Kapitel 7: Algerische Spezialitäten (1)

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»So, so, algerische Spezialitäten«, sagte Onkel Quentin beim Betreten des Restaurants mit dem hübschen Namen Le cèdre. Nachdem er schon den ganzen Tag ohne die Kinder hatte zubringen müssen, war ihm der Wunsch nicht abzuschlagen gewesen wenigstens den Abend mit ihnen gemeinsam zu verbringen. »Besonders vornehm sieht das aber nicht aus hier.« Zigarettendunst und arabisch klingende Musik empfingen die Besucher. Um die im Raum verstreuten Holztische – ein Dutzend an der Zahl – saßen ausnahmslos dunkel­häutige, schwarz­haarige Männer, auch einige Schwarzafrikaner waren darunter. Zum Teil waren sie in geräuschvolle Spiele vertieft. Auf dem Tisch am Fenster, durch das man auf die Straße sehen konnte, servierte eine bunt beschürzte Kellnerin gerade Couscous, an den übrigen saßen die Männer zumeist vor Tee- und Kaffeetassen. Bier oder stärkere alkoholische Getränke waren weniger zu sehen. An den Wänden hingen Landkarten und Bilder, die die Kultur des Maghreb in Erinnerung halten sollten: Karawanen, weiße Wüstenstädte, bunte Basare. Onkel Quentin und die Kinder nahmen die letzten freien Plätze in der Nähe der Theke ein. Dabei trafen sie, die einzigen Weißen in dem Lokal, argwöhnische Blicke. »Und ihr meint, hier sind wir richtig?«, fragte ihr Onkel leicht verunsichert.

»Hundert Pro!«, sagte Julian und sah zum Nachbartisch hinüber, wo ein Brettspiel seine Aufmerksamkeit fesselte: viele kleine, braune Holz-Kügelchen in zwei parallel angeordneten Reihen mit je sechs Mulden im Brett. Er stieß Anne an: »Mit denen muss man mal ins Gespräch kommen.«

»Würdest du bitte präzisieren, wen du mit ›man‹ meinst?«, gab Anne süffisant lächelnd zurück. Die Bedienung brachte die Speisekarten. Während die anderen sich darin zurechtzufinden versuchten, provozierte Julian mit seinen neugierigen Blicken, dass einer der Spieler, ein dunkler Typ mit einem Ohrring im rechten Ohr, ihn ansprach: »Tu regardes, petit!...« Anne bekam wieder einen Rippenstoß und übersetzte genervt: »Was du ihn so dämlich anstarrst, will er wissen.« Dann gab sie dem Mann, dessen breites Grinsen makellos weiße Zähne in rosigem Zahnfleisch erkennen ließ, zu verstehen, dass Julian ihr Spiel total interessant finde. Jetzt lachte der Afrikaner erst richtig. »Kalaha!«, sagte er. Dann machte er eine Handbewegung, die zum Näherkommen aufforderte. Julian nahm seinen Stuhl und setzte sich damit an die freie Seite des Nachbartisches, Anne im Schlepptau. »Wenn ich nur wüsste, was du schon wieder im Schilde führst«, brachte sie zwischen leise knirschenden Zähnen hervor.

»Julian?«, wunderte sich auch Onkel Quentin.

»Bin zum Essen zurück«, erwiderte der Angesprochene kurz angebunden.

»Julian interessiert sich neuerdings für afrikanische Brettspiele«, erläuterte Anne. Onkel Quentin schüttelte verständnislos den Kopf, wandte sich dann aber wieder dem Fachgespräch zu, das Dick mit ihm angefangen hatte. Die Afrikaner, die sich mit den Namen Ibrahim, Adil und Abdelhak vorstellten, unterbrachen ihr Spiel um den neugierigen Briten und seine Sitznachbarin etwas näher kennen zu lernen. Alle lächelten freundlich und brachen über Julians französisches Gestammel und Annes Erklärungen sofort lauthals in Gelächter aus. Das verunsicherte Julian anfangs, zumal von den anderen Tischen inzwischen so ziemlich jeder sich mindestens einmal zu ihnen umgedreht hatte. Einige waren sogar aufgestanden und nahmen ungehemmt eine Zuschauerpose ein, so interessant schien ihnen diese Begegnung zu sein. Als dann die Heiterkeit, das Schulter- und das Schenkelklopfen gar nicht mehr aufhören wollten und nahezu jedes Wort, das Julian ausstieß, applaus­ähnliche Zustimmung erfuhr, begann er sich in dieser Rolle immer wohler zu fühlen. Nachdem Julian und Anne ein bisschen von sich und Onkel Quentin erzählt hatten, der freundlich herübernickte, als er seinen Namen hörte, kam das Gespräch auf das Spiel zurück. Ein Bekannter namens Kalil habe ihm mal von einem Spiel namens Kalaha erzählt, ließen Julian und Anne durchblicken. »Kalaha, Mancala, Awale, Oware...«, rief Ibrahim lachend. Viele Namen für dasselbe Prinzip. Dieses Spiel sei in Afrika so verbreitet wie in Europa der Wohlstand. Ein Bekannter? Das sei aber interessant. Kalil? Den kenne man doch vielleicht, wo der denn arbeite. Bei einem früheren Rennfahrer, aha!

Einer der Umstehenden trat hervor und rief begeistert aus: »Kalil Safer!« Na, und ob man den kenne! Der habe ja richtig Karriere gemacht hier im reichen Frankreich. Das Haus von diesem Herrn, das sei ja der Palast eines Scheichs! Allerdings habe man besagten Kalil schon lange nicht mehr hier gesehen. Früher habe man sich immer am Freitag zum Spielen getroffen, aber jetzt habe sich Kalil rar gemacht. Warum? Da fing der Mann, der Kalil kennen wollte, plötzlich an herumzudrucksen, wurde einsilbig und verschlossen. Die anderen zogen ihn auf und sagten, er solle sich nur nicht erst wichtig machen und dann, wenn es spannend werde, mit der Wahrheit hinterm Berg halten. Nun wurde der Mann, der erst so begeistert berichtet hatte, direkt ein bisschen böse, meinte nur: »Wenn Kalil euch nicht gesagt hat, warum er sich hier nicht mehr blicken lässt, dann sage ich es euch auch nicht!«

»Na, er wird schon seine Gründe haben!«, erwiderte Ibrahim, der mit dem breiten Lachen und den weißen Zähnen, augenzwinkernd und löste damit eine weitere Lachsalve aus, denn alle vermuteten irgendeine Doppeldeutigkeit in seinen Worten und vermuteten richtig. Julian wollte nachhaken, denn gerade jetzt schien die Wahrheit zum Greifen nah, doch auf einmal nahmen ihn die Männer nicht mehr ernst, schienen in dem Gesprächspartner von eben nur noch das Kind zu sehen. Erbittert musste Julian einsehen, dass hier nichts mehr zu holen war. Ibrahim wies auf den Tisch, an dem Onkel Quentin gerade das Essen in Empfang nahm, so dass Julian und Anne nichts anderes übrig blieb als sich von der launigen Runde zu verabschieden.

»Naja, die Atmosphäre ist ja etwas gewöhnungsbedürftig«, sagte Onkel Quentin, während er genussvoll das bestellte Fischgericht in sich hineinschaufelte, »aber alles in allem nicht schlecht, diese algerischen Spezialitäten!«

Fünf Freunde ... im Rachen des LöwenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt