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Am Tag nach dem Elternsprechtag blieb ich Zuhause, denn ich wachte mitten in der Nacht in der kleinen Blutpfütze auf und schaffte es kaum bis in mein Zimmer. Dort streifte ich mir unter starken Schmerzen das Shirt über den Kopf und verarztete die Schnitte neu, mein ganzer Oberkörper war außerdem übersäht von Blessuren und Blutergüssen. Jetzt kann ich wirklich nicht mehr sagen, es wäre nur ein Fahrradunfall gewesen. Als meine Mutter mich morgens zur Schule schicken wollte und mich in dem Zustand sah, bekam sogar sie Mitleid mit mir und ließ mich in Ruhe.

Auch Namjoon rief mich mehrere Male besorgt an, ich sagte einfach, dass ich mich nicht gut fühle und Kreislauf habe, aber er glaubt mir das langsam nicht mehr. Wie soll das alles nur weiter gehen, ich kann es langsam nicht mehr verstecken. Aber er soll das unter keinen Umständen herausfinden. Ich muss mich einfach zusammenreißen!

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Die ganzen letzten drei Wochen habe ich mich wie verrückt auf die Abschlussprüfungen vorbereitet, jeden Tag habe ich Aufgaben gemacht, Trainingsheft über Trainingsheft bearbeitet, mehr Nachhilfe genommen und fast jedes Wochenende mit Namjoon gelernt. Es ist unglaublich stressig sich auf so etwas vorzubereiten, aber irgendwie halte ich das durch. Vermutlich heißt das Zauberwort Koffein und Druck von meinem Vater aus.

Gerade jetzt sitze ich mit Namjoon in einem Lerncafé, wir machen Aufgaben im Trainingsheft für Englisch und vergleichen dann alles mit den Lösungsheften, bisher funktioniert es ganz gut. Ich verstehe zwar immer noch die Hälfte nicht, aber langsam wird es besser. Namjoon könnte Lehrer werden, so gut im Erklären ist er.

"Wie wäre es mit einer Viertelstunde Pause und ich hole uns zwei Tassen Kaffee?" Erleichtert stimme ich ihm zu, sodass wir unsere Sachen beiseite schieben und uns etwas bestellen. Wir machen das schon seit zweieinhalb Stunden ohne Pause, da haben wir uns das verdient finde ich.

"Wie geht es dir eigentlich momentan, diese Phase ist ja ziemlich stressig und dann auch noch mit deinen Eltern..."

"Aktuell geht es sogar, da ich ja oft mit dir weg bin oder zur Nachhilfe gehe. Also keine Sorge." Sage ich und lächele ihn leicht an. Das ist allerdings vollkommen gelogen, Zuhause wird es immer schlimmer und nur weil ich weg bin, macht es das ganze kaum besser. Er ist immer wütender, schreit mich immer öfter an und findet viel mehr Gründe mich zu schlagen. Es ist, als würde er diese Prüfung schreiben und nicht ich, so sehr steht er unter "Stress". Stress, dass aus seinem Sohn nichts wird und ich ihm peinlich bin.

Wenn ich nur darüber nachdenke, dass ich das Jahr womöglich wiederholen muss und mir das alles noch einmal antun muss, kommt mir das Essen fast wieder hoch. Wenn ich mir das wirklich noch ein Jahr mehr antun muss, noch ein Jahr in dieser Hölle, noch ein Jahr Schläge, noch ein Jahr diese Beleidigungen,... Langsam steigt Panik in mir auf, verdammte scheiße ich muss jetzt sofort hier weg. Ich will keine Panikattacke vor Namjoon haben.

"I-Ich gehe mal schnell zur Toilette, bis gleich." Möglichst ruhig stehe ich auf und laufe auf die Tür zu, hinter der sich die Toilettenkabinen befinden. Gott sei dank sind es solche abschließbaren Räume mit Waschbecken, Spiegel und Toilette, sodass man keine Leute um sich hat. Und es ist frei.

Drinnen angekommen lehne ich mich mit dem Rücken an die Tür und versuche meine Atmen zu regulieren. Dabei kratze ich mir über die verheilten Narben am Arm und als das nichts bringt, lasse ich Eiswasser über meine Pulsadern laufen. Wenn ich so darüber nachdenke, diese Panik kommt nicht nur von der Angst, dass ich wiederholen muss. Ich habe alles aus der letzten Zeit einfach aufgestaut, die ganze Panik, der ganze Stress wegen des Lernens. Von wegen ich habe alles im Griff, ich bin genauso verloren wie immer. Ich verstehe nur die Hälfte und egal wie viele Aufgaben ich mache, es wird nicht besser. Ich bin verloren und ich weiß nicht, wie ich diese Prüfungen unbeschadet überstehen soll. Ich werde es genauso vermasseln wie die letzten Male, werde keine Arbeit bekommen und Ich weiß nicht, wie tief man als Mensch sinken kann, aber ich erreiche es bestimmt.

Nach zehn Minuten habe ich mich dann aber doch endlich beruhigt, bevor ich rausgehe spritze ich mir nochmal kaltes Wasser ins Gesicht um auf klare Gedanken zu kommen und gehe wieder zu Namjoon als wäre nichts gewesen. Es ist irgendwie traurig, dass ich all das immer verstecke, aber ich will einfach niemanden damit belasten...

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Und schon ist die Zeit bekommen, ich schreibe heute meine erste Abschlussprüfung. Für vier Stunden, mit einer kurzen Pause in der Mitte, danach dürfen wir nach Hause und können uns auf Übermorgen vorbereiten. Wir schreiben insgesamt drei, in Mathe, Deutsch und Englisch. Montag, Mittwoch und Freitag, sodass wir immer noch einen Tag zum Vorbereiten dazwischen haben.

Den Anfang machen wir mit Deutsch, das ist noch nicht ganz so schwer. Wir müssen eine Analyse schreiben und haben Leseverstehen, das ist nicht allzu schwer. Hoffe ich zumindest...

Der erste Teil ist jetzt vorbei, die Multiple Choice Fragen waren nicht alle so leicht wie erwartet, aber mindestens die Hälfte sollte ich schon richtig haben. Wenn der Analysen-Text jetzt verständlich ist, ist alles gut. Namjoon sieht zwar ein wenig müde aus, aber es scheint auch gut geklappt zu haben denn er wirkt erleichtert, dass der erste Teil vorbei ist.

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Die Analyse hat mir letztendlich dann doch den Boden unter den Füßen weggezogen. Es war ein altes Gedicht und ich mir war es bei der Hälfte der Sätze nicht möglich, den Inhalt vollständig herauszufiltern. Es waren Formulierungen, die ich noch nie gehört habe dabei, sodass ich kaum auf die Sprache eingehen konnte. Damit ist eine gute Note in diesem Fach dann wohl gelaufen. Aber die Panik konnte ich dennoch ganz gut unterdrücken, sodass ich währenddessen immerhin annähernd beim Thema war. Jetzt müssen die anderen Prüfungen aber gut laufen, sonst bricht mein Vater mir wohl eigenhändig das Genick.

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A+ Student° ~ Jin FF, Side Story für Sociophobia° Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt