okay, red mit mir", versuchte Fynn ihn zu beruhigen, doch es nutzte nichts. Kopfschüttelnd nahm Simon Fynns Hand und hielt sie so, dass sie nicht mehr seine Wange berührte. Er atmete immer schneller und sein Herz klopfte höher und höher. Simon war verwirrt, als er Fynn in die Augen sah. Sein Blick war beinahe leer und er konnte nicht mehr klar denken. Er wollte sich nicht darin verlieren. Trotz allem schien Fynn nicht zu bemerken, wie er sich dabei fühlte, als er sich immer weiter zu ihm beugte und -
„Warte, warte, stopp!"

Young Royals Staffel 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt