Kapitel 4 - Tag 2 [Annalena]

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Kapitel 4 – Tag 2 [Annalena]


Der Wintergarten war ein etwa 40 Quadratmeter großer, verglaster Anbau im obersten Stockwerk des Hotels. Mehrere Sitzmöglichkeiten waren in diesem Raum verteilt und an einer Wand gab es eine Selbstbedienungs-Theke, an der man sich heiße Getränke zubereiten aber auch gekühlte Softdrinks aus einem Mini-Kühlschrank nehmen konnte. Über Lautsprecher in den Ecken des Raumes ertönte eine leise, beruhigende Musik.

Es war nicht sonderlich viel los, neben Robert und Annalena waren nur noch zwei andere Gäste anwesend. Die beiden holten sich einen Tee und wählten ein Sofa in einer kleinen Sitzgruppe aus, die mit Blick zum Fenster ausgerichtet war.

Sie setzten sich und keiner von ihnen sagte ein Wort, stattdessen genossen sie einfach die Musik und die Aussicht, die man von hier oben hatte. Unten liefen Gäste mit Skiern zum hoteleigenen Skilift, sie nutzen noch die letzten Sonnen-Minuten des Tages bevor die Dämmerung anbrach.

Annalena hatte nicht bewusst wahrgenommen, dass sie näher zu Robert gerutscht war, aber sie fühlte seine Präsenz und die Wärme, die sein Körper ausstrahlte, plötzlich deutlich stärker. Also lehnte sie ihren Kopf an seine Schulter und schloss ihre Augen für einen Moment.

Robert war ihr Fels in der Brandung; das wurde ihr immer wieder aufs Neue bewusst. Sie spürte, wie sie zum ersten Mal seitdem sie gestern hier angekommen waren mal so richtig durchatmen und entspannen konnte. Ihre Hand tastete nach seiner und fand sie blind, sie verschränkten ihre Finger.

Die Unterhaltung der anderen Gäste und die Musik wurden immer leiser in Annalenas Ohren, bis Roberts gleichmäßiger Atem das Einzige war, was sie noch bewusst wahrnahm. Sie könnte ewig so neben ihm sitzen und einfach nichts tun.

„Robert, Annalena – seid ihr das?" Eine bekannte Stimme ließ Annalena herumfahren.

Saskia stand neben dem Sofa mit einer Tasse in der Hand, „Sieh mal einer an, Norbert und ich hatten wohl die gleiche Idee. Wir stören doch nicht, oder?"

Robert lächelte und in seiner liebenswerten (und in manchen Momenten wirklich bedauernswerten) Art sagte er sofort: „Nonsens, setzt euch gerne zu uns."

Die SPD-Frau winkte ihren Kollegen herüber, stellte ihr Heißgetränk vor ihnen auf den Tisch und nahm ihre Maske ab, während sie auf einem Sessel in der Sitzgruppe Platz nahm.

Annalena ließ Roberts Hand los; sie ignorierte seinen Blick und drehte sich dann kurz zu Norbert um, der nun Kurs auf die drei genommen hatte.

Bis der SPDler sich zu ihnen setzte, hatte Annalena wenigstens minimal Abstand zwischen Robert und sich gebracht.

Die vier unterhielten sich über allerlei, auch über den Plan für den Abend, welchem Saskia und Norbert zustimmten. Der Rest des Nachmittags verging wie im Flug.

Robert verabschiedete sich zuerst, er wollte kurz vor dem Abendessen noch mal an der Rezeption vorbeischauen. Christian hatte sich nicht mehr zurückgemeldet, und wenn sie heute Abend wirklich planten in die Pianobar zu gehen, müssten sie sich ja noch anmelden.

Annalena, Saskia und Norbert brachen dann ein paar Minuten später Richtung Speisesaal auf.


Die Auswahl beim Abendessen war wieder mal riesig – Annalena fand das fast ein bisschen übertrieben, andererseits war das ganze Hotel sehr protzig.

Sie hinterfragte immer noch die Beweggründe für die Auswahl des Fortbildungsortes. Da war wohl ein Mitglied der Jungen Union mit der Reiseplanung beauftragt worden. Es war ja löblich zu sehen, dass die JU in Tradition ihrer Mutterparteien schonmal die Steuerverschwendung übte. (Nein, war es eigentlich nicht.) Annalena hätte sich die Vorträge auch in Berlin angehört, dafür mussten sie nicht in die Berge.

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