33. Wer ist Marko?

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"Tschüss! Bis morgen!", verabschiede ich mich von Alicia. Hailey musste schon eher aus dem Bus aussteigen und Alicia muss noch eine Haltestelle fahren. Das Shoppen war super und ich bin glücklich über meine neuen Teile. Und jetzt ist mein Plan mit Phil und Joe über das Gangtreffen zu sprechen. In der Hoffnung, dass die beiden Zuhause sind, schließe ich die Tür auf. Ich ziehe meine Schuhe aus und lege meine Taschen erstmal im Flur ab. Dann gehe ich ins Wohnzimmer.

"Hey, na wie war's?", werde ich da auch schon von Phil begrüßt.

"Super! Hatten viel Spaß. Aber das ist jetzt nebensächlich. Wie war euer Treffen?", frage ich aufgeregt. Ich merke, dass meine Hände unruhig werden.

"Setz dich doch erstmal hin", sagt jetzt Joe. Hinsetzen? Das kann nichts gutes heißen.

"Jetzt guck bitte nicht so, als wenn jemand gestorben wäre. Es ist alles gut!", sagt Phil.

"Wir haben eine Art Verwarnung bekommen. Wenn wir nochmal gegen irgendeine Regel verstoßen sind wir raus", erklärt Joe ruhig. Ich runzel die Stirn.

"Ich brecht den Gangkodex und bekommt eine Verwarnung? Und wenn das nochmal passiert, seid ihr einfach raus? Ich habe noch nie gehört, dass man einfach raus ist, bei einer Gang. Ist das so einfach?" Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte. Also ich freue mich, dass es keine Strafe gibt oder ähnliches, aber irgendwie hätte ich gedacht, dass es mehr Stress gibt.

"Freu dich! Es ist alles geklärt!" Immer noch irritiert nicke ich einfach.

"Dann müsst ihr mit jetzt noch meine andere Frage beantworten: Warum sagte Marko, dass wir uns wiedergesehen haben? Und jetzt sagt bloß nicht so etwas wie, er hat mich schon mal auf dem Schulhof gesehen!"

Joe und Phil wechseln mal wieder einen Blick untereinander. Eigentlich ist es mehr als ein Blick, es ist mehr wie eine stumme Unterhaltung. Manchmal frage ich mich, ob sie das können, weil sie Zwillinge sind oder weil sie zusammen aufgewachsen sind. Könnte ich mich auch stumm mit ihnen verständigen, wenn ich hier aufgewachsen wäre?

"Marko war ein alter Freund", allein mit diesen vier Worten, liegt alle meine Aufmerksamkeit wieder bei Joe.

"Marko war bei Joe in der Kindergartengruppe" - Joe und Phil waren in zwei unterschiedlichen Gruppen, damit sie auch andere Freunde kennenlernen - "und die beiden waren sehr gut befreundet. Auch in der Grundschule waren die beiden noch in einer Klasse und unzertrennlich. Die Freundschaft ist in der Weiterführenden Schule gescheitert. Marko hat sich in dich verliebt, als du einmal hier warst. Und er war wirklich verliebt. Er hat dir Liebesbriefe geschrieben und immer nach dir gefragt. Das hat Joes und Markos Freundschaft zerstört, weil".

Joe unterbricht Phil: "Weil ich nicht wollte, dass eine mögliche Beziehung zwischen ihm und dir unsere Freundschaft zerstört und weil ich dich nicht teilen wollte. Ich habe alle seine Briefe angenommen und weggeschmissen. Außerdem habe ich ihm gesagt, dass du ihn nicht magst. Das hat ihn fertig gemacht und er ist in die Gangszene abgerutscht. Ich habe versucht ihm zu helfen und die Freundschaft zu retten, aber es war zu spät. Er hat rausgefunden, dass ich die Briefe genommen habe und dir nie etwas davon erzählt habe. Ja und inzwischen gehören wir zu verfeindeten Gangs und haben keinen Kontakt mehr", beendet Joe die Erzählung.

"Ich erinnere mich überhaupt nicht mehr an ihn", sage ich das erste, was mir in den Kopf kommt.

"Kein Wunder. Das ist schon fünf Jahre her, dass ihr euch gesehen habt und auch das war nur kurz", erklärt Phil.

"Aber wie kann so ein Streit so eine tiefe Freundschaft zerstören?", frage ich nach. Phil zuckt nur mit den Schultern.

"Es ist so wie es ist. Daran kann man nichts ändern", sagt Joe noch und ich weiß, damit ist das Gespräch beendet. Joe verlässt das Wohnzimmer.

"Wusstest du davon?", frage ich Phil "also zu der Zeit?"

"Nein. Also nicht direkt. Ich habe davon erfahren, als Marko der Gang beigetreten ist und die Freundschaft kaputt gegangen ist. Aber ich denke selbst wenn ich es gewusst hätte, hätte ich Joe nicht davon abgehalten zu tun, was er gemacht hat. Du warst, beziehungsweise bist, unsere kleine Schwester. Am liebsten würden wir dich mit Niemandem teilen. Und dazu war Marko Joes bester Freund. Er hätte euch beide teilen müssen und hätte jemanden oder euch beide verloren, wenn eine Beziehung gescheitert wäre."

"Das verstehe ich halbwegs. Aber wenn er mit mir geredet hätte, hätte ich ihm doch sagen können, dass ich nicht auf Marko stehe."

"Aber woher weißt du, dass du nicht auf ihn standest? Er hat dir vor fünf Jahren jeden Wunsch von den Augen abgelesen in der halben Stunde, die ihr euch gesehen habt. Du hast über seine Witze gelacht und ihn mit einer festen Umarmung verabschiedet."

Ich atme tief ein und wieder aus. Wie kann es sein, dass ich mich überhaupt nicht daran erinnere? Ich bin mir sicher, dass ich nicht in Marko verliebt war und wenn Joe einfach mit mir gesprochen hätte, wären Marko und er vielleicht immer noch befreundet und die Situation jetzt, wäre ganz anders. Aber hätte und wäre hilft jetzt nicht. Ich denke, dass Joe darunter immer noch leidet und ich glaube, die beiden sollten noch einmal darüber sprechen. Soweit ich ihn bisher kennengelernt habe, ist Marko kein schlechter Mensch. Das einzige was ihn "schlecht" macht, wenn ich das überhaupt so sagen kann, ist, das er in einer Gang ist, und das ist Joe auch. Ich glaube, die beiden brauchen eine Gelegenheit sich auszusprechen. Ich habe noch morgen und übermorgen und das ist jetzt mein Ziel: die beiden zusammenbringen. Egal wie das Gespräch ausgeht, aber sie müssen einfach sprechen.

"Skylar? Alles in Ordnung?", fragt Phil irritiert.

"Ja, alles in Ordnung, ich muss das nur gerade alles verarbeiten", antworte ich halbwegs wahrheitsgemäß. Phil sagt noch kurz etwas, aber verlässt dann auch den Raum. Ich bleibe auf dem Sofa sitzen und überlege mir einen Plan, wie ich Joe und Marko zusammen bekomme. Ich weiß, dass es vielleicht nicht richtig ist, wenn ich mich einmische, aber ich fühle mich verantwortlich dafür, dass die Freundschaft kaputt ist. Also muss ich etwas tun. Und ich habe jetzt auch eine Idee. Ich werde morgen in der Schule mit Marko sprechen unter dem Vorwand, dass es um Dillen geht. Er wirkte in dem kurzen Gespräch, das wir hatten, sehr besorgt und interessiert. Das könnte also funktionieren. Und Joe schreibe ich dann eine Nachricht, dass er einmal kommen soll. Ich weiß, dass er das sofort ohne Nachfrage tun wird, wenn ich an seinen Beschützerinstinkt appelliere.

Während ich noch weiter über meinen Plan nachdenke, gehe ich in die Küche, um mir noch eine Kleinigkeit zu essen zu machen. Dabei stöbere ich ein wenig durch Instagram. Im Anschluss gehe ich in mein Zimmer, um noch einen Film zu gucken. Meine Hoffnung ist, dass ich danach schnell einschlafe und endlich mal wieder mehr schlafe. Doch mal wieder: die Hoffnung stirbt zuletzt, aber mal wieder stirbt sie. Alle Gedanken, die ich über den Tag bei Ablenkung verdrängen kann, kommen wieder hoch. Allen voran das Gespräch mit Noah und was er wohl von mir wollte, aber dazu jetzt auch noch die Joe und Marko Situation.

Ich wälze mich viel hin und her. Irgendwann muss ich eingeschlafen sein, doch auch da war es kein ruhiger Schlaf und ich wurde immer wieder wach. Erst als mein Wecker am nächsten Morgen klingelt, bin ich in einem Tiefschlaf angekommen.

Wo gehöre ich hin?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt