Kapitel Vierunddreissig: Fallen

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Vor 5 Jahren

Kennst du das Gefühl, wenn alles um dich stehen bleibt? Du nichts mehr wahrnehmen kannst und dich fragst, ob du in diesem Moment in einem Alptraum gefangen bist.

Kennst du das Gefühl, den Boden unter deinen Füßen zu verlieren? Du fällst immer weiter in die Tiefe, kannst dich nirgendwo festhalten und lässt es am Ende einfach geschehen. Ohne irgendwelche Gegenwehr, weil es sowieso das Beste wäre, wenn sie dich einnimmt. Die Dunkelheit umgibt dich, schleicht sich in jede Ecke deines Verstandes und lässt dich nicht mehr los. Sie lässt dich nichts sehen, sondern nur fühlen. Du fühlst den ganzen Schmerz, der dich innerlich entzweireißt und dir die Luft zum Atmen nimmt.

Bis zum jetzigen Zeitpunkt habe ich das nicht für möglich gehalten. Ich wusste nicht, wie es sich anfühlt alles zu verlieren, an das man geglaubt hat. Alles in mir schreit wegen des Schmerzes und doch versagt meine Stimme dabei kläglich. Kein Laut dringt über meine Lippen.

Noch immer halte ich den Brief in den Händen, sehe ihn mir an und kann nicht glauben, was ich da lese. Wieso hat er mich verlassen? Er hätte mit mir reden können. Wir hätten zusammen nach einer Lösung suchen können. Wie wir es immer getan haben. Wir haben sogar darüber geredet und er hat es mir versprochen. Und doch war ihm dieses Versprechen nicht wichtig genug, weswegen er es ohne zu Zögern gebrochen hat.

Mitchs Rufe nehme ich nicht wahr, denn meine ganze Konzentration liegt auf diesem Brief und auf meinen inneren Schmerz. Meine Lungen schreien und verlangen nach Luft, die ich ihnen nicht geben kann, da mein Körper nicht mehr funktionieren will. Schwarze Punkte tauchen in meinem Sichtfeld auf, mein Körper beginnt unkontrolliert zu zittern und ich kann nichts dagegen unternehmen. Als wären mir die Hände gebunden, so stellt sich mein Verstand gegen mich.

„Holt den Arzt her, verdammt nochmal und hilft dem Mädchen.“

Irgendetwas packt meine Hände, ziehen meinen Körper nach oben, aber ich kann nicht erkennen, was es ist.

„Sie hat eine Panikattacke. Bringt mir Citalopram.“

Mein Körper wird auf etwas Weichem gelegt, dass sich sanft um meine Kurven schmiegt. Meine Wahrnehmung kommt langsam zu mir zurück, meine Lungen bekommen die Luft, auf die sie so sehnlich gewartet haben und die schwarzen Punkte verschwinden vor meinen Augen. Ich weiss nicht, wie lange ich in diesem Zustand war. Es können Sekunden, Minuten oder sogar Stunden sein. Denn wie alles andere, hat mich auch mein Zeitgefühl verlassen.

Viele Augenpaare sind auf mich gerichtet, lassen mich keine Sekunde aus den Augen und die Frau, die mir an nächsten ist, lächelt mich warm an.

„Geht es wieder?“, hakt sie fürsorglich nach. Kurz schüttle ich all meine Gliedmaßen, damit ich die Bestätigung erhalte, die mein Verstand bitter nötig hat. Wie es scheint funktioniert alles wieder. Das Zittern hat aufgehört, auch wenn mir eiskalt ist. Meine Lungen bekommen wieder Luft, nur der Schmerz in meinem Inneren ist noch da und zeigt mir, dass diese Situation kein Traum war.

„Hunter“, murmle ich leise vor mich hin. „Wo ist Hunter?“

Mitleidig verzieht sich das Gesicht der Frau, die einen weißen Kittel anhat. Ich nehme mal an, dass es sich um eine Ärztin haltet.

„Du hattest eine Panikattacke. Wir haben den Brief in deiner Tasche verstaut. Es tut mir leid, aber ich weiß nicht, wo dein Freund ist.“ Sie richtet sich wieder auf und will bereits das Zimmer verlassen, als sie nochmals innehält. „Übrigens wartet deine Schwester vor der Tür. Kann ich sie hereinlassen?“

Knapp nicke ich ihr zu und presse meine Lippen fest aufeinander, da sie wieder begonnen haben zu zittern. Tränen bilden sich in meinen Augen, weil sie mich an den Grund erinnert hat, der mich erst in diese Situation gebracht hat. Wie soll ich das nur durchstehen?

Völlig verwirrt, verletzt und am Ende senke ich meinen Blick auf meine Hände und erkenne erst jetzt, dass ich auf einem Bett liege. Eigentlich würde meine Neugierde in diesem Moment die Oberhand gewinnen, indem ich alles um mich herum genau beobachte, aber dieses Mal bleibt sie aus. Das einzige, was sie in diesem Moment wissen will, ist der Grund für sein verschwinden.

„Hi Hails“, kommt es links von mir.

Ich habe keine Kraft, um meinen Blick zu heben, weswegen ich die Decke weiter anstarre. Aber den Stich in meinem Herzen lässt mich zusammenzucken.

„Nicht“, flehe ich sie an.

Ich kann ihn nicht hören, denn er wird mich immer an eine Person erinnern, die mir den größten Schmerz zugefügt hat.

„Was? Hast du Schmerzen oder soll ich jemanden rufen?“, fragt sie fürsorglich nach.

„Nenn mich nicht so.“

Ich will nicht, dass mich jemand so nennt, weil er mir diesen Spitznamen verpasst hat. Er war derjenige der mich immer so nannte und mich würde es nur mehr in das Loch fallen lassen, in das ich bereits stürze.

Ella sieht mich besorgt an, stellt ihre Tasche auf das Bett und schlingt ihre Arme um mich. Schockiert sehe ich die Tasche an, schließe die Augen und schreie laut auf. Es fühlt sich an, als würde mich der Inhalt auslachen, denn ich kann einen weiteren Umschlag erkennen, mit genau derselben Handschrift.

„Wieso?“, schreie ich aus mir heraus.

„Alles wird gut, Schwesterherz. Ich bin für dich da. Wir werden das gemeinsam durchstehen.“

Immer wieder flüstert sie mir die Worte ins Ohr, während ich mir die Seele aus dem Leib schreie. Der Schmerz sitzt viel zu tief, als dass ich ihn verdrängen könnte. Ich hab nie gedacht, dass mir der Verlust von Hunter so nahe gehen wird. Aber ich liebe ihn doch so sehr, weshalb alles in mir sich nach ihm verzehrt.

„Ich kann das nicht. Wie soll ich das ohne ihn schaffen?“

Liebe Ella

Leider sehe ich keine andere Möglichkeit, als von hier zu verschwinden. Es tut mir im Herzen leid deine Schwester zu verlassen, aber es geht bedauerlicherweise nicht anders. Bitte sorge dich um sie, sei für sie da, weil ich es nicht kann.

Sie wird eine schwere Zeit durchleben, wenn ihre Gefühle nur annähernd so stark sind wie meine. Mir zerreißt es bereits jetzt das Herz und ich wünschte, ich könnte in die Vergangenheit zurückreisen und den Fehler rückgängig machen.

Sei nicht böse auf mich. Ich hab dich lieb und pass bitte auf Sie auf.

Hunter James

| H E A R T B A T T L E | ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt