Kapitel 5

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Das Waisenhaus

„Schaut euch das mal an!" Ich öffnete meine Augen und schloss sie gleich wieder, denn grelles warmes Licht blendete mich.
,,Oh mein Gott!" Ich stieg aus meinem Schlafsack und taumelte zur Tür, wo alle standen. Einen Augenblick brauchte ich um zu verstehen, wieso alle so besorgt waren. Aber dann, ich seufzte laut, erblickte ich durch das Guckloch einen enorm hohen Schneeberg. Der die ganze Tür versperrte. Ich riss die Vorhänge zur Seite und sah nichts anderes als schimmerndes Weiß und ein Streifen grün. Wortlos ließen wir uns alle wieder in unsere Schlafsäcke gleiten und beobachteten eine Weile die Gluten.

Franz war der Erste, der etwas unternahm. Er ging zum Kamin und füllte in ein Porzellan Schälchen mit Glut. Ich beobachtete ihn aufmerksam wie er ein Fenster öffnete und den Schnee zum schmelzen brachte. Viel zu schnell hatte ich mir ein Vorurteil über Franz gemacht. Dass er dick war und bestimmt als Erster ausscheiden würde. Mit seinen hervorragenden Techniken und Einfällen, würde er ganz bestimmt überleben. Er konnte das Zelt in weniger als fünf Minuten aufbauen, bekam bei jedem Wetter ein wärmendes Feuer hin, schnitzte wie ein Profi und wusste in jeder Lage was zu tun war. Franziska machte sich auch schon nützlich. Sie kochte Tee und schüttete Trockenobst in eine Schale. Das Trockenobst hatte sie von mir und so fühlte ich mich nicht unnützlich. Emily war wieder eingenickt. Franz hatte es geschafft. Wir stürzten alle zu ihm und umarmten ihn heftig. Er wusste gar nicht, wohin er seine Hände tun sollte und stand einfach nur perplex da. Franziska beobachtete dieses Schauspiel mit zusammengekniffenen Augen. Ich merkte es und wandte mich ab, weil ich es leid war, die ganze Zeit mit Franziska böse Blicke zu tauschen. Das Fenster war nun vollständig von dem Schnee befreit, aber ich erkannte nichts wieder. Die drei kompässe, die wir mit hatten, funktionierten komischer Weise nicht. Aber, ich blickte hoffnungsvoll zu Franz, er würde bestimmt wissen, wo lang wir gehen müssten. Deshalb teilte ich meine Sorgen nicht mit den anderen, sondern aß schweigend das mickrige Frühstück.

Nacheinander kletterten wir nach draußen. Ich konnte mich nur schwer zurück halten, Joel nicht anzublaffen, als er sich an meinen Hüften festhielt, auch wenn er es vermutlich nicht absichtlich tat. Aber ich behielt die Beherrschung. Plötzlich umklammerte er mit seinen Händen meinen Hintern und ich erschrak so doll, dass ich wegsprang und Joel in den Schnee fiel. Ich kniete mich hin, entschuldigte mich und half ihm auf. Dann lief ich zu den anderen. Joel kam langsam hinterher. Die anderen standen am Rande eines Tannenwäldchen und schauten sich fragend an.
„Wisst ihr nicht wo es lang geht?", fragte ich panisch.
„Nein. Und wo hast du Joel gelassen?", fragte Samuel.
„Ich bin hier", Joel kam keuchend zum Stehen. Er war von oben bis unten nass. „Nächstes Mal passt du gefälligst auf. Wegen dir hole ich mir jetzt eine Grippe!" Samuel schaute Joel und mich fragend an.
„Was ist?", schimpfte ich.
Emily machte sich bemerkbar: „Bei solchen Temperaturen und ohne ärztliche Hilfe kann eine Influenza, also die echte Grippe, tödlich verlaufen. Es kann schnell mal zu einer Folgeerkrankung wie der Lungenentzündung kommen."
Wir hatten alle ihrem Vortrag zugehört. Ich stand sprachlos da und wünschte, ich hätte Joel nicht erschreckt. So wäre er nicht in den eiskalten Schnee gestürzt. Joels Mund stand vor Schreck offen und einen Moment wirkte er panisch. Dann besann er sich und meinte: „Ich bin doch nur in den Schnee gefallen. Wenn überhaupt bekomme ich eine leichte Erkältung. Außerdem wart ihr im See und habt euch nichts geholt. Warum sollte ich dann krank werden, wenn ich nur kurz im Schnee lag?", er stockte und schaute uns an. „Leute? Ich konnte ja nicht wissen, welchen Schock ich bei euch auslöse, wenn ich „Grippe" sage. Es ist alles gut. Wirk-", er hustete. Ich kam mir so klein vor. Wenn Joel wirklich eine Grippe bekam, war das meine Schuld! Samuel blickte zu mir. Schnell senkte ich den Kopf. Er wusste, dass ich Schuld war.
„Emily ist ein wandelndes Lexikon!", spottete Franziska. „Lasst uns weitergehen. Sonst holen wir uns alle noch Influenza." Aber wir wussten nicht wo lang und woher wir gekommen, denn die Karte trug Joel bei sich und so wie er, war sie durchweicht. Im nächsten Ort mussten wir uns umbedingt die Kompasse reparieren lassen, sonst wären wir in den weiten Nichts von Finnland verloren und uns nur orientieren nach der Sonne, war gar nicht so leicht. Samuel entschied, dass wir abstimmen sollten. Franziska und Franz waren für das Tannenwäldchen, Emily für den Pfad hinter dem Bungalow, Joel für den Fichtenwald, der links von dem Tannenwäldchen lag und ich für den Kiefernwald, der ein ganzes Stück entfernt lag. Samuel enthielt sich und so gewann das Tannenwäldchen.

Traumpfad (Bis 2045 pausiert!) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt