Kapitel 1

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Ich klammerte mich an meinen Rucksack, als wäre der Rucksack meine letzte Hoffnung. Vor mir standen sie. Sie, mit denen ich ab jetzt zusammenleben würde. Aber gerade schaute ich der Reise mit kritischen Augen entgegen. Franz, der über Skype ein Bild von sich geschickt hatte, wo er mit einer Baseballcape am Strand von Mal Pas stand, sah jetzt nicht annähernd so muskulös aus wie auf dem Bild. Er war so dick und so fettig wie ein Stück Butter. Ich fragte mich, wie er wohl in einem Wald in der Kälte überleben kann. Auf jeden Fall war seine Stärke bestimmt nicht laufen, bei dem Bauch. Und wenn er nicht wandern konnte, konnte er gleich hier bleiben.

Franz stand neben seiner Schwester Franziska, die auch nicht die Dünnste war, jedoch sportlich aussah.

Aber jetzt war es zu spät, um die Pläne wieder zu ändern und auf Skype hatte ich nur nach Können und Teamgeist gefragt. Wir standen am Flughafen in Frankfurt und in einer halben Stunde würde es los gehen. Franz hatte vier gefälschte Unterschriften dabei. Die Flugerlaubnis für uns alle. Jede Unterschrift war die selbe, also bedeutete das, dass wir als Geschwister durchgingen. Wenn das keine Folgen haben würde!

Emily, die fast weiße Haare hatte, ging heute schon zum vierten Mal auf die Toilette und kam danach mit grünem Gesicht zurück.

Wir kauften uns Kaugummi für den Flug und Wasser für den ersten gemeinsamen Abend. Die anderen zwei würden uns in Finnland empfangen, da sie dort lebten. Ich spürte ein angenehmes Kribbeln im Bauch.

Eine Weile später landete das Flugzeug, auf dass wir alle gewartet hatten. Als ein Mann die Passagiere aufgerufen hatte, dass Flugzeug nun zu besteigen, drängelte ich mich an die Spitze. Emily holte mich ein und zog mich zurück zu den Anderen.

„Finja! Wir sind Gruppe C und jetzt dürfen erst die Gruppen A & B an Bord. Danach sind wir, gedulde dich!"

So eine Besserwisserin! Ich lächelte und sagte fröhlich: „Ich freue mich nur so." Natürlich hätte ich Emily am liebsten wütend angeschrieen.

Franziska schaute mich abschätzend an und schüttelte bloß den Kopf. Ihr langer Pferdeschwanz schwippte dabei nach rechts und links und traf eine Frau mitten im Gesicht.

„Pass doch auf!", sagte sie genervt und eilte mit ihrem kleinen Sohn an uns vorbei. Diesmal hatte ich das Vergnügen, den Kopf zu schütteln. Es klappte, und Franziska drehte sich wieder zu ihrem Bruder um.

Dann waren wir an der Reihe. Ich vergaß fast meinen Rucksack, den ich abgesetzt hatte, weil die Wartezeit so ewig war.

Im Flugzeug war es stickig. Das war das Erste was mir auffiel, dann der kleine Junge von vorhin, der von seiner Mutter abgeknutscht wurde und zu guter Letzt, bevor ich mich setzte, ein Mädchen, welches sich in einer Tüte erbrach. Jetzt schon. Ich saß neben Emily, besser als neben einer dieser Geschwister, doch später wünschte ich mir einen anderen Platz. Emily erzählte die ganze Zeit, von ihren Geschwistern, von Bayern und wie schön es dort sei, und wie sie jetzt schon ihre Geschwister vermisste. Gelangweilt fragte ich sie: „Warum bist du dann mitgekommen?" Emily seufzte und schwieg. Sie wollte nicht darüber reden, dass verstand ich, aber wieso beklagte sie sich jetzt schon? Die Landschaft war atemberaubend. Die Ostsee glitzerte und das Wasser war ganz ruhig. Finnland jedoch war noch Millionen Mal schöner. Diese riesigen Wälder! Diese Seen! Es erinnerte mich an mein Zimmer. Dort lag jetzt ein Zettel, geschrieben von mir und nur ganz kurz: Sibilla, du brauchst dir keine Sorgen um mich machen (das machst du sowieso nie, eher wirst du jetzt jammern, dass du niemanden mehr hast, der deine Unterlagen ordnet). Mir geht's gut. Such nicht nach mir, dass bringt nichts. Suche dir lieber eine neue Kochhilfe. Finja

Ich hatte den Zettel auf meinen Schreibtisch gelegt, bevor ich aus dem Fenster gestiegen war und mit einem Zug nach Frankfurt gefahren war. Von Svenja hatte ich mich am Abend verabschiedet, per Handy. Ich hätte es nicht übers Herz gebracht, sie nocheinmal in die Arme zu schließen. Sie hatte mir versprochen, nichts zu sagen. Hoffentlich hielt sie es auch.

Traumpfad (Bis 2045 pausiert!) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt