28. Das zweite Gespräch

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Umso näher ich Alicias Haus komme, umso stärker schlägt mein Herz. Ich mag Abschiede nicht und auch, wenn das noch kein Abschied ist, fühlt es sich so an. Meine Hände werden auch etwas schwitzig als ich die Klingel betätige. Die Tür wird mir von Alicias und Alex Mutter geöffnet. Sie habe ich schon ein paar Mal gesehen, wenn ich hier war. Wir begrüßen einander und dann komm Alicia auch schon die letzten Treppen runtergesprungen.

"Hey! Alles klar?", begrüßt sie mich stürmisch mit einer Umarmung. Ich erwidere die Umarmung und begrüße sie auch.

"Wollen wir spazieren gehen und dabei quatschen?", frage ich sie jetzt. Alicia zieht etwas verwirrt die Augenbrauen hoch, nickt aber. Sie zieht sich schnell Schuhe an und wie ich eine Jeansjacke und ruft eine Verabschiedung. Dann gehen wir wieder gemeinsam nach draußen. Ich überlege wie ich am besten anfangen kann. Doch bevor ich anfangen kann, fragt Alicia: "Wie geht's dir? Und wie geh es deiner Mama? Wie war es in London?"

"Mir geht es gut und meiner Mama soweit auch, sie darf wahrscheinlich bald nach Hause. Und London? Es ist toll, so als wäre ich fast nie weggewesen. Und was habe ich hier verpasst?", stelle ich die Gegenfrage.

"Das klingt alles wirklich gut. Hier? Nichts wirklich. Hailey, Dan, Alex und ich haben gestern den Tag im Park verbracht und sonst schreibe ich viel mit Kyle, aber ein richtiges Date hatten wir immer noch nicht. Aber jetzt erzähl du! Ich weiß, dass es dir letzte Woche echt dreckig ging und das kann man dir auch wirklich nicht verübeln, aber heute? Heute bist du wieder so glücklich, wie ausgewechselt. Also, versteh das nicht falsch oder so, ich freue mich wirklich, dass es dir besser geht und dass du wieder lächelst, aber ist etwas passiert?"

Das ist dann jetzt wohl der Augenblick. Der Augenblick in dem ich ihr erzählen muss, dass ich wieder umziehe. Ich hole noch einmal tief Luft und fange dann zu erzählen. "Ja, du hast recht. Letzte Woche war eine der schlimmsten Wochen meines Lebens. Ich hatte Angst, dass mir nochmal etwas passiert. Ich hatte täglich Alpträume. Und ich war verletzt, weil Noah mich hat sitzen gelassen und nie mit mir gesprochen hat über all das. Ich habe gemerkt, dass ich Abstand zu Noah gewinnen muss, aber ich habe auch gemerkt, wie schwer es mir fällt, wenn ich ihn sehe oder gar mit ihm spreche. Am Wochenende habe ich dann noch einmal mehr gemerkt, wie sehr ich meine Mama und meine Clique aus London vermisse. Und ich habe realisiert, dass wenn ich nicht in Angst leben möchte, wegen der Gangs, dann muss ich mich nicht nur von Noah distanzieren, sondern auch von meinen Brüdern."

"Du willst zurück nach London ziehen, habe ich recht?", unterbricht Alicia mich. Sie hat Tränen in den Augen und guckt mich verzweifelt an. Ich nicke und sofort löst sich eine Träne aus Alicias Auge und  sie schüttelt den Kopf. Dann dreht sie sich weg und geht weg von mir.

"Alicia! Warte!", rufe ich sofort und laufe hinter ihr her. Ich hole sie ein und drehe sie wieder zu mir. Sie weint und auch mir laufen die ersten Tränen über das Gesicht.

"Was?", fragt Alicia und ich weiß, dass sie verletzt ist.

"Es tut mir Leid! Ehrlich! Aber ich muss gehen, ich vermisse meine Mama und die anderen. Und ich muss das ganze hier hinter mir lassen, die Sache mit den Gangs. Ich kann das nicht. Jedes Mal, wenn ich rausgehe, habe ich Angst, dass mir etwas passiert. Und wenn meine Brüder rausgehen, habe ich Angst, dass sie zu einem Fight gehen und etwas passiert. Ich will meine Brüder genauso wenig verlassen, wie ich dich und die restliche Clique verlassen will. Aber es war immer klar, dass ich nur für eine gewisse Zeit hier bin", versuche ich Alicia zu erklären.

"Also waren wir nur ein Lückenfüller für dich? Ein Ersatz für deine Freundinnen aus London? Hör zu, ich verstehe deine Angst. Ich war in so einer Panik, als ich deine Nachricht gelesen habe. Ich hatte unfassbare Angst um dich. Und die gesamte Woche war ich für dich da und hab alles gemacht um dir zu helfen, weil du in so kurzer Zeit zu meiner besten Freundin geworden bist. Und ja, ich weiß, dass du es nicht leicht hattest, als du hier her gekommen bist, wegen deiner Mama. Ich war gerne für dich da und war wirklich gerne deine Freundin, aber für dich war das alles wohl nur ein Ausflug. Eine Abwechslung von deinen Freundinnen in London!"

Jetzt bin ich einfach nur geschockt. "Glaubst du das wirklich Alicia? Ich hatte so Angst hier her zu kommen. Klar, ich hatte meine Brüder und auf die habe ich mich wahnsinnig gefreut. Aber ich hatte Angst, dass ich sonst niemanden kennenlerne. Und dann habe ich dich getroffen. Ich fand dich sofort großartig und ich habe mich so wohl bei dir gefühlt. Ich bin dir so dankbar, für alles, was du mit mir und für mich gemacht hast und das werde ich dir auch nie vergessen. Und ja, ich habe auch eine beste Freundin in London, aber genauso hast auch du Hailey als beste Freundin. Und das ist in Ordnung, mehr als eine beste Freundin zu haben. Ich weiß, dass es dir das Herz bricht, dass ich gehe. Weißt du wieso? Weil es meins auch bricht!"

Zum ersten Mal schaut Alicia mich wieder richtig an. Dennoch lasse ich sie nicht zu Wort kommen und rede weiter: "Es bricht mir das Herz, dass ich dich nicht mehr täglich sehen kann. Aber genauso hat es mir das Herz gebrochen, Amber nicht mehr täglich zu sehen. Aber wir haben es geschafft in Kontakt zu bleiben und ich wünsche mir, dass wir das auch schaffen, denn ich möchte dich nicht verlieren. Ich hoffe, du kannst mich verstehen!"

"Es tut mir so Leid, Skylar. Ich weiß, dass wir nie nur ein Lückenfüller für dich waren und ich weiß nicht, warum ich all das gesagt habe. Ich denke ich war einfach überfordert, weil ich dich auch nicht verlieren möchte. Ja, es war logisch, dass du irgendwann zurück zu deiner Mama gehst, aber es war immer ein wenig Hoffnung da, dass sie hierher zu dir zieht. Es tut mir wirklich Leid. Und ja, ich verstehe dich!"

Ich schließe Alicia in meine Arme und wir weinen einfach gemeinsam in den Armen des Anderen.

"Ich hab dich lieb!", nuschele ich ihr zu. "Ich dich auch!", erwidert sie.

"Und wie geht es jetzt weiter?", fragt Alicia als wir uns aus der Umarmung lösen. Ich wische mir mit meinem Ärmel die Tränen aus dem Gesicht.

"Ich bleibe noch eine Woche, in der wir hoffentlich noch ganz viel zusammen unternehmen und dann fliege ich nächstes Wochenende zurück nach London."

"Nächste Woche schon?"

"Ja. Und vorher muss ich noch mit den anderen aus der Clique sprechen."

"Und Noah?", fragt Alicia mich. Ja, was ist mit Noah? Ich weiß es nicht. Möchte ich mit ihm sprechen? Kann ich mich von ihm verabschieden? Ich weiß es nicht. 

Wo gehöre ich hin?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt