Kapitel 19. Kochend heißer Tee

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,,Cathy!" Eine vertraute Stimme ruft verzweifelt meinen Namen.  Ich spüre wie jemand an mir rüttelt. ,,Cathy, bitte, bitte wach auf!"

 Meine Arme fühlen sich schwer an. Jeder einzelne Muskel in meinem Körper ist verspannt. Angestrengt öffne ich meine Augen und obwohl meine Lider immer wieder zu fallen, strenge ich mich an, wach zu bleiben. ,,Was...was ist denn los?" Frage ich mit gähnender Stimme. Neben mir sitzt Miriam. Ihr golden schimmerndes Haar ist zu einem unordentlichen Pferdeschwanz gebunden. Dunkle Ringe zeichnen sich unter ihren glasigen Augen ab. ,,Bin ich froh, dass du endlich wach bist!" Ein kleines Lächeln ziert ihr blasses Gesicht. Vorsichtig nimmt mich Miri in den Arm und streichelt beruhigend meinen Rücken.  Sie versucht mich zu trösten, was ihr auch weitestgehend gelingt, aber trotzdem beschleicht mich das Gefühl, dass hier irgendetwas nicht stimmt. Dieses Gefühl schlingt sich enger um meine Kehle, bis mir schlecht wird und ich würgen muss. 

 ,,Cathy?! Ist alles okay?" Miri löst sich aus der langen Umarmung und tätschelt mir energisch den Handrücken. Mit besorgtem Blick fragt sie mich, ob ich eine Tasse warmen Tee trinken möchte. Ich nicke hastig und lege mich zwischen unendlich vielen Kissen, bis mir meine Augen wieder zu fallen. Still lausche ich Miriams Schritten, die immer leiser werden, bis sie vollständig verklungen sind. Ich versuche zu überlegen, aber immer wieder reißt mich etwas aus den Gedanken. Mal ist es eine knarzende Holzdiele, mal das summende Geräusch des Wasserkochers in der Küche. 

 Mit einem Seufzen drehe ich mich auf den Bauch um ein bisschen zu dösen. Ein paar Minuten liege ich einfach nur da und blende die störenden Laute um mich herum aus.

Jetzt bin ich wieder im dunklen Wald. Da, wo sich Dennis und Daddy einen blutigen Kampf geliefert haben. Ich erschaudere. Einzelne Bilder steigen mir in den Kopf und brennen sich, wie ein loderndes Kaminfeuer an einem kalten Wintertag, dort ein. Das letzte Bild ist das, in welchem der Teufel davon gelaufen ist...und wie Dennis ihm hinterher gelaufen ist...Dennis!

 Wie von einer Tarantel gestochen setzte ich mich auf und renne schwankend den Flur entlang, bis hin zur kleinen Küche, wo Miri gerade einen nach Pfefferminz duftenden Teebeutel in das kochende Wasser steckt.

 ,,Wo ist Dennis?" Schreie ich lauter als gedacht. Erschrocken dreht Miriam sich um und stößt mit der Hand gegen die volle Tasse. Sie fällt um und das heiße Wasser läuft in Strömen auf ihr schmales Handgelenk. Ein kleiner Schmerzensschrei gleitet aus ihrem Mund. Sie schnappt scharf nach Luft rennt in Windeseile zur Spüle, wo sie mit der gesunden Hand den Wasserhahn aufdreht und kühlendes Wasser über die andere, mit kleinen roten Bläschen verzierte Hand laufen lässt. 

 Erschrocken gehe ich zu ihr. ,,Hast du dich verletzt?" Erst ein paar Sekunden später wird mir klar, dass diese Frage die Dümmste überhaupt war. Natürlich hat sie sich verletzt, sonst würde ihre Hand nicht so pochen! Ich schlage mir gegen die Stirn, während Miri sich einen Verband holt. 

,,Tut mir leid, ich wollte dich nicht erschrecken!" Sage ich und sehe schuldbewusst zu Boden. Nur wegen mir hat sie sich wehgetan. Eine kleine Träne kullert über meine Wange. ,,Nicht weinen Cathy, ist doch alles halb so wild! Das ist eine Verletzung, die in 1-2 Wochen verheilt sein wird." Sie geht vor mir auf die Knie, damit wir auf selber Augenhöhe sind.

 ,,Aber deine Verletzungen und damit meine ich nicht die Äußeren, sondern die Inneren, brauchen Monate, wenn nicht sogar Jahre, bis sie verheilt sind." Traurig reibt sie meinen Arm. Ich jedoch frage mich, was sie eben damit meinte. Kann man überhaupt innere Verletzungen haben? Wie geht das? Ich will nachhaken, aber im Moment gibt es etwas Wichtigeres zu klären.

  ,,Sag mal...weißt du wo Dennis steckt?" Frage ich vorsichtig nach. An Miriams Reaktion kann man deutlich erkennen, wie schwer es ihr fällt, mir eine Antwort zu geben, ohne dabei in Tränen auszubrechen. Vergeblich sucht sie nach Worten. Ich lasse ihr die Zeit, sich zu sammeln, bis sie aufsteht, an ihrem weißen Verband fummelt und schließlich zum Reden ansetzt. ,,Dennis wurde noch nicht gefunden." Sie setzt sich auf einen der vier Küchenstühle und legt die Hände aufeinander. ,,Und dein Vater wird ebenfalls noch gesucht." 

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