Kapitel Zweiundzwanzig: Abschluss

1.3K 92 93
                                    

Vor sieben Jahren

Gedankenverloren schaue ich meinen Talar an, der an meinem Kleiderschrank hängt. Die feine Robe mit dem Abolventenhut erinnert mich an die letzten vier Jahre, die ich an diesem College verbracht habe. Jede noch so kleine Erinnerung kommt in mir hoch, sodass sich meine Mundwinkel automatisch nach oben bewegen und am Schluss daraus ein Lächeln wird.

Rückblickend ist es interessant zu sehen, wie ich mich verändert habe. Aus dem kleinen Bücherwurm, der nur das Lernen im Kopf hat, wurde eine junge Frau, die jeden Augenblick in ihrem Leben genießt. Und dafür gibt es einen Menschen, der dafür verantwortlich ist.

Hunter James.

Faith hat dafür Jahre gebraucht, versuchte mir die Vorzüge des Lebens zu zeigen und doch ist sie daran gescheitert, da mein Sturkopf ihr einen Strich durch die Rechnung gemacht hat. Als mein Freund mich langsam aber sicher aus meinem Schneckenhaus herausgeholt hat, haben sich die beiden zusammengetan und es wurde für sie zum Kinderspiel.

Studentenpartys, Diner besuche oder die Treffen am New River waren zur Tagesordnung geworden. Ich habe viele neue und nette Menschen kennengelernt, habe viel gelacht und irgendwie meinen Platz gefunden.

Wenn ihr aber jetzt denkt, dass es für mich und Hunter ein Kinderspiel war, da täuscht ihr euch. Denn das war und ist es nicht.

Hunter und ich haben uns tausendmal in dieser Zeit gefetzt, angebrüllt oder uns einfach nicht gemeldet. Die Kilometer, die zwischen uns waren, haben uns auf eine harte Probe gestellt, aus der wir jetzt als Gewinner hervortreten. Auch, wenn ich mehrere Male daran gezweifelt habe.

Manchmal haben wir uns Monate nicht gesehen, die Telefonanrufe wurden weniger, weil wir beide viel zu viel um die Ohren hatten. Hin und wieder kam mir der Gedanke das Ganze zu beenden, nur um in der nächsten Sekunde diese Idee wieder zu verwerfen. Denn egal wie weit wir voneinander entfernt sind, ohne diesen Mann kann und will ich nicht sein.

Auch Hunter hatte es nicht leicht. Sein Vater hat ihm immer wieder Probleme bereitet, viel getrunken und einen Berg an Schulden angehäuft. Hunter hat Tag und Nacht gearbeitet, sogar noch einen Nebenjob angenommen damit er alles abzahlen kann.

Natürlich habe ich meine Hilfe angeboten, jedoch wollte er sie nicht annehmen und das mit eigenen Händen wieder gerade biegen. Vor zwei Monaten ist ihm das auch gelungen, was mich zutiefst erleichtert hat und gleichzeitig meine Brust vor Stolz anschwillen lässt.

Ein Klopfen reißt mich aus meinen Erinnerungen, als ich mich zur Tür drehe und Faith erkenne. Sie hat ihren Talar bereits an, sieht mich lächelnd an und schüttelt den Kopf dabei.

„Wieso bist du noch nicht angezogen? Wir haben nicht mehr so viel Zeit, Zuckerschnecke."

Lässig lehnt sie sich am Türrahmen, verschränkt ihre Hände vor der Brust und zieht die Augenbrauen in die Höhe. Mein Mund öffnet sich, um ihr zu antworten, aber sie lässt mich nicht zu Wort kommen.

„Lass mich raten. Ein gutaussehender Mann spukt mal wieder in deinem hübschen Köpfchen, nicht wahr?"

Ein verschmitztes Grinsen bildet sich auf ihrem Gesicht, sodass ich nur meine Augen verdrehen kann. Aber sie hat ja recht. Wir sind jetzt seit zwei Jahren zusammen und er hat mir meinen Kopf verdreht als wäre es gestern erst geschehen.

„Und wenn es so wäre?", hake ich schmunzelnd nach. Es zu leugnen würde nichts bringen, weil sie mich wie ein offenes Buch lesen kann. „Dann zieh dich an, weil genau dieser Mann unten am Eingang auf dich wartet. Zusammen mit deiner Familie, Hails."

Meine Augen werden groß als sie das gesagte verstehen, weshalb ich meine Robe mit einem Ruck vom Bügel reiße und sie mir hektisch überwerfe. Schnell schnappe ich mir den Hut, meine Schlüssel und mein Smartphone und sprinte regelrecht zum Eingang, um mir die Schuhe anzuziehen.

Faith sieht mir dabei schmunzelnd zu, sagt aber kein Wort zu meiner Hektik und verlässt mit mir zusammen die Wohnung.

Unten angekommen, erblicke ich die Gesichter meinen Eltern und Ella, jedoch sehe ich nirgendwo Hunter, weshalb meine Schultern hinab sacken und mein Lächeln immer schwächer wird. Ich freue mich sehr, dass meine Familie an diesem Tag hier bei mir ist und mit mir meinen Abschluss feiern möchte, aber ich habe gehofft, dass auch Hunter kommen würde.

Die Enttäuschung kann man mir vom Gesicht ablesen, als ich sie alle anblicke. Ich kann nicht mal die verschmitzten Ausdrücke auf ihren Gesichtern wahrnehme, da sich eine Wut zu meiner Enttäuschung mischt. Wieso ist er nicht mit ihnen mitgekommen? Er hat es mir doch versprochen, weil wieder ein Monat um ist, in dem wir uns nicht sehen konnten.

Plötzlich wird mir die Sicht genommen, als sich zwei große Hände um mein Gesicht legen und meine Augen verdecken. Kurz zucke ich durch die Geste zusammen, aber der Duft der meine Sinne umhüllt ist unverkennbar und gehört nur zu einer Person, der ich am liebsten in den Arsch treten möchte.

„Hast du echt gedacht, ich lasse dich im Stich?" Seine Stimme ist nur ein Hauchen, die meine Härchen aufstellen lässt und ich durch die Gänsehaut die Augen schließe.

„Versprochen ist versprochen, Zimtschnecke. Du weißt, ich breche niemals mein Wort. Auch heute nicht."

Seine Nase streift mein Ohr, sein Atem streichelt meinen Nacken, während meine Hände sich um seine legen, um sie von meinem Gesicht zu nehmen.

Langsam drehe ich mich um, erblicke den Mann, der mir jedes Mal den Atem raubt, bevor sich ein strahlendes Lächeln auf meinen Lippen ausbreitet.

„Du mieser Schuft. Wie kannst mich so hinters Licht führen? Hast du gar kein Mitgefühl?"

Meine großen braunen Augen blicken zu ihm auf, meine Lippen schieben sich automatisch nach vorne, sodass alle um mich herum leise zu lachen beginnen. Ich habe schon lange meinen schmollenden Blick nicht mehr benutzt, aber jetzt? Ja, jetzt hat er ihn verdient und wenn es sein muss, schmoll ich den ganzen Abend.

„Komm schon, Hails. Bitte, nicht dieser Blick. Du weißt, doch ich kann ihm nicht widerstehen."

Innerlich lache in mich hinein, weil er selbst schuld ist an diesem Schlamassel. Er weiß, wie sehr ich Überraschungen hasse und trotzdem macht er es immer wieder. Stur sehe ich ihn noch immer so an, bevor er resigniert den Kopf in den Nacken legt und laut aufstöhnt.

„Okay, du hast gewonnen. Was willst du, kleine Hexe?"

Triumphierend strecke ich meine Faust in die Luft und kreische los. Ha, ich hab gewonnen. Als ich jedoch seine Worte registriere, halte ich inne und lege meinen Kopf schief, um über sein Angebot nachzudenken. Was soll ich mir nur wünschen?

„Mir fällt gerade nichts ein, aber ich behalte meinen Wunsch natürlich. Ich werde dich wissen lassen, wenn es so weit ist, mein Lieber."

Meine Eltern, Ella und Faith haben uns die ganze Zeit über beobachtet und ich muss zugeben, dass ich sie komplett vergessen habe. Das passiert mir öfter, wenn ich mit Hunter unterwegs bin. Denn er beansprucht meine volle Aufmerksamkeit auf sich.

„Wo das jetzt erklärt ist, können wir nun los? Ich kann es kaum erwarten, endlich dieses Zeugnis in die Hände zu bekommen", ruft Faith aus und sieht uns alle erwartungsvoll an.

Einstimmiges Nicken erfolgt, sodass wir uns alle auf den Weg zu unserem Campus machen. Hunter nimmt meine Hand in seine, lauscht aber den Erzählungen meines Vaters, während ich Ella zuhöre, die wieder über irgendwelche Jungs berichtet, die ihr auf die Nerven gehen.

Faith diskutiert mit meiner Mom über irgendwelche Zahlen und wenn ich mir sie alle ansehe, schleicht sich ein ehrliches Lächeln in mein Gesicht.

Diese Menschen will ich niemals in meinem Leben missen wollen. Sie sind das, was ich brauche, um komplett zu sein.

Meine Familie.

| H E A R T B A T T L E | ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt