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Heute könnte ein langer Tag werden, daher wird sie die erste Runde bewusst verkürzen. Ab zu Joe. Das muss drin sein.
„Hey Joe. Heute besser gelaunt?"
„Hallo Ronja. Immer doch, wenn ich dich sehe."
„Also kein Großansturm nerviger Menschen?"
„Haha. Du bist ja heute mal wieder gut drauf."
„Na, wie immer. Weißt du doch. Aber du hältst doch ganz gut mit."
„So, hier dein Café."
„Danke, das ging ja nun wirklich flott."
„Und dir geht es gut?"
„Alles guti bei mir."
„Dann bis zum nächsten Mal, meine liebste Ronja."
„Bis zum nächsten Mal, allerliebster Joe."
Sie wirft ihm einen Luftkuss zu, er ruft ihr zu, dass er ihn aufgefangen hat und sich für den Tag einsteckt. Sie lachen.
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Einfach weiter raten, empfahl Alice ihr. Ronja überlegt, was sie noch mit Blau verbindet. Für sie ist es nach wie vor die Farbe der Freiheit und Weite, aber sie weiß nicht, ob Sehende das nachvollziehen können. Sie würde vielleicht spontan antworten. Sie sitzt dort auf der Steinplatte und wartet auf den Kerl, sie würde gerne den Namen wissen. Noch lieber würde sie den Grund hinter all dem wissen und verstehen.
Sie bemerkt, wie sich jemand nähert. Keine Stimme. Wird sie gerade angestarrt? Nein, dann würde sich Woody vor sie hinsetzen. Wahrscheinlich war eine Person einer anderen ausgewichen und ihr so einfach näher gekommen. So wird es wohl gewesen sein.
„Ich sehe was, was du nicht siehst und das ist blau."
„Die Weite?"
„Nein. Noch ein Versuch."
„Die Freiheit?"
„Wieder daneben. Schade. Aber es war näher dran als gestern."
Und wieder war er weg. Weite und Freiheit sind näher dran als Wasser und Himmel. Immerhin, eine Info mehr ist das. Sie macht sich auch auf den Weg – zum Le Petit zu Alice, damit sie noch in Ruhe gemeinsam einen Café trinken können und sie ebenfalls noch eine Kleinigkeit essen kann.
„Hey Ronja, ich stelle meinen Café auch schon mal hier hin, also nicht wundern. Ich komme dann in so circa zehn Minuten."
„Ja, mach ganz in Ruhe. Bis gleich."
Die Zeit nutzt Ronja doch gerne, um ihr Croissant genussvoll zu verzehren sowie noch mal über Blau nachzudenken. Blau und Freiheit. Welche Verbindungen fallen ihr noch dazu ein? Blaue Tinte; sich beim Schreiben frei fühlen? Was für ein Blödsinn. Freiheit, sie fühlt sich frei, wenn sie zeitlich ungebunden ist, ihre Zeit für sich wohltuend nutzt. Sie kommt nicht weiter. Vielleicht wann anders.
„So, ich habe Feierabend. Worüber hast du gerade nachgedacht?"
„Du bist echt gut, Alice. Über den Kerl und unser heutiges Hin und Her."
„Was hast du heute geantwortet?"
„Zuerst die Weite und als zweites die Freiheit, war beides daneben, aber er sagte, es war näher dran als gestern."
„Hm. Also eher ein Gefühl oder Wunschgedanke oder so etwas in der Art?! Tut mir leid, so spontan fällt mir dazu nichts weiter ein. Aber wenn mir noch was einfällt, sage ich dir Bescheid."
„Danke. Und wie fühlst du dich?"
„Total gelassen und cool drauf ...", beantwortet Alice die Frage prompt, wobei sie einige Vokale langzieht. Der Klang ihrer Stimme verrät jedoch, dass der Inhalt nicht unbedingt stimmig ist. „Nein, ich bin mega nervös. Ich selbst habe ehrlich gesagt noch gar nicht weiter darüber nachgedacht, ob ich es behalten kann."
„Würdest du wollen?"
„Das ist nicht die Frage."
„Für mich ist es die einzige Frage. Wenn du willst, dann kannst du auch. Hör mal, wenn du dein Kind bekommen möchtest, dann erhältst du auch Unterstützung, du stehst nicht komplett alleine da. Ich würde dir auch helfen."
„Erst einmal heute die Infoberatung und dann mal weiter schauen, okay?"
„Na klar, es geht doch um dich."
„Aber trotzdem danke, Ronja."
◦◦◦◦◦◦
Bei der Beratungsstelle angekommen, spürt Ronja, wie die Nervosität von Alice stark zunimmt. Ronja legt ihre Hand auf den Oberarm von ihr als Zeichen, dass schon alles gut wird. Alice öffnet die Tür und sie gehen rein. Drinnen werden sie direkt freundlich begrüßt. Alice erzählt, dass sie einen Termin hat. Die Mitarbeiterin gibt der zuständigen Beraterin Bescheid.
„Hallo. Sie sind Frau Alice Becker?"
„Ja genau. Ich habe einen Termin zur Infoberatung."
„Ich bin Iris Winter. Und wie ich sehe, haben Sie jemanden mitgebracht. Ihre Partnerin?"
„Ähm. Ja, meine Partnerin."
„Sie müssen sich hier keine Sorgen machen. Erstens gilt Datenschutz, zweitens sind bei uns Vorurteile absolut tabu, bei uns sind alle willkommen. Und wie heißen Sie?"
„Meinen Sie jetzt mich?" Ronja ist vollkommen überfordert; hoffte bis dato, dass es sich um ein Missverständnis handelte; dass nicht wirklich sie gemeint sein konnte. Wieso? „Ich heiße Ronja Flemming."
„Wie schön, dass Sie mitkommen konnten. Na, dann folgen Sie mir ins Beratungsbüro. Frau Becker, halten Sie die Tür für Ihre Partnerin auf, die geht sehr schnell zu."
Still gehen sie ihr hinterher und setzen sich abwartend hin.
„Ich schenke uns allen zunächst ein Glas Wasser ein und dann können Sie ganz in Ruhe anfangen zu erzählen, was Sie zu uns geführt hat und welche Fragen Sie beschäftigen. Wenn der Bedarf besteht, machen wir am Ende einen weiteren Termin aus. Ist das so okay für Sie?"
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„Das Gespräch lief ganz gut und Frau Winter scheint sehr nett zu sein. Oder was denkst du, Ronja?"
„Ja, mag sein." Dennoch versteht Ronja immer noch nicht, warum Alice die falsche Annahme bestätigt hat. Wieso? „Wieso hast du ihr gesagt, dass ich deine Partnerin bin?", fragt sie daher nun.
„Ich wollte nicht als eine Alleinstehende abgestempelt werden. Tut mir leid, dass ich dich überrumpelt habe. Sie hatte es gedacht und ich habe einfach Ja gesagt."
„Du denkst, eine blinde Partnerin zu haben stellt dich besser dar als alleinstehend zu sein?"
„Hast du ein Problem mit anderen Sexualitäten?"
„Was?"
„Ach, vergiss es."
„Alice, wie kommst du denn nun auf so was?" Da Alice nicht antwortet, versucht sie es noch einmal. „Alice, ich ... Hm. Ich steig' nicht mehr durch. Ich habe keine Ahnung, was ..."
„Vergiss es einfach. Ich hab nichts gesagt. Es tut mir leid, dass ich dem zugestimmt habe."
Damit ist eine Stille eingekehrt und zwischen ihnen eine Wand hochgezogen worden. Alice bringt Ronja wie abgemacht bis zu ihr nach Hause. Ronja fragt sie, ob sie noch auf einen Tee mit reinkommen möchte. Alice verneint, sie sei zu müde und würde lieber nach Hause gehen.
Ein bisschen geknickt und nicht wissend, was sie mit sich anfangen soll, sitzt sie nun in ihrer Wohnung da. Der Abend geht dahin. Ausnahmsweise geht Ronja heute mit ein paar verhedderten Gedanken im Kopf ins Bett. Wieso? Und was ist dann passiert? Ich verstehe nichts davon.
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Impressionsweise
Romance◇𝗥𝗼𝗺𝗮𝗻𝘁𝗶𝗸 & 𝗔𝗸𝘁𝘂𝗲𝗹𝗹𝗲 𝗟𝗶𝘁𝗲𝗿𝗮𝘁𝘂𝗿◇ Die gewohnheitsliebende Ronja schreitet - die Welt auf ihre ganz eigene Art wahrnehmend - aus ihrer Komfortzone heraus, um nicht nur Neues wertzuschätzen; nicht nur 𝘥𝘪𝘦 Liebe kennenzulerne...