Ausrasten für Fortgeschrittene

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Fee zieht sich am Morgen schweigend in der Damenumkleide um und spürt permanent die Blicke von Jacky und Marion auf sich.
Draußen, im Flur, hört man deutlich Oliver mit jemandem diskutieren und Fee versteht "glaub mal, das ist eine bessere Hundehütte. Das ist niemals ein vernünftiges zu Hause. Selbst Sozialhilfeempfänger leben im Vergleich dazu im Luxus."
Sie erkennt Björns Stimme, der gerade sagt "jetzt beruhige dich erstmal. So schlägst du sie nur unnötig in die Flucht."
Sie hört wieder Oliver der sagt "dann hol mir Kabelbinder oder ein Seil, damit wir sie anbinden können. Kann ja wohl nicht angehen, dass sie im letzten Loch lebt, ihren eh schon kargen Lohn noch dafür her gibt um ihre Schulden zu begleichen und unter dem Existfnzminimum lebt."
Fee traut sich nun gar nicht mehr raus zu den anderen und versucht Zeit zu schinden, hört dann Franco sagen "vielleicht kommst du nun doch mal etwas runter. Vor allem, du hast jeder Kollegin gestern eine Rose samt Einladung für Silvester gegeben und den Männern ebenfalls eine Einladung gereicht, aber Fee hast du gestern noch mit Verachtung gestraft und jetzt redest du so? Oli, merkst du was?"
Sie hört wie Oliver der Kragen platzt und er brüllt "ich fand gestern morgen ein Kuvert im Briefkasten, Inhalt der Betrag, den sie damals genommen hat und ein Zettel mit der Bitte um Vergebung. Ich hab es erst gecheckt als Gino gestern hier war und ich sah die Fotos auf Jackys Handy. Die haben sie so zugerichtet, dass Frederik und Gino in den jeweiligen Berichten angezweifelt haben ob sie überlebt. Mal davon abgesehen, 50 kg bei 160 cm, da sind Sam und Baby ja noch schwerer. Sie hält den Kopf vor Scham gesenkt, hat Angst uns in die Augen zu sehen weil sie befürchtet nur Vorurteile und Hass zu sehen. Ich hab ihr den Einstieg hier noch unnötig erschwert und soll mich beruhigen?! Wenn sie da nicht in fünf Minuten raus kommt geh ich rein und es ist mir verdammt nochmal egal ob da noch Marion, Jacky, Silke oder sonst eine Kollegin drin ist."
Fee spürt genau, dass Oliver seine Worte in die Tat umsetzt und ihr wird klar, sie kann sich hier nicht ewig verkriechen.
Sie spürt plötzlich Jackys Hand auf ihrer Schulter, hört "ich begleite dich raus" und sieht Jacky hilflos an.
Jacky sieht ihr an, dass sie sich in die Ecke gedrängt fühlt nimmt ihre Hand, geht vor und zieht Fee dicht hinter ihrem Rücken mit sich in den Flur.
Schützend bleibt sie zunächst vor der kleineren Frau stehen und erklärt Oliver in ruhigem und bestimmten Ton "Oli, du warst bis drinnen deutlich zu hören. Es bringt wohl kaum etwas so aggressiv zu sein, daß führt zu Flucht."
Fee steht verschreckt hinter Jacky, fühlt sich wie auf dem Präsentierteller und kann dank Jackys festem Griff um ihre Hand nicht mal fliehen.
Sie spürt alle Blicke auf sich,  hält den Kopf verunsichert und beschämt gesenkt.
Franco tritt plötzlich neben Jacky, berührt vorsichtig Fees Schulter und bittet leise "he, schau mich mal bitte an Fee."
Fee sieht Franco tatsächlich zögernd an und Dustin erschreckt über ihr bleiches Gesicht.
Björn schiebt Oliver und Jacky zur Seite, schnappt sich Fee und erklärt "los, Kaffee trinken bevor du dich hier lang legst."
Oliver knurrt drohend "glaub ja nicht, dass du um das Gespräch herum kommst" und folgt mit den anderen in den Aufenthaltsraum.
Dustin besorgt Kaffee und stellt einen Teller mit einem Schinkenbrötchen vor sie hin, aber beides rührt sie nicht an.
Ihr fehlt sogar das Geld für die Gemeinschaftskasse und deshalb verzichtet sie darauf sich in der Wache an irgendetwas zu bedienen.
Franco setzt sich neben sie und erklärt "entweder nimmst du das jetzt an oder du endest gleich mit Magensonde und Zwangsernährung drüben in der KAS."
Jacky schimpft leise "Leute hört vielleicht mal alle mit den Drohungen und dem aggressiven Tonfall auf, das ist auch nicht zielführend."
Oliver sitzt plötzlich auf der anderen Seite neben ihr, atmet hörbar durch und fragt dann in ruhigem Tonfall "hat Gino recht? Du zahlst das alles zurück, von deinem Lohn?"
Alle sehen Fee an und endlich nickt sie zögernd, sagt aber keinen Ton.
Marion drückt ihr ein Taschentuch in die Hand und fordert die anderen auf "Leute, gebt ihr mal etwas Luft zum Atmen. Merkt ihr nicht wie schlecht sie sich gerade fühlt?!"
Oliver legt ihr vorsichtig eine Hand in den Rücken und Fee zuckt erschreckt zusammen, sofort fragt Dustin "tut dir was weh?"
Starr vor Angst sitzt sie neben Oliver, seine Berührung kam auf einer Narbe aus und brachte ihr wieder die schrecklichen Bilder von damals zurück, als der Alptraum für sie zum Höhepunkt kam und Pierre sie mit seiner Gang übel zugerichtet hat.
Franco bemerkt etwas in ihren Augen und sieht wie ihr still und leise Tränen über die bleichen Wangen laufen.
Oliver bemerkt ihre Tränen und macht unbewusst eine Bewegung mit seiner Hand auf ihrem Rücken.
Im nächsten Moment reagiert Fee mit einer heftigen Panikattacke, hyperventiliert und sackt im nächsten Moment bewusstlos in sich zusammen.
Oliver flucht "Scheiße, das hab ich jetzt nicht gewollt", steht auf, hebt Fee einfach auf seine Arme und trägt sie behutsam rüber ins Arztruhezimmer, wo er sie vorsichtig auf das Bett legt und mit Marion und Jacky das Monitoring anschließt.

Irgendwann kommt Fee langsam wieder zu sich, erkennt wo sie ist und sieht Franco neben sich im Sessel mit der Zeitung sitzen.
Der bemerkt ihren Blick, ruft direkt "Oli, da kommt jemand aus dem Traumland zurück" und macht direkt den Sessel frei.
Oliver erscheint nur Sekunden später mit finsterer Miene im Raum, wirft einen Blick auf die Werte und schaut dann in ihr bleiches Gesicht.
Er setzt sich in den Sessel, fragt seltsam besorgt "wann hast du zuletzt etwas Anständiges gegessen? Und Fee, keine Märchen, Wahrheit."
Sie schluckt und muss tatsächlich nachdenken, denn die letzten Tage war das eine Banane oder ein Apfel zum Frühstück und den Rest des Tages nichts mehr.
Leise und zögernd fragt sie "zählt Apfel mit Wasser? Dann heute früh."
Sie sieht Francos erschreckten Blick und Olivers kopfschütteln und weiß sofort, das war die falsche Antwort.
Ihre grünen Augen schwimmen direkt wieder in Tränen, denn sie kann ihnen ja schlecht sagen, dass sie die kommenden acht Tage noch so frühstücken wird und Mitleid will sie nicht.

'Es ist meine Bürde, meine eigene Strafe für meine Fehler und es ist mir egal ob ich mein Leben so ruiniere. Ich lebe doch eigentlich nur noch um die Schulden zurück zahlen zu können, ansonsten ist mein Leben doch eh nichts mehr wert', denkt sie.

Franco muss etwas in ihren Augen gesehen haben, denn etwas beunruhigt ihn und er sagt "ich habe so das Gefühl, wenn sie die Schulden alle weg hat will sich jemand heimlich still und leise vom Acker machen. Fee, egal welche abstruse Idee du für hinterher hast, vergiss das besser gleich wieder."
Oliver weiß sofort worauf Franco hinaus will und fragt im nächsten Moment "feiert jemand mit dir Weihnachten und Silvester?"
Ein zögerliches kopfschütteln ist die einzige Antwort und Oli spürt Wut in sich aufsteigen.

'Wie lange macht sie dieses traurige Leben schon durch? Da ist weder Selbstvertrauen noch Selbstbewusstsein oder Lebensmut vorhanden. Sie hat wohl schon für sich selbst mit ihrem Leben abgeschlossen. Das geht nicht, das lass ich nicht zu' denkt Oliver.

Im nächsten Moment erklärt er "so, Schluss damit. Du kündigst diese armselige Hundehütte, die du wohl anscheinend für dein zu Hause ansiehst, packst dein Zeug zusammen und ich nehm dich mit zu mir, da ist ein Gästezimmer und eine funktionierende Heizung. Versuch erst gar nicht zu widersprechen, das bringt eh nichts."
Franco schaut Oliver einen Moment an und muss wohl etwas in seinen Augen bemerkt haben denn er grinst und erklärt "ich norde dann später deine Küche ein, Pasta essen und Fee, es gibt anständige Portion, den Spatz kannst du weg schicken."
Oliver nickt und erklärt "denk dran, sonst Magensonde und Zwangsernährung."

Am Abend fährt Dustin mit Oliver und Fee zu ihr, während Franco schon ihr Rad mitnimmt und zu Oliver voraus fährt.
Dustin und Oliver sorgen dafür, dass sie zusammen packt und mit ihnen zu Oliver fährt.

Fee steht überfordert und völlig eingeschüchtert in dem großen Gästezimmer mit dem großen Bett und dem eigenen Bad während Oli ihr gerade erklärt "Wohnzimmer und Küche, Terrasse und Garten nutzen wir gemeinsam, nur mein Bad und mein Schlafzimmer sind tabu."
Sam und Baby sind begeistert von der zierlichen Frau und weichen ihr nicht von der Seite, auch Tiger, sein Kater, ist sofort da und kuschelt sich schnurrend in ihre Arme.

Nach dem Essen verdrückt Fee sich still und lässt die Männer in ihrer Runde allein zurück.

'Ich gehör ja eh nicht dazu. Oli wird mich hier kaum bemerken, ich werd mich nützlich machen, das Geld, was ich für meine Wohnung genutzt habe, werd ich ihm für meinen Aufenthalt hier geben, ich will keine Schulden mehr' denkt sie noch.
Sie geht zum Bett, legt sich nachdenklich hinein und schläft ein.

Vergangenheit und Hass vs. Zukunft und Liebe *beendet* Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt