Kapitel 15: Das große Finale

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In der Villa Martinez hatte sich Sandrine darum gekümmert, dass ihr Stiefsohn sich ausruhen konnte. Sie saß in einem Liegestuhl am Pool, als Martinez, begleitet von einem Wagen der Polizei, durch das Portal kam. Die Gänse begrüßten ihren Herrn schnatternd. Die Sonne stand schon tief über den Hängen.

Julian schlug vor, dass sich alle im geräumigen Wohnsaal der Villa versammelten, damit er darlegen konnte, wie sich seiner Ansicht nach alles zugetragen hatte. Alle waren einverstanden. Kommissar Brigand war schon sehr gespannt, was Julian ihm zu eröffnen hatte. Sandrine begrüßte ihren Mann mit einem Kuss und zog sich dann in ihr Zimmer zurück um sich umzuziehen.

Alle waren da: In dem bequemen Sofa hatten Martinez, Kommissar Brigand und ein weiterer Polizist es sich bequem gemacht. Auf den Sesseln saßen Julian, Anne und Brigands Assistent Labardier. Roger, der Chauffeur, brachte zusätzliche Stühle für Sandrine und sich selber. Ohne dafür von Julian eine Erklärung einfordern zu können musste Roger außerdem den Plüsch-Pinguin aus Sylvains Zimmer holen. Martinez war nur wichtig, dass er seinen Sohn dabei nicht weckte, der vom Arzt die Empfehlung bekommen hatte, zwei Tage am Stück zu schlafen.

»Ich muss gestehen, dass mir einiges an dem Fall bis zum Schluss Kopfzerbrechen gemacht hat«, begann Julian und machte eine Pause, damit Anne übersetzen konnte. »Bis heute Nachmittag war ich nicht ganz sicher, ob nicht Sie, Monsieur Martinez,« – er wandte sich mit einer Drehung des Oberkörpers dem verblüfften Rennstar zu – »diese Entführung inszeniert haben um sich aus einer finanziellen Zwangslage zu befreien.« Als Martinez die Übersetzung hörte, wollte er gerade mit einem kräftigen Brummen aufbegehren, doch Julian fuhr ihm dazwischen. »Ich entschuldige mich dafür, aber ein professionell arbeitender Detektiv, Kommissar Brigand wird mir da zustimmen,« – Julian blickte jetzt den Kommissar an – »darf keinen Verdacht ausschließen, nur weil ihm der Verdächtige sympathisch ist. Ich darf mich an dieser Stelle, auch im Namen meines abwesenden Bruders Dick, noch einmal für Ihre Gastfreundschaft bedanken, die Sie uns allen während der ganzen letzten Zeit erwiesen haben.«

Anne ging Julians Weitschweifigkeit, die er zu solchen Anlässen prinzipiell an den Tag legte um allen seine geistige Souveränität, sein detektivisches Gespür und seinen unbestritten überentwickelten Scharfsinn auf dem Präsentierteller darzubieten, furchtbar auf den Geist. Sie übersetzte ungefähr die Hälfte und moserte ihn an: »Können wir jetzt mal zur Sache kommen?«

Julian war leicht gekränkt. Er blickte mit errötendem Kopf von Anne weg und sagte: »Nun gut, ich will Sie und meine ungeduldige Schwester Anne nicht länger auf die Folter spannen. Als Sylvain verschwunden war und Roger mich zum ersten Mal in diese Villa chauffiert hatte, gab es gleich die erste Nuss zu knacken: Sylvain war offenbar spur- und geräuschlos verschwunden – trotz der hochmodernen Überwachungs­elektronik von Monsieur Martinez. Mir war ziemlich schnell klar, dass es dafür nur eine Erklärung gab: Monsieur Martinez höchst selbst oder jemand anders aus diesem Haus hatte, maskiert, den Jungen bereits am Abend aus dem Haus gebracht oder die Entführer ins Haus gelassen. Jemand, der die Elektronik kannte und ohne Mühe ausschalten konnte.« Julian machte eine dramaturgische Pause. Sein letzter Satz erzeugte die gleiche Wirkung, wie wenn jemand mit einem Riesen-Vorschlaghammer auf den teuren Marmorboden des Hauses gehauen und alle Wände zum Wackeln gebracht hätte.

»Aber ich habe Sylvain doch noch gesehen, als ich nachts nach Hause kam. Er lag im Bett und schlief!«, beendete ein aufgebrachter Martinez die Stille.

»Un moment, Monsieur Martinez!«, ließ sich Julian nicht beirren. »Dazu kommen wir gleich. Vorher beschäftigen wir uns noch mit Ihren Gänsen. Dass die am Tatabend eingesperrt wurden, spricht dafür, dass jemand die Entführer ins Haus gelassen und sie dann in Ruhe ihre Arbeit hat tun lassen. Übrigens: Einen schönen Gruß von Madame Epervier, Ihrer Nachbarin. Sie mag ja eine üble Nervensäge sein, aber eines ist sie ganz sicher nicht: der Grund dafür, dass Kalil, bevor er sich an jenem Abend mit seiner Eve traf, von Madame Martinez angewiesen wurde die Gänse in ihren Stall zu sperren. Madame Epervier ist nämlich erst vorgestern von einer längeren Reise zurückgekommen. Sie können Sie gerne selbst fragen, Monsieur le commissaire, das Haus ist ja gleich nebenan.« Nun wandte sich Julian Martinez und seinem Einwand zu: »Was Sie nachts um zwei in Sylvains Zimmer gesehen haben, Monsieur Martinez, war – wir wollen doch genau sein – nicht mehr als ein schwarzer Haarschopf und den haben wir hier!« Julian hob den Plüsch-Pinguin in die Höhe, den Roger ordnungsgemäß neben seinem Platz deponiert hatte. Alle blickten Julian fragend an. »Sehen Sie, dieser Pinguin hat einen großen Kopf und ein schönes, schwarzes Fell – oder sagt man bei einem Plüsch-Pinguin Gefieder?« Schweigen.

Fünf Freunde ... im Rachen des LöwenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt