Kapitel 10: Expedition ins Dunkel

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Die Sonne begann bereits früh zu wärmen. Und das Trillern einer Lerche vertrieb den letzten Schlaf aus ihren Gliedern. Anne war die Erste, die aufstand.

»Ein kleines Flüsschen täte jetzt gut«, meinte sie, »damit man sich mal waschen kann.«

Julian reckte sich in ihrer kleinen Koje. »Wuah! So'ne Nacht is' doch immer wieder schnell vorbei«, gab er von sich. Dann stand er auf und blickte sich um. »Und einen Durst habe ich!« Er holte seine Wasserflasche aus dem Rucksack hervor und stürzte gierig die letzten Tropfen hinunter. Dann betrachtete er die durchsichtige Flasche und zitierte einen bekannten italienischen Fußballtrainer: »Flasche läärrr! – Ich fürchte, wir haben in der Tat ein kleines Wasserproblem.«

»Ich habe auch nur noch drei Tröpfchen in meiner Flasche. Dicks Tauwasser-Destille hat auch nicht viel gebracht«, stellte Anne mit einem Blick auf Dicks kleine Bastelei vom Vorabend fest. »Damit kommen wir nicht weit.«

»Immer nur Gemecker!«, tönte es aus DiFW-2. »Vermutlich ist die Luftfeuchtigkeit hier zu gering. Man müsste das Ding mal in den Tropen testen. Meine Schuld ist das sowieso nicht. Wenn ihr mir die Zeit gelassen hättet, die neue World-Atlas-Software von Toodle mit Search-and-find-Funktion zu installieren, könnte ich jetzt einen Fluss per Weltkarte suchen, aber ihr wolltet ja nicht auf mich hören.«

»Wenn wir auf dich gehört hätten, wären wir jetzt gar nicht hier, weil du dann immer noch am Systemoptimieren wärst.«

Um acht waren sie wieder unterwegs. »Ich sterbe vor Durst«, klagte Anne. Auch die anderen badeten bereits wieder in Schweiß. »Unser Wassermangel nimmt langsam dramatische Dimensionen an«, befand Julian ernst. »Wie lange kann ein Mensch ohne Wasser auskommen, was schätzt du, Dick?«

»Auf jeden Fall deutlich weniger als ohne Essen! Und das ist schon außerordentlich schwierig.«

»Umkehren?«, fragte Anne vorsichtig.

»Es könnte so weit kommen, dass wir das ernsthaft in Erwägung ziehen müssen. Auf der anderen Seite dürfte der Abstieg nach Vaupière wesentlich schneller vonstatten gehen, trotz unserer Blessuren, die uns ja alle ein bisschen lähmen. Dann sind wir unten, haben Wasser die Fülle und ärgern uns, dass wir nicht durchgehalten haben. Mit anderen Worten, wir müssen jetzt einfach Wasser finden! Das kann doch nicht so schwer sein.«

»Wasser oder einen Feigenbaum!«, jubelte Anne plötzlich. »Seht mal da hinten! Das könnte einer sein.« Im Schatten einer steil aufragenden Felswand im Osten des Tals, in das sie gerade hinabstiegen, befand sich ein Baum, der Anne Zuversicht einflößte. Schnurstracks machten sie sich auf den Weg dorthin. Es war ein Feigenbaum. Und diesmal verschmähte niemand die saftigen Früchte.

»Gelobt sei die Schöpfung des Herrn!«, rief Dick.

»Die Dinger sind wirklich nicht schlecht«, musste auch Julian sein Urteil revidieren. »Und der Schatten hier gefällt mir ebenfalls. Aber, Leute, sagt mal, so ein Baum, der wächst doch hier nicht völlig ohne Wasserzufuhr.«

»Feigenbäume speichern Regen und hier im Tal sammelt sich Regen­wasser. Das reicht ihm vermutlich.«

»Mir nicht!«, erklärte Julian. »So ein Tal ist immer ein Abfluss für alles Wasser aus den Bergen.«

»Aber eben nicht in der Trockenzeit.«

»Guckt euch mal an, wie grün das da unten ist.« Julian wies auf die vor ihnen liegende Senke.

»Das kommt vom Schatten, den die Hänge werfen.«

»Lasst uns noch mal ein bisschen talabwärts wandern, vielleicht gibt es weiter unten was.«

Fünf Freunde ... im Rachen des LöwenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt