Prolog Teil 2

289 57 21
                                    

Prolog Teil 2

Ich lag unter der warmen Bettdecke und starrte auf den Bildschirm. Der Mond war schon längst aufgegangen und echte Sterne funkelten am Himmel. Die Poster sahen im Dunkeln noch realer aus als am Tag und ich fühlte, wie mich die Wälder anzogen. Wie ein Magnet. Ich war der eine. Die Wälder der andere. Nur zusammen waren wir stark. So dachte ich oft. Und nun würde mein Traum vielleicht endlich in Erfüllung gehen.
Svenja hatte hundertmal angerufen, um mir den Gedanken aus dem Kopf zu streichen, aber er saß so fest darin, dass nicht einmal Samson ihn hätte rausreißen können.
Bisher hatte niemand auf meine Ankündigung reagiert. Die Zeit verstrich. Die Kirchenglocke läutete. Die Nacht wurde stiller. Und noch immer hatte sich niemand gemeldet. Schließlich schlief ich ein.

Am Morgen wurde ich von meiner Stiefmutter geweckt. Sie tobte durch das Haus und man hätte meinen können, ich wäre der Grund zur Aufregung, denn der war ich immer. Aber heute nicht, heute war es eine Dame aus Italien, die gestern abend zwei edle Vasen im Eingang umgestoßen hatte. Anscheinend hatte sie sich zu sehr die Nase begossen. Mich kümmerte das eigentlich nicht. Bald würde ich weg sein. Weit weg. Wo mich niemand finden konnte. Dort, wo ich mit fünf anderen Jugendlichen leben würde. In Finnland.Begierig klappte ich meinen Laptop auf und prüfte den Stand der Dinge. Und tatsächlich! Einer hatte sich gemeldet, beziehungsweise eine. Ich jauchzte auf und sprang vom Bett. Auf einmal kam mir der Tag doppelt so schön vor.
Emily Grace hieß das Mädchen. Sie kam aus Bayern und war 18. Ein Jahr älter als ich. Das passte perfekt. Emily hatte ziemlich viel geschrieben. Zum Beispiel, dass sie früher in Australien gelebt hatte und ihre Eltern geschieden waren. Daraus schloss ich, dass sie eine grausame Stiefmutter oder einen teuflischen Stiefvater haben musste, genau wie ich, und dass sie vielleicht die selben Probleme hatte wie ich oder Lust auf ein Abenteuer hatte.
Sofort schrieb ich ihr zurück.
Ich: Hi, Emily. Ich freue mich wirklich, dass du dich entschieden hast, mitzukommen. Du bist bisher die Erste, aber ich bin mir sicher, dass bis Montag alle Plätze besetzt sind. Es wird ein unvergessliches Jahr werden. Das verspreche ich. Wenn sich die anderen melden, gebe ich dir Bescheid, damit wir uns über Skype besser kennenlernen können.Viele Grüße, Finja
PS.: Warst du schon einmal in Finnland? Emily: Hallo, Finja. Nein, ich war noch nie in Finnland. Aber das ist auch gut so, denn ich möchte neues entdecken. Verstehst du? Landschaften, Kultur und so. Warst du schon mal dort? Wie bist du auf Finnland gekommen? Kennst du dich dort aus?
Ich: Nein. Außer in der Fantasie, aber das zählt ja nicht. Ich heiße Finja und in dem Namen steckt Fin, und Fin steckt wiederum in Finnland. Ich weiß, ziemlich albern, oder? Aber ich möchte in das Heimatland meines Namens. Wenn ich Freizeit habe, studiere ich Karten von Finnland und lerne etwas über die Nahrungsquellen. Sprechen kann ich finnisch leider nicht.

Es dauerte eine Weile, bis Emily wieder zurück schrieb.

Emily: Der Name Finja kommt nicht aus Finnland. Es ist unklar woher genau, aber man vermutet, dass Finja aus dem Russischen oder dem Irischen, dem Keltischen oder dem Friesischen kommt. Also, aus dem Norden, aber nicht aus Finnland. Ach ja, in Schweden gibt es ein Dorf Namens „Finja".

Immer hatte ich gedacht, der Name kommt aus dem Finnischen. Und jetzt doch nicht? Wieso kam ich nicht auf die Idee, im Internet nachzuschauen? Ich hatte es eindeutig mit einer Besserwisserin zu tun. Auch das noch! Ich stellte den Laptop auf den Tisch. Niemals würde ich zurückschreiben. Das war zu peinlich. Na gut, am Sonntag  müsste ich ihr spätestens antworten, damit sie sich auf alles vorbereiten kann.

Es war Sonntagabend. Ich packte meinen Rucksack. Am Nachmittag hatte ich in der Stadt alle wichtigen Sachen besorgt. Unter anderem den Rucksack. Es war ein Deuterrucksack. 199 Euro. Ein kleines Vermögen, aber ich hatte von meinem Vater bevor er starb einen Briefumschlag zu gehsteckt bekommen. Für Notfälle. Die Verkäuferin hatte mir dazu eine Hüfttasche geschenkt. Keine Ahnung warum. Im Intersport hatte ich mir noch Outdoorunterwäsche, Skisocken und neues Imprägnierspray gekauft. Außerdem noch ein paar richtig gute wasserdichte Wanderschuhe. Gerade war ich damit beschäftigt, Klamotten in Stoffbeutel zu legen. Danach kamen zwei Decken und ein Schlafsack, der bis zu -30°C aushalten konnte. Die Ersatz Winterjacke stopfte ich noch dazu sowie zwei paar Handschuhe, ein paar fingerlose und ein paar wasserfeste, zwei paar Stulpen und ein Stirnband. Den Kulturbeutel, der auch Medizin enthielt, und das Imprägnierspray quetschte ich eine Seitentasche und eine Thermosflasche in die andere. In das obere Fach gesellte sich zu einem Fotoapparat ein Tagebuch mit Stiften. In die Hüfttasche steckte ich 50 Euro und eine Dose mit Teebeuteln und getrockneten Früchten. Die Isoliermatte klemmte ich zwischen die Riemen meines Rucksackes.Anziehen würde ich meine geliebte Strickjacke, eine Weste und meine Winterjacke. Dann würde ich mir noch die Regenjacke, die man zusammenknüllen konnte und aus deren Taschen man einen Beutel zaubern konnte, um meine Taille binden. Alles klang perfekt und morgen konnte die Reise endlich beginnen.

*Sonntag war ein Geschäftsoffener Sonntag

Traumpfad (Bis 2045 pausiert!) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt