Kapitel Achtunddreissig: Entschuldigung

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Vor 5 Jahren

Lewis und ich sitzen noch immer am Fluss, spenden uns Trost gegenseitig und genießen die Stille, die uns umgibt. Niemand sagt ein Wort, sondern wir schwelgen beide in unseren Gedanken. Mein Schluchzen wurde immer weniger, bis er ganz verebbte. Aber ich lehne mich noch immer an ihn, suche den Kontakt. Ich fühle mich geborgen und verzweifelt halte ich mich daran fest, da ich mich vor dem Abgrund fürchte. Irgendwie hat Lewis es geschafft, mein fallen zu stoppen. Als wäre mein Körper an einem Seil festgebunden, der Knoten im Moment stark genug, um mein Gewicht halten zu können. Ich hab Angst, dass sich der Knoten lösen wird, sobald er verschwinden sollte.

Mein Smartphone vibriert in meiner Hosentasche, jedoch schenke ich dem Ding keine Beachtung. Es hat vor einiger Zeit begonnen, doch seit fünf Minuten hört es nicht auf.

„Ich spüre die Vibration bis hierhin. Schau doch nach, wer es ist. Sie machen sich bestimmt Sorgen um dich.“

Lewis schlingt seinen Arm um mich, zieht mich näher an sich heran, um mit seiner Hand mein Handy aus der Hosentasche zu fischen.

„Ella ruft dich ununterbrochen an. Willst du nicht rangehen?“

Er streckt es mir entgegen, doch ich drehe mein Gesicht weg von diesem Ding. Wieso können sie mich nicht in Ruhe lassen? Sie haben heute Morgen gesehen, dass es mir besser geht. Oder halt besser als noch vor drei Tagen.

„Hallo Ella, hier ist Lewis“, beginnt er das Gespräch, nachdem er abgenommen hat, weil ich mich weigerte. „Sie ist mit mir am Fluss. Es geht ihr soweit gut, keine Angst. Ich werde sie nicht aus den Augen lassen.“

Laut schnaube ich auf, verdrehe dabei die Augen und drehe mich so um, dass ich mit meinem Rücken an ihn lehnen kann. Automatisch schlingt sich sein Arm um mich, sein Kinn platziert er auf meinem Kopf und telefoniert ruhig mit Ella weiter. Das Telefonat blende ich gekonnt aus, schließe die Augen und versuche die Sonne zu genießen.

Vergeblich bemühe ich meine Gedanken zu verdrängen, was mir nicht so richtig gelingen will. Er schleicht sich immer wieder ungefragt in meinen Kopf, sendet mir irgendwelche Erinnerungen und lässt mein Herz bluten und schmerzen.

Ich bemerke nicht einmal, wie Lewis das Telefonat beendet, bis er mir das Handy in die Hand drückt.

„Hier hat er dich zu Dylans Party eingeladen, erinnerst du dich?“

Kurz schweift mein Blick umher, ein kleines Lächeln bildet sich auf meinen Lippen, als die Erinnerung mich durchflutet. Das war vor fünf Jahren. Wie die Zeit vergeht. Wer hätte damals gedacht, dass wir zueinander finden würden? Ich nicht.

„Du hast doch den Ball in meine Richtung geworfen“, tadle ich ihn. Unschuldig zuckt er mit den Schultern. „Das war seine Idee.“

Lewis hat vom ersten Moment begriffen, dass ich seinen Namen nicht hören will. Er hat ihn nicht ein einziges Mal erwähnt und ich bin ihm so dankbar dafür. Ich weiß genau, wieso die beiden befreundet sind. Lewis ist ein guter Freund.

„Weißt du noch, als John und du gegen uns beide beim Volleyball verloren habt? Er hat die ganze Woche deswegen geschmollt.“ Lachend nickt Lewis und hält sich eine Hand vor dem Mund.

„Schade, dass er wegziehen musste. Hast du noch Kontakt zu ihm?“, hake ich nach.

„Leider nicht. Nach einigen Monaten wurden die Nachrichten weniger, bis sie ganz aufhörten.“

Dieses Mal unterbricht uns sein Smartphone. Umständlich holt er es hervor, runzelt verwirrt die Stirn und nimmt ab. „Ja?“

Eine männliche Stimme spricht auf der anderen Leitung, die ich jedoch nicht verstehen kann. „Wir werden gleich da sein“, versichert Lewis und legt auf.

Neugierig drehe ich mein Gesicht zu ihm, als er mich mit den Händen nach vorne schiebt, damit er aufstehen kann.

„Steh auf, wir müssen ins Café“, weist er mich an und streckt die Hand nach mir aus, um es mir leichter zu machen. „Wer hat dich denn angerufen?“ Meine Neugierde wurde geweckt, weswegen ich ihn erwartungsvoll ansehe.

„Das war Mitch. Er wurde heute entlassen und hat nach dir gefragt. Jemand hat ihm verraten, dass wir zusammen hier sind. Er will dich sehen.“

Ein ungutes Gefühl macht sich in mir breit. Ich hab Mitch seit meinem Zusammenbruch nicht mehr gesehen. Er hat sich einige Male bei einer Schwester nach mir erkundigt, sich aber nicht getraut mich zu besuchen. Seine Worte schwirren mir im Kopf. Er hat sich dafür entschuldigt, als wäre es seine Schuld. Was genau ist zwischen den beiden vorgefallen, dass Hunter seine Sachen gepackt hat und so schnell verschwunden ist?

Vielleicht bekomme ich heute die Antwort darauf.

Den ganzen Weg über schweigen wir uns an. Dafür halte ich mich an seinem Arm fest. Mein Körper braucht die Bestätigung, dass er noch immer da ist. Vor dem Café halte ich einen Moment inne, atme tief ein, bevor ich Lewis entschlossen ansehe. „Bringen wir es hinter uns.“

Ich folge Lewis ins Innere, begrüße die anderen Gäste, bevor wir an unser Ziel ankommen. Mitch sitzt mit Rick zusammen am Tisch, ein Kaffee und Kuchen vor ihnen. Beide heben gleichzeitig ihre Blicke, sehen mich ernst an, bis sich Rick erhebt und mich in seine Arme zieht.

„Hallo Kleines.“

„Hi Onkel Rick, Mitch“, begrüße ich die beiden und setze mich hin. Ich bin gespannt, weshalb er mich hierher zitiert hat. Erfahre ich heute mehr? Kann ich endlich damit abschließen oder wird es nur noch schwerer für mich?

„Danke, dass du gekommen bist“, fängt Mitch an und nimmt meine Hände in seine, um sie einmal zu drücken. „Es tut mir leid, dass es so gekommen ist. Ich wusste es damals nicht besser und ich bereue diesen Fehler zutiefst.“

„Was für ein Fehler?“

Schuld zeichnet sich in seinen Augen. Ich kann sehen, wie sehr er mit sich selbst hadert, aber was ich auch sehen kann, ist, dass ich von diesem Mann kein Wort erfahren werde.

„Ich darf es dir nicht sagen. Hunter hat mir ein Versprechen abgenommen und dieses eine Mal will ich es richtig machen.“

Enttäuscht schließe ich die Augen und entziehe ihm meine Hände. „Wieso bin ich hier?“

„Du darfst wütend auf mich sein, aber trotzdem hoffe ich, dass du mir irgendwann verzeihen wirst. Es tut mir wahnsinnig leid und ich wollte euch nie trennen.“

„Es gibt nichts zu verzeihen. Ich sehe bei dir keine Schuld. Es war Hunters Entscheidung, von hier zu verschwinden, nicht deine.“

Erleichterung macht sich in seinem Gesicht breit. Wie es scheint, hat ihn das ziemlich mitgenommen. Er soll sich nicht die Schuld dafür geben, auch wenn ich wütend auf ihn bin. Aber meine Wut gilt eher auf seine Entschlossenheit, mir nichts zu sagen.

„Wenn du was brauchst, ruf mich an. Ich werde immer für dich da sein, Kleines. Vergiss das nicht“, mischt sich Rick ein.

„Danke, Onkel Rick. Das weiß ich zu schätzen.“

Onkel Rick

Ich weiß, dass ich nur durch deine Beziehungen so schnell in die Army aufgenommen wurde. Dafür will ich dir danken. Ich hoffe, meine Leistung wird dich stolz machen und dass wir uns bald wieder sehen werden.

In dieser Zeit bitte ich dich, auf Dad zu achten. Er soll sich nicht wieder in die Scheiße stürzen. Leider hat er aber ein Händchen dafür.

Was ich dich noch bitten will, ist, dass du auch auf Hails ein Auge werfen sollst. Meine Freunde und ihre Familie werden bereits auf sie achten und doch will ich, dass du dich informierst, ob sie nicht etwas brauchen kann. Ich hab mit dem Cafébesitzer einen Deal ausgehandelt. Sobald es Zeit wird, wird er sich bei dir melden. Damit wirst du ihr eine riesengroße Freude bereiten. Nur sag ihr nicht, dass ich was damit zu tun habe. Das würde sie nur verletzen.

Danke für alles.

Hunter James

| H E A R T B A T T L E | ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt