Kapitel Siebenunddreissig: erste Annäherungsversuche

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Das Lachen von meinem süßen Neffen dringt zu mir durch, als ich ihn durch die Straßen im Kinderwagen manövriere. Seine Hände fuchteln wild umher, während seine Augen alles um uns herum mit der kindlichen Neugierde aufsaugen. Alle paar Sekunden zeigt mir Finn etwas mit den Händen, was für ihn interessant ist, danach klatscht er vergnügt auf und sieht mich strahlend an. Er ist das süßeste Baby, was ich je gesehen habe und ich sage das nicht, weil ich seine Tante bin.

„Woher hat er das nur? Du warst nicht so süß wie er, Schwesterherz."

Ella sieht mich empört an, bevor ich einen Schlag auf den Arm bekomme. „Hey", protestiert sie. „Ich war auch süß!"

Lachend sehe ich sie spöttisch an. „Da sagen die Kinderfotos was anderes. Hast du sie bereits vergessen?"

Finn quietscht auf, zeigt uns mit dem Finger auf einen Vogel und versucht das Tiergeräusch nachzuahmen. Nur hört es sich eher nach einem Schwein an, als nach einem Vogel.

„Ja, die Fotos sind mies, das stimmt. Dafür bin ich jetzt eine Augenweide", erwidert sie zwinkernd, sodass ich laut lachen muss.

„Das hört sich gar nicht eingebildet an", ziehe ich sie auf.

Wenn ich an all unsere Kindheitserinnerungen denke, muss ich den Kopf schütteln. Meine Eltern haben keinen Tag ausgelassen uns in peinliche Kleidung zu stecken oder aus uns Prinzessinnen zu machen. Blöd nur, dass wir beide nicht darauf ansprangen. Wir haben lieber Fußball gespielt, sind auf Bäume geklettert oder haben an Baumhäuser gebastelt. Sehr zum Leidwesen meiner Mutter, die jedes Mal einen Schock bekommen hat, als wir wieder ganz schmutzig nach Hause gekommen sind.

„Wir waren damals schon richtige Rebellen", sagt Ella, da sie genau wie ich in Erinnerungen schwelgt.

Ich gebe einen zustimmenden Laut von mir, biege rechts ab und stoße mit jemanden zusammen. Finn kreischt vor Vergnügen auf, da er solche Aktionen liebt. Wer ihm das beigebracht hat, weiß ich nicht, aber ich glaube, es war mein Dad.

„Tut mir leid", entschuldigt sich die Person.

Als ich die Stimme höre, schießt mein Kopf nach oben, während meinen ganzen Körper eine Gänsehaut ziert. In meinem Bauch fängt es an zu kribbeln und sobald ich in seine grünen Augen sehe, vergesse ich alles um mich herum.

Hunter sieht mich aus warmen Augen an, bückt sich zu Finn runter und begrüßt ihn mit einem Kuss auf dem Scheitel. „Na mein Großer. Bist heute gefährlich unterwegs, was?"

Meine Augen formen sich zu kleinen Schlitzen, angriffslustig hebe ich die Brauen in die Höhe und stemme dabei demonstrativ meine Hände in die Hüften. „Er ist in besten Händen, Hunter."

„Bei deiner Tollpatschigkeit ist das schwer zu glauben, Hails."

Er steht langsam auf, kommt mir einen Schritt näher und haucht mir einen Kuss auf die Wange. Sofort erröten sie, während mein Verstand den Geist aufgibt und dabei nicht mehr weiß, was ich noch sagen wollte.

„Danke für das Essen, Zimtschnecke."

Ella sieht uns nur wissend an, schnappt sich Finn und winkt uns noch zu. Verdattert sehe ich ihr nach, wie sie im Supermarkt verschwindet und mich allein mit ihm lässt.

„Nichts zu danken", winke ich ab. Ich hab es mir zur Aufgabe gemacht, Hunter jeden Abend mit Essen zu versorgen. Es soll ihm gut gehen und wie kann ich das am besten kontrollieren, als ihm Essen zu bringen und nach dem Rechten zu sehen.

Es sind jetzt bereits zwei Wochen vergangen, seit Rick mit ihm geredet hat. Sie haben sich noch viele weitere Male getroffen, sich ausgetauscht und ich kann sehen, wie gut es ihm tut. Es wird noch lange dauern, bis er wieder der Alte ist, aber ich kann den Fortschritt sehen, den er jeden Tag macht. Seine Aggressionen sind nur noch minimal vorhanden, er isst wieder regelmäßig und das Funkeln in seinen Augen kehrt langsam zurück.

„Was gibt es denn heute Abend?", erkundigt er sich.

„Da du Fleisch über alles liebst, gibt es wahrscheinlich Steak."

Seine Augen glänzen auf. „Bleibst du dieses Mal und isst mit mir zusammen?"

Auch wenn ich ihn jeden Tag gesehen habe, bin ich nie länger als zehn Minuten bei ihm geblieben. Ich wollte ihm Raum geben und ihn nicht in eine Ecke drängen. Er hat auch nie welche Anstalten gemacht, mich zum Bleiben zu überreden. Nicht wie jetzt.

„Äähm ...", stottere ich überrascht.

„Äähm, was?", hakt Hunter belustigt nach.

„Okay."

Mehr als dieses eine Wort kommt nicht über meine Lippen. Ich bin viel zu verwirrt und überrascht zu gleich über sein Angebot. Hunters Augen glänzen noch mehr auf, als ich ihm zustimme, weswegen er mir nochmals näher kommt und mich in seine Arme zieht.

„Dann freu ich mich auf dich. Wir sehen uns dann", sagt er noch bevor er sich wieder aufrichtet und seinen Weg fortsetzt.

Verdattert sehe ich ihm nach. Ich konnte darauf nicht mal etwas erwidern, so schnell ist er verschwunden.

Noch immer verwirrt darüber, gehe ich in den Supermarkt und suche nach meiner Schwester und Neffen. Finns Lachen kann ich bereits hören, sodass ich sie schnell finden kann.

„Tante Hay", gluckst Finn und wedelt mit der Süßigkeitenpackung in meine Richtung. Ella schnappt sie sich und stellt sie wieder an ihren Platz. Sie scheint leicht überfordert zu sein.

„Du darfst keine Süßigkeiten essen, mein Schatz. Hier, das wäre doch was für dich."

Sie reicht ihm eine Banane, die Ella bereits in ihrem Wagen hat. Finn schaut nur mit großen Augen darauf und streckt daraufhin wieder seine Arme zu den Haribo.

„Worüber haben Hunter und du geredet?", hakt meine kleine Schwester nebenbei nach. Sie marschiert durch die Gänge und schnappt sich alle Produkte, die auf ihrer Liste stehen.

„Ach, nichts Besonderes. Wir werden heute Abend zusammen essen."

„Ihr habt ein Date?", hakt sie überrascht nach.

„Nein, nur ein Essen unter Freunden", protestiere ich dagegen.

„Das hört sich aber anders an, Schwesterherz."

Ella wirft mir einen Blick zu und wackelt mit ihren Augenbrauen. Stöhnend lasse ich meinen Kopf in den Nacken fallen. Wir haben aber kein Date, schimpfe ich gedanklich mit ihr.

Oder?

Hunter hat mich doch nicht nach einem Date gefragt, sondern nur ob wir zusammen essen wollen. Ella interpretiert mal wieder zu viel in die Sache. Das hat nichts zu bedeuten.

Ella bezahlt ihren kleinen Einkauf, während meine Gedanken noch immer bei diesem Essen sind. Meine kleine Schwester hat mir einen Floh ins Ohr gesetzt, sodass ich unsicher werde.

„Hör mal Haylee. Ich wollte dich nicht verunsichern. Lass es doch auf dich zukommen, vielleicht ist es wirklich nur ein Essen. Also mach dir keinen Kopf."

Sie nimmt meine Hand in ihre und drückt sie sanft. Dankbar lächle ich sie an, nehme den Kinderwagen und laufe mit Finn nach draußen. Jetzt muss ich nur noch nach Hause, um das Essen für heute Abend vorzubereiten. Am besten ich nehme es mit und benutze seine Küche. Wäre nicht das erste Mal.

Das ist ein guter Plan. Ich glaube, so mache ich das.

Das wird ein Kinderspiel. Oder etwa doch nicht?

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