2. Kekse

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Der kalte Wind peitscht mir ins Gesicht, während ich den verschneiten Weg entlanggehe und mir in diesem Schneegestöber meinen Weg zur Bäckerei bahne. Gemma musste aber natürlich diese Kekse bestellen und ich die dann abholen lassen, typisch. Genau heute muss es dann auch noch schneien, schrecklich. Kack Winter. Ich mag diese Jahreszeit eigentlich, aber Schneestürme, Eiseskälte und ständiges wegrutschen können mir auch gestohlen bleiben. Drinnen mit einem Tee ist das alles schön und gut, aber draußen? Nein danke.

Mit zusammengebissenen Zähnen schlängle ich mich durch die Menschenmasse, ziehe mir die Mütze tiefer ins Gesicht und streiche mir mit der behandschuhten Hand die Schneeflocken von Wangen und Nase. Erleichterung macht sich in mir breit, als ich die Bäckerei erreiche und im inneren von angenehm warmer Luft umhüllt werde. Zufrieden ziehe ich mir die Mütze vom Kopf, schiebe sie in meine rechte Jackentasche und stelle mich in die Schlange, ehe ich meine Hände durch meine Locken fahren lasse, um sie mir aus der Stirn zu schieben. Es sind vier Menschen vor mir, daher sollte es nicht lange dauern, bis ich dran bin.

Um meine fast sterbenden Finger wieder zu wärmen, halte ich sie mir vor den Mund, reibe sie aneinander und puste warme Luft in die Handinnenflächen. Um mir die Wartezeit zu vertreiben, sehe ich mich um: es stehen kleine Tischchen im hinteren Teil der Bäckerei, wo Freunde, Pärchen oder Eltern mit Kindern sitzen und eine heiße Schokolade trinken, während kleine Leckereien auf den Tischen stehen. Die Theke vor mir ist mit den verschiedensten Gütern gefüllt: Torten, Blechkuchen, Brote mit Mustern, Brötchen und Erdbeerschiffchen, sowie Quarkbällchen. Die liebe ich ja – der perfekte Snack, wenn sie nur nicht so sehr krümeln würden. Mein Blick schweift weiter zu den Stehtischen, bleibt aber bei einer Person hängen, die im selben Moment in meine Richtung sieht. Scheiße verdammt, das darf doch nicht sein! Jacob. Mein Ex. Der Ex, der mich ein halbes Jahr lang betrogen hat. Der liebe Herr meint es wirklich nicht gut mit mir am heutigen Tag. In der Hoffnung, dass Jacob mich nicht erkannt hat, senke ich meinen Blick und drehe ihm meinen Rücken etwas zu. Das Tippen auf meiner Schulter überzeugt mich vom Gegenteil meiner Hoffnungen. „Harry? Bist du das?" Nein. „Ja", presse ich hervor, sehe ihn allerdings nicht an. Vielleicht geht er weg und versteht, dass ich nicht mehr Worte mit ihm wechseln werde, als ich zwingend muss. ich „Ich habe dich fast nicht erkannt, du hast ja richtig lange Haare bekommen. Wie lange gaben wir uns nicht gesehen? Fast ein Jahr?" Ja. Ich hätte nichts dagegen gehabt, wäre es ein Jahr und mehr geworden. Seufzend drehe ich meinen Kopf zu ihm, streife meine Haare hinter mein Ohr und nicke. „Ja, fast ein Jahr. Kommt hin.", erwidere ich, zwinge mich zu einem kleinen lächeln und trete zwei Schritte vor, sobald die Schlange vor mir kürzer wird. Was Gemma wohl sagen würde, käme ich ohne ihre Kekse nach Hause? Mit meiner Erklärung wäre es sicherlich nicht so schlimm, oder? Sie hasst Jacob, sie wird mich schon verstehen. Und wenn es ihr besonders wichtig ist, kann sie selbst noch einmal hier hin gehen.

Jap. Beschlossene Sache.

Noch drei Schritte nach vorn, nur noch eine Person vor mir. Gut, das kann ich auch noch aushalten. Solange Jacob gleich verschwindet. Seufzend streiche ich mir die Haare erneut aus der Stirn. „Wie geht es dir Harry? Erzähl, du stehst doch sowieso in der Schlange, wieso nicht mit mir gemeinsam warten. Mit einer Konversation vergeht wenigstens die Zeit schneller." Verdammt Jacob! „Mir geht es gut, Jacob. Sehr gut." Beantworte ich seine Frage, fühle mich dann aber doch zu unfreundlich und beiße mir auf die Unterlippe: „Dir hoffentlich auch. Immerhin ist Weihnachten." Er lächelt und setzt an etwas zu erzählen, aber ich habe weder Lust zuzuhören, noch länger hier zu bleiben, oder Jacob noch eine Sekunde in meiner Nähe haben, aber Gemma möchte diese Kekse. Seine Anwesenheit ist wie ein unangenehmes Gefühl in meinem gesamten Körper, das immer mehr wird, desto länger er bei mir steht. „Es ist das erste Weihnachten mit meinem Freund Jake, Harry, weißt du? Ich freu mich darauf. Mit wem feierst du? Hast du auch einen Freund mit dem du-" – „Hi Schatz, sorry für die Verspätung, es war so voll", wird er von einer hohen, männlichen Stimme unterbrochen und ehe ich mich versehen kann, liegt ein paar Lippen auf meinem. Überrascht keuche ich, will den unbekannten Wegstoßen, aber in diesem Moment löst dieser sich und beugt seinen Kopf zu meinem Ohr: „Spiel mit, ich sehe, wie unwohl du dich fühlst."

Ich nicke überrascht und sehe den Mann an. Braune, wuschelige Haare die ihm sanft in die Stirn fallen, ozeanblaue Augen, markante Wangenknochen, schmale, zu einem Lächeln verzogene Lippen und ein ganzes Stück kleiner als ich. Alles in einem: wow. Der wohl schönste Mann, dem ich je begegnet bin. Einfach nur unglaublich.

Stumm sehe ich ihn an, noch immer überrascht von seinem Auftreten. Fuck, ich kenne nicht mal seinen Namen. Das funktioniert doch nie. „Ich bin Louis, Harrys Freund. Und du bist?" Jake sieht mit großen Augen zwischen diesem Louis und mir hin und her, sichtlich geschockt vom Verlauf der Dinge. Mir geht es nicht anders, aber ich versuche es zu überspielen. „Ich... eh ich bin Jacob." Der Wuschelkopf nickt, wendet sich ab und schiebt mich mit einem Arm um die Taille zur Theke, da ich jetzt dran bin. „Ich hatte für Styles Kekse bestellt.", sage ich und sehe zu der Mitarbeiterin, welche freundlich nickt, mich angrinst und dann ins hintere des Ladens verschwindet, um kurz darauf mit den Keksen in der Hand zurückzukommen. Sie sehen wundervoll aus, das muss man ihnen lassen. Da ich selbst mal in einer Bäckerei gearbeitet habe, weiß ich sowas. Im Tausch für die Kekse gebe ich ihr fünfzehn Pfund, drehe mich um und verlasse in Begleitung von Louis das Gebäude. Sofort werden wir wieder ins Schneegestöber verwickelt, weshalb ich meine Mütze überziehe und die Kekse in meine Jackentasche stopfe. Meine Güte, ist das Kalt. Louis legt seine Hand auf meinen unteren Rücken und drückt mich vorsichtig in einen Windgeschützten Hauseingang.

Aus Gewohnheit streiche ich mir die Locken aus dem Gesicht. „Erstmal tut mir leid, falls ich dich irgendwie belästigt habe, aber ich konnte einfach nicht ansehen, wie der Typ dich bedrängt hat... ich hätte dich nicht ohne Einverständnis Küssen dürfen, das tut mir leid." Darüber habe ich gar nicht nachgedacht, mein Gehirn hat die gesamte Louis-Jacob-Kekse-Situation noch nicht verarbeitet. Das ist die einzige, was mich mein folgendes Handeln erklären lässt, denn ich lehne mich vor, platziere meine Hände an seinen Wangen und drücke meine Lippen auf seine. Erst als unsere Lippen bereits für einige Zeit aufeinander liegen realisiere was ich gerade tue, will mich wieder lösen, werde aber von Louis dortbehalten.

Er zieht mich zu sich herunter, fährt in meine Locken und sieht mich dann mit großen Augen an. „Ich nehme an, wir sind jetzt quitt.", flüstert er und sieht mich leicht schmunzelnd an. „Ehm... ja, ich...", murmle ich, schüttle leicht meinen Kopf und richte mich vollständig auf. Mir fallen keine Worte ein, die ich sagen könnte, ihm genau so wenig, weshalb wir uns schweigend in einem Hauseingang mitten in der Innenstadt gegenüberstehen. Eine vollkommen absurde Situation. „Du heißt Harry, oder?", ergreift der kleinere nun das Wort und sieht mich hoffnungsvoll an. Ich nicke und schenke ihm ein kleines Lächeln. „Das stimmt, Louis", grinse ich. „Okay, das ist jetzt die dümmste anmache, die du wahrscheinlich je bekommen hast, aber ich habe dich die ganze Zeit in dem Cafe gesehen, dann kam der komische Typ und du sahst so hilflos aus... da dachte ich, ich muss dir unbedingt helfen. Wahrscheinlich bin ich nicht dein Typ, und du bist vielleicht nicht schwul oder bi, keine Ahnung, aber ich wollte dich eigentlich nach einem Date fragen. Aber das wirst du sowieso nicht annehmen, weil... sind wir mal ehrlich, mein Auftreten ist ziemlich sonderbar gewesen und... guck dich doch mal an."

Er redet ohne Punkt und Komma und nimmt dabei nicht ein einziges Mal seinen Blick von meinem. „Du... hat mich gerade indirekt auf ein Date eingeladen?", hake ich nach, sehe ihn an und kann mir ein überfordertes kichern nicht verkneifen. Er wird rot, beißt auf die Innenseiten seiner Wangen und nickt. „Du musst dich nicht verpflichtet fühlen zuzusagen, wirklich nicht. Solltest du nicht wollen, was bei mir heißen Typen natürlich fast unmöglich ist, ist das okay." – „Das da drinnen war mein Ex", entfährt es mir. Super, Harry. Louis Lippen verformen sich zu einem überraschten ‚O', seinen Kopf legt er schief und er sieht mich mit zusammengezogenen Augen an. „Ich... ja, ich würde gerne mit dir auf ein Date gehen", murmle ich und streiche mir vorsichtig die Locken aus der Stirn, während ich meine Nase leicht runzle und ihn ansehe. „Okay, okay, umh. Wir... ich- ich gebe dir einfach mein Handy, dann kannst du deine Nummer eintragen und wir verabreden ein Treffen?", schlägt er vor und zieht gleichzeitig sein Handy schon aus der Tasche. Mit zittrigen Fingern entsperrt er es, öffnet die Kontakte App und hält mir sein Handy hin.
Schnell tippe ich meine Nummer ein, speichere mich unter ‚Hazza' ein und reiche ihm sein Handy. Ein Blick auf die Uhr verrät, dass es schon spät ist, weshalb ich mich schnell verabschiede, ihn angrinse und mir meinen Weg durch das Schneegestöber bahne, um schnellstmöglich nach Hause zu kommen und Gemma diese beschissenen Kekse zu geben.

Vier Tage später holt Louis mich vor meiner Wohnung ab, hält mir eine Rose hin und drückt mir während einem umwerfenden Sonnenuntergang einen Kuss auf die Lippen, den ich nie wieder vergessen werde.

Adventskalender 2021 | Larry StylinsonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt