Es war Kiaras Glück, dass sie sich so fest in Fynn Schultern krallte, dass er leise zischte, als sie über die dämmrige Landschaft preschten. Andernfalls wäre sie vermutlich über den Hintern des Pferdes zu Boden gerutscht. Obwohl es ihr dabei ganz und gar nicht behagte, wandte sie den Kopf um und sah zu dem hell erleuchteten Anwesen in der Ferne zurück. Am Rand des Horizontes erhob sich ein dichter Wald, etwas, das sie auf Velryba noch nicht gesehen hatte. Ob es dort nach Fénix, zur Holzstadt, ging?
Fynn schien ihren Blick anders zu deuten als sie selbst. »Entschuldige«, sagte er erstaunlich ruhig dafür, dass sie ihm die Fingernägel in die Schulterblätter bohrte, »ich war mir um ehrlich zu sein nicht ganz sicher, ob ich nicht doch darauf bestehe, dass du dableibst, wenn wir länger herumgestanden hätten. Das konnte man ja nicht mitansehen.«
Sie ging lieber nicht weiter auf das Thema ein, hauptsächlich, weil es sie verwirrte und betrübte. »Können wir vielleicht ein bisschen langsamer gehen?«, fragte sie stattdessen weitaus zittriger als er. Nicht zum ersten Mal wünschte sie sich eine Stimme aus Stahl und Souveränität wie Iskra sie hatte.
Fynn machte ein Geräusch, das beinahe nach einem spöttischen Glucksen klang. Nein, da musste sie sich täuschen. Aber da war es schon wieder. »Kiara, wir traben. Das ist wirklich nicht schnell. Du musst dich übrigens nicht an mich hängen als hinge dein Leben von mir ab.«
Sie war so verdattert, dass sie tatsächlich lockerließ. Der Schock, der sie noch immer im Griff hielt, wich langsam der Irritation und offenbarte ihr damit auch die die plötzlichen Schmerzen, die sie bei jedem Schritt des Tieres durchzog. Sie verzog das Gesicht und obwohl Fynn das eigentlich gar nicht sehen sollte, schien er geradezu zu spüren, was vor sich ging.
»Du musst mit der Bewegung mitgehen«, erklärte er. »Wenn du dasitzt wie eine festgeleimte Puppe, wird das nicht sonderlich angenehm für dich. Ach, könntest du eigentlich mit der einen Hand die Lampe festhalten?« Er deutete über seine Schulter auf eine der Taschen neben ihr.
Kiara starrte ihn an als wäre er spontan zu einem Gespenst geworden. »Ich werde sicherlich nicht einhändig auf einem Pferd reiten!«
»Na, dann werden uns die Schatten wohl recht schnell finden und wir recht schnell nichts sehen.« Er zuckte mit den Schultern, eine Bewegung, die Kiaras Finger zum Beben brachte. »Wenn du darauf bestehst.«
Sie löste die eine Hand von seiner Schulter und öffnete die Tasche. Obenauf lag eine altmodische Öllampe, die sie an die erinnerte, die er dabeigehabt hatte, als sie sich das erste Mal begegnet warn. Das war vor ein paar Tagen gewesen, trotzdem kam es ihr meilenweit entfernt vor.
Es war nicht ganz einfach, die Lampe einhändig auf dem Rücken eines trabenden Pferdes in Gang zu bekommen, doch auf ihr unerklärliche Weise war es ihr nach ein paar Minuten gelungen, das Öl in Brand zu setzen und den Boden umständlich wieder anzuchrauben. Finster fixierte sie Fynns Rücken.
»Ich hasse dich.«
Schon wieder dieses amüsierte Geräusch, das nicht zur Gesamtsituation passte. Sie legte den Kopf schief und betrachtete von der Seite sein Gesicht. Er sah nicht mehr so abweisend und unberührt aus wie auf dem Hof, beinahe, als hätte er nun die Maske abgeworfen. Aber warum sah er dann so heiter aus? Sollte er nicht viel eher wütend aussehen, traurig, verletzt, angewidert? Oder war das hier nur eine weitere Fassade, eine Maske unter der Maske?
»Warum bist du bitte so gut gelaunt?«, brummte sie stirnrunzelnd.
»Es ist recht wahrscheinlich, dass ich innerhalb der nächsten zwei Tage sterben werde. Niemand begegnet dem Schattenkönig und überlebt, vielleicht mit Ausnahme von dir. Hoffentlich. Was würde es mir also bringen, so zu tun, als fände ich amüsante Situationen nicht lustig.« All der Spott schwand aus seinen Zügen, er drehte sich zu Kiara um und sah sie aus stechenden Augen an. »Der König hat so viele Leben genommen, das meins nicht mehr viel bedeutet. Aber damit lasse ich ihn nicht durchkommen. Ich hab verdammt nochmal Angst davor, zu sehen, was hinter der Grenze liegt. Niemand weiß, ob dort überhaupt noch irgendwas existiert und ob wir – sollte die geringe Chance bestehen, dass wir lebend wieder rauskommen – danach dieselben sein werden. Früher habe ich Areks Philosophie, der Gefahr ins Gesicht zu lachen, nicht für voll genommen, aber so langsam komme ich dahinter. Ich will zumindest in deine Erinnerungen als glücklich eingehen.«
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Tänzerin der Schatten
FantasyEtwas bewegte sich in der Dunkelheit. Sie holte zitternd Atem. Ihr ganzes Leben lang hatte Kiara gesehen, wie Leute die Nacht und ihre Schecken fürchteten. Sie musste zugeben, für sie war die Nacht nichts gewesen, das ihr Angst machte. Im Gegenteil...