Kapitel 4. Ich will fliegen

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Ich will jetzt nur noch das Gefühl von vorhin spüren, dass mich so stark gemacht hat. Ich will dieses tobende Gefühl der Wut wieder in mir fühlen, aber leider bin ich viel zu erschöpft, um wirkliche Wut empfinden zu können. Leise und schnell verlasse ich den Wald. Immer wieder drehe ich mich um, in der Hoffnung, dass Er mich nicht findet. Ich gehe eine kleine Landstraße entlang, bis ich irgendwann den Geruch von Wasser wahrnehme. Flusswasser. 

Völlig orientierungslos, laufe ich dem süßlichen Geruch hinterher. Ich weiß, dass ich mein Ziel schon fast erreicht habe. Bis ich sie dann sehe. Die große, metallische Brücke, dessen Geländer in einem warnenden rot gestrichen ist.

 Ich seufze und sehe mich noch einmal um. Daddy ist nirgends zu sehen.-Aber halt, ich darf ihn doch gar nicht mehr so nennen!  Betrübt schaue ich in den Himmel und habe das Gefühl, das Mummy bei mir ist. Ein kleines Lächeln huscht über mein Gesicht. Ansonsten ist es still, nur das Wasser hört man rauschen. Desto mehr erschrecke ich mich, als die Glocke des Kirchturms zwölf Mal schlägt. Mitternacht. Ich mochte es noch nie, so spät in der Nacht wach zu sein, weil ich mich immer vor der Geisterstunde fürchtete. Aber heute macht mir das relativ wenig aus.

 Schließlich stehe ich vor dem roten Geländer und schaue auf den Fluss. Die Wellen schlagen auf und ab und verwandeln sich in reißende Ströme. Hin und wieder sehe den ein oder anderen spitzen Felsbrocken aus dem Wasser ragen. Aber eigentlich kann mir ja nichts passieren, denn ich werde ja fliegen. Ich fliege so wie ein Adler. Ein freier Vogel, werde ich sein. Wer weiß, vielleicht verwandle ich mich  ja auch in einen Engel.

 Betrübt schüttele ich den Kopf, als ich feststelle, dass ich gar kein Engel sein kann. Dafür habe ich zu viele Menschen enttäuscht.

 Mit einem komischen Gefühl im Magen setze ich mich auf das nasse Geländer und bin gefasst, jeden Moment zu springen. Ob Fliegen einfach ist? Ich lehne mich weit  nach vorne und bin glücklich. Das erste Mal seit Langem, bin ich einfach nur glücklich und freue mich darauf, in eine bessere Welt zu gelangen. Ich komme Mummy!

 Ich breite meine Arme aus, wie der Adler es heute Morgen getan hat. Dann nehme ich Schwung und will springen. Mein ganzer Körper zittert. Aber nicht aus Angst, sondern aus Vorfreude auf eine schöne Zeit. Langsam rutsche ich nach unten.

 ,,Halt! Stopp! Nicht springen!" Höre ich plötzlich eine Stimme direkt hinter mir schreien. Erschrocken will ich mich umdrehen, aber es ist schon zu spät. Ich falle. Ich wäre gefallen, wenn mich die Person von eben nicht an der Hand festgehalten hätte.

 ,,Lassen sie mich los!" Kreische ich wie verrückt und versuche mich ihrem Griff zu entziehen. So hänge ich nun über der Brücke und über den Wellen, die auf mich zu warten scheinen. ,,Es wird alles wieder gut!" Flüstert die weibliche Stimme über mir. Ich erkenne alles nur verschwommen, die Tränen versperren mir die Sicht. ,,Lassen sie mich los, ich will zu meiner Mummy!" Rufe ich erneut, während die Fremde mich über das Geländer, in den ‚sicheren Abstand‘ zieht.

  ,,Ich bringe dich zu deiner Mummy, versprochen!" Versichert sie mir tröstend. Sie haben ja nicht mal ansatzweise verstanden, was ich damit gemeint habe!

 Die Fremde nimmt mich auf den Arm und rennt zur nächsten Bank. Ich bin einfach zu kraftlos, um mich weiter wehren zu können. Langsam setzt sie mich ab, hält aber immer noch meine Hand fest, damit ich nicht weglaufen kann. Ich schaue zu Boden.

 Nach einer Weile fragt sie mich, wie ich heiße. Ich antworte nichts darauf. Ich will nicht sprechen. Als ich zu ihr hoch sehe, fällt mir erst auf, wie hübsch und vor allem wie jung sie noch ist. Lange blonde Haare schmiegen sich sanft um ihr Gesicht.  Große, grüne Augen schauen mich eindringlich an. 

  ,,Darf ich wissen, wie dein Name ist?" Fragt sie noch einmal ein wenig unsicher. ,,Ich….Ich bin Cathy." Stottere ich traurig vor mich hin. Sofort nimmt sie mich in den Arm. Sofort fühle ich mich geborgen. Ich schluchze gegen ihre Schulter. Ich kann einfach nicht mehr. ,,Es wird alles wieder gut." Flüstert sie liebevoll. Aber da hat sie Unrecht. ,,Nichts wird wieder gut!" Jammere ich. Sie wischt meine Tränen weg und schaut mich besorgt an. 

 ,,Wie heißen sie denn?" Frage ich schniefend. Sie schmunzelt ein wenig. ,,Cathy, du kannst ruhig Du zu mir sagen.... Ich bin Miriam." Sofort fällt mir die Kinnlade nach unten.  ,,Bist...bist du die Miriam?" Jetzt schaut sie mich verwirrt an. Natürlich kann sie nicht wissen, was ich damit meine. Toll gemacht Cathy, jetzt hält sie dich auch noch für geistesgestört! ,,Cathy, wie ist dein Nachname?" Fragt Miriam mit runzelnder Stirn. ,,Stirling."  Gebe ich kurz von mir.

 Ganz betroffen schaut die hübsche Frau in den Sternenhimmel. ,,Dann bist du die Tochter von Steven Stirling. Mein Ex-Chef, der mich heute gefeuert hat...." Sie macht eine nicht zu deutende Grimasse. ,,Dann bist du die Tochter von Philippa Stirling, die...." Sie stoppt. Ich fange bitterlich an zu weinen. ,,Tut mir Leid, das wollte ich nicht!" Schluchzt sie nun auch. ,,Soll ich dich zu deinem Vater bringen?“ Fragt sie hoffnungsvoll.

Ich reiße die Augen auf. ,,Nein! Alles, nur nicht zu meinem Vater! Bitte Miriam, bring mich nicht zurück! Das werde ich nicht überleben! Ich darf auch gar nicht zurück! Er….er….ich….Es ist meine Schuld, es ist alles meine Schuld!“ Miriam versucht mich zu beruhigen, aber das bekomme ich schon gar nicht mehr mit. Alles zieht sich zusammen. Ein schwarzer Wirbel entsteht vor meinen Augen, er droht mich zu verschlingen. Ich breche zusammen.

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Hallo meine Lieben:) Ich widme dieses Kapitel Lolalalala, um ihr zu zeigen, wie dankbar ich für ihre Bewertung, des Buches bin. Ein fettes Dankeschön nochmal an dich!:) Das nächste Kapitel wird in Kürze erscheinen.

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