Kapitel 8: Strandrecherche (2)

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Julian hatte sich die Zeitung vom Kopf gerissen und wandte sich Anne und Dick zu. »Was sagt man dazu!«, entfuhr es ihm.

»Klatschzeitschriften - die schreiben viel, wenn der Tag lang ist«, gab Dick zu bedenken.

»Aber das sagt doch alles«, tönte es aus dem Laptop. »Euer Martinez ist ein Windhund!«

»Auf jeden Fall ist das ein dicker Hund«, urteilte Dick.

Anne musste sich den Schluss des Artikels noch einmal ansehen. »Pieter Vandermell?«, sprach sie nachdenklich vor sich hin. »Moment mal!« Plötzlich kam es ihr: »Vandermell, na klar, klar doch! So hieß... so hieß der Typ an Bord des Schiffes, der mit dem holländischen Akzent!«

»Wie bitte?« Julian konnte es kaum glauben. »Na, wenn das kein Zufall ist!«

»Holländischer Akzent? Wovon redet ihr?«, beschwerte sich George, die eindrucksvoll bewies, dass auf dem Bildschirm und im Bilde zu sein zwei völlig verschiedene Paar Schuhe waren.

»Ich würde eher sagen«, berichtigte Dick ihn, »wenn das ein Zufall ist... Ich glaube nämlich, eher blühen Rosen auf dem Mond, als dass das Zufall sein kann! Aber das kann man ja rausfinden...«

»Kann mich mal bitte jemand aufklären?«, schimpfte es aus dem Laptop. »Ich mache hier die ganze Drecksarbeit für euch und anschließend werde ich im Regen stehen gelassen und muss betteln, damit ich weiß, was los ist?« Im Hintergrund hörte man ein energisches Bellen, das Georges Worten Nachdruck zu verleihen schien. »Hört ihr? Timmy schmeckt das auch nicht, wie ihr mich hier behandelt.«

»Nur mit der Ruhe«, forderte Julian seine Kusine auf. »Ein Mann mit holländischem Akzent hat etwas mit der Entführung zu tun. Anne hat das herausgefunden.«

»Auf jeden Fall«, fasste Dick zusammen, »haben wir jetzt ein paar Verdächtige mehr und Motive wie Sand am Meer.«

»Sehr treffend bemerkt«, sagte Anne und ließ ein bisschen von dem feinen Strandsand durch ihre rechte Hand auf Julians Bauch rieseln.«

»Was machst du denn da?«

»Weißer Kreis auf rotem Grund - was ist das?«, erwiderte Anne.

»Hä?«

»Anne versucht dir gerade schonend beizubringen, dass dein Bauch irgendwie sonnenverbrannt aussieht.«

»Lieber sonnenverbrannt als hirnverbrannt«, gab Julian gereizt zurück. »Ich bin da nur leicht gerötet, das gibt sich wieder. Also, am besten, du druckst das Ganze mal aus und dann -«

»Äh, Julian?«, hakte Dick betont leise nach.

»Ja?«

»Ich will ja nicht behaupten, dass Drucken jetzt prinzipiell unmöglich wär', aber was soll ich deiner Meinung nach als Drucker benutzen: die Handtücher oder doch lieber den Sonnenschirm oder vielleicht Annes Sonnenmilch?« Wenn Dick versuchte witzig zu sein, kamen häufiger solche unsäglichen Rohrkrepierer dabei heraus.

»Vielleicht doch bisschen am Hirn verbrannt?«, nutzte Anne die Gunst des Augenblicks. Und schon hatte sie Julians Zeitung im Gesicht.

»Ich rede doch mit George, ihr Schlauberger.« Julian erhob demonstrativ die Stimme. »Also, George, du druckst das am besten mal aus und liest das alles noch mal in Ruhe durch. Und was noch von Belang sein könnte von den französischen Sachen, schickst du wie gehabt Anne.«

»Aye, aye, Sir. Stets zu Diensten.« George grüßte militärisch.

»Wuff!«, tönte es aus dem Hintergrund.

»Ich glaube, Timmy hat Angst, er verpasst was«, meinte Julian. »Ist dir eigentlich nicht langweilig im regenfeuchten Britannien?«

»Momentan regnet es nicht. Und heute Abend gehe ich ins Kino.«

»Was gibt es denn? Der englische Patient,passend zu deinem Sommer­schnupfen?«

»Sehr lustig«, erwiderte George genervt. Sie ärgerte sich, dass man ihr an der Stimme angemerkt hatte, dass sie sich im kühlen englischen Sommer tatsächlich ein wenig erkältet hatte. »Ich muss dann. Sonst kommt der nächste Guss, während ich mit Timmy Gassi bin. Was ich sonst noch finde, schicke ich, wie vereinbart, Anne. Viel Erfolg euch - und den Sonnenbrand schön kühlen, Julian!« Mit einem verschmitzten Grinsen verschwand George vom Bildschirm.


»Attanasio, Toppi, Vandermell, Kalil, dann auch noch das Ehepaar Martinez selbst - das wird mir allmählich zu unübersichtlich«, schimpfte Julian, als sie wieder zu Hause im Hotel waren, in dem großen Zimmer, das jetzt Onkel Quentin bewohnte. Julian war immer noch ein wenig missgestimmt wegen seines Sonnenbrandes. »Und außerdem haben wir nicht den geringsten Beweis. Alles reine Spekulation.«

»Weil ich mich nicht in die Crédit-Lyonnais-Datenbanken einloggen darf!«

»Dick, sei brav!«, befahl Julian. »Woher weißt du eigentlich, dass er ein Konto bei dieser Bank hat?«

»Äh...«, drückte sich Dick verlegen um eine Antwort.

»Dick!«, riefen Anne und Julian empört im Chor aus.

»Nein, nein, ich hab' nur Spaß gemacht«, wiegelte der Gescholtene ab. »Die Kreditkarte lag doch auf dem Salontisch neben dem Aschen­becher.«

»Gut beobachtet«, lobte Julian. Dann wechselte er das Thema: »Anne hat Recht: Diese ganzen Spekulationen bringen uns nicht weiter. Jeder von denen kann Dreck am Stecken haben und keiner. Wir müssen uns jetzt von der Theorie verabschieden und uns der Praxis zuwenden. Wir müssen endlich etwas für Hamid tun. Denn dass der nicht in guten Händen ist, das wissen wir sicher!«

Die anderen nickten zustimmend. »O.k., unsere Wandertour...«

»Hoffentlich keine Wander-Tortur«, kalauerte Dick.

»Aber wie wollen wir Hamid finden?«, wollte Anne wissen. »Wir haben doch keine Ahnung, wo die ihn gefangen halten.«

»Wir haben Hinweise. Du hast Hinweise, Anne!«

»Wir haben hier diesen Ort Vaupière«, erklärte Dick, während er eine aus dem Internet ausgedruckte Landkarte ausbreitete und den bereits rot markierten Ort mit dem Finger rasch gefunden hatte.

»Seht mal, wo das liegt«, sagte Julian. »Dass ich nicht eher darauf gekommen bin! Guckt euch mal die Höhenangaben an. Das ist alles gebirgiges, wahrscheinlich zerklüftetes Gelände mit -«

»Höhlen! Grotten!«, rief Anne. »Davon hatten die Gangster auf der Dolores gesprochen. Vaupière ist vermutlich ihr Anlaufpunkt und dort im Umkreis irgendwo haben sie die Kinder versteckt.«

»Vielleicht in einer Grotte«, fügte Julian hinzu.

»Und wir bringen hier Tage mit nutzlosen Vermutungen zu, während Hamid vielleicht Todesängste ausstehen muss.« Annes Stimme hatte einen jammervollen Ton angenommen.

»Leute«, rief Julian in einem Tonfall, als gelte es Europa gegen den Einfall der Hunnen zu verteidigen, »schreiten wir zur Tat!«

»Das hieße praktisch?«, fragte Dick.

Julian ließ sich ein bisschen Zeit, blickte nach links und nach rechts und schließlich auf seine Wanderschuhe, die, bisher ungenutzt, in einer Ecke neben der Zimmertür standen. Dann sagte er: »Schuhe schnüren!«


Im Foyer des Grand Hôtel de Marseille war Julian plötzlich noch etwas Wichtiges eingefallen: Er musste dringend telefonieren. Dazu benutzte er einen Apparat an der Rezeption. Anne und Dick warteten ungeduldig mit ihren Rucksäcken am Ausgang.

»Ach, wirklich? Und hatten Sie eine schöne Reise? - - Köln ist Ihre Heimat, aha! - - Ja, aber nur kurz. Der Dom ist ja gewaltig, nicht? - - Nein, das war's schon, Frau Epervier, ja. - - Ja. - - Danke schön und einen schönen Tag noch, Frau Epervier!« Julian legte auf und eilte zu seinen Geschwistern zurück.

»Bei wem musstest du denn jetzt noch so dringend anrufen?«, wollte Anne wissen.

Julian konnte sich ein verschmitztes Grinsen nicht verkneifen. Was war gegen solche Momente schon ein Sonnenbrand! »Bei einer gewissen Madame Epervier! Ihr wisst doch, wie gern alte Damen mich haben!«

Fünf Freunde ... im Rachen des LöwenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt