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Wie geplant gehe ich jetzt am Wochenende zu Namjoon um zu essen. Sonderlich schnell geht mein Untergewicht dadurch zwar auch nicht weg, aber es ist immerhin ein Anfang. Heute ist Sonntag und gerade sitze ich neben ihm am Tisch, seine Schwester und seine Mutter sind ebenfalls da. Die Stimmung ist recht ausgelassen, da wir uns ohnehin schon ewig kennen und alle beteiligen sich am Gespräch. Namjoon hat nicht einmal gelogen, seine Mutter mag es wirklich Gäste zum Essen haben. Das schließe ich zumindest daraus, wie sie mich jedes Mal empfängt, wenn ich vor der Tür stehe.

"Ah Namjoon, bekommt ihr nicht morgen eure Prüfung zurück? Wie schätzt ihr euch denn so ein?" Schon hat die Stimmung für mich einen kleinen Riss bekommen, jedoch lasse ich mir das nicht so recht anmerken sondern ich sage einfach, dass ich es schlecht schätzen kann. Namjoon sagt wie eigentlich jedes Mal, dass es gut lief und er sich kaum Sorgen macht. Ich muss gestehen, dass ich ein bisschen eifersüchtig bin, wenn das mir nur auch so leicht fallen würde, müsste ich nicht immer Schläge aushalten. Das wird Morgen bestimmt wieder passieren, schließlich habe ich die Hälfte der Prüfung falsch. Und selbst der erste Teil wird wohl kaum vollkommen richtig sein...

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Wie erwartet habe ich eine vier und das bekomme ich dementsprechend von meinem Vater zu spüren. Er schlägt mir mehrmals ins Gesicht und gegen die Brust, ich reagiere kaum darauf. Doch dann entschließe ich mich endlich etwas dazu zu sagen. Es liegt mir jetzt schon seit Tagen auf der Zunge und ich will wissen, wieso er so denkt.

"Wieso schlägst du mich eigentlich für schlechte Noten und bei Guten bekomme ich nicht einmal ein Lob?" Ich sehe die Wut in seinen Augen aufblitzen, vermutlich war es ein Fehler, das jetzt zu sagen.

"Wieso du dafür kein Lob bekommst? Es sollte selbstverständlich sein wenigstens Zweien zu schreiben! Außerdem war das nur ein Test, der zählt ja fast nichts!" Langsam werde auch ich sauer, sodass ich mich das erste mal seit langem wehre.

"Aber wenn ich Tests vermassele schlägst du mich trotzdem! Wieso das dann? Wenn sie nichts wert sind, sollte es dich ja nicht interessieren!" Und schon drückt er mich mit voller Kraft am Kragen an die Wand, sodass ich husten muss und es schwerer wird zu atmen.

"HINTERFRAGE MICH NICHT, DU UNDANKBARER JUNGE! Wenn man etwas vermasselt, hat man dafür geradezustehen, auch wenn es nicht so wichtig ist. Und Tests sind für gewöhnlich leicht, wenn du sogar die ständig vermasselst wirst du es nie zu etwas bringen. Du bist absolut unbrauchbar und unfähig, wie sollst du es denn an eine Oberschule schaffen?! Eine lebende Blamage und nichts weiter!" Und schon schlägt er mir mit der Faust ins Gesicht, mit voller Wucht, sodass wieder mal meine Lippe einreißt. Hoffentlich habe ich morgen früh kein blaues Auge.

Noch einmal schleudert er mich mit ganzer Kraft gegen die Wand und geht davon, da mein Brustkorb schmerzt bleibe ich noch einige Minuten an die Wand gelehnt sitzen. Als wäre die Lippe nicht schon schlimm genug, sind jetzt auch noch die gerade verheilenden Wunden an meinen Armen aufgerissen.

Relativ gefühllos mache ich mich schlussendlich dann doch auf den Weg ins Bad um meinen Arm zu verbinden und irgendwie meine Lippe zu versorgen. Einige der tiefen Schnitte sind so wieder aufgegangen, dass sie schon durch meinen Ärmel bluten, ich kann nur von Glück reden, dass mein Vater das gar nicht erst gesehen hätte. Wenn er das mitbekommt, kann ich mich direkt aus dem Fenster stürzen - und er würde es befürworten.

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Und schon ist es wieder Zeit für Quatalsnoten. Unglaublich, dass ich all das noch so lange ausgehalten habe, ohne Namjoon hätte ich mir vermutlich schon vor Monaten das Leben genommen. Aber dafür bin ich ja zu feige, mein Vater hat mir jetzt lang genug eingeredet ein Feigling zu sein, dass ich es langsam nicht mehr abstreiten kann.

Zum Elternsprechtag morgen gehe ich mit Namjoon zusammen, unsere Termine sind hintereinander. Ich habe das absichtlich so gelegt, damit meine Mutter mich nicht direkt schlagen kann. Das würde sie vor Namjoons Mutter nicht machen, sie hat mit Sicherheit Angst um ihren Ruf. Oder vor dem Jugendamt, wer weiß das schon. Ich bin heilfroh, dass mein Vater da nicht mit mir hingeht, der hätte mich vermutlich noch auf dem Gang krankenhausreif geschlagen. Das kann ich mir nicht leisten, es sind ja nur noch drei Monate und das schaffe ich noch ohne Aufmerksamkeit zu erregen.

Wie erwartet kann ich absolut nicht schlafen. Aber morgen kann ich nicht so übermüdet sein, ich müsste schon längt tief im Schlaf sein. Außerdem quält mich erneut der Drang mich zu schneiden, gerade wenn ich an morgen denke steigt Panik in mir auf.

Ach was soll's? Ich werde es ja doch machen und wenn ich es herauszögere, bin ich morgen nur noch müder. Und so oft wie ich das schon gemacht habe, machen die paar Mal auch keinen Unterschied mehr.

Als ich im Bad bin, entscheide ich mich für meinen Oberkörper, an meiner Seite auf Höhe der Rippen. Da ist die Chance, dass es jemand sieht am geringsten, denn die Stelle überdeckt immer ein Shirt. Es ist zwar ein wenig ungewohnt dort Schmerz zu spüren, aber scheinbar ist der Effekt der selbe, weshalb ich benommen drauf los schneide ohne wirklich darüber nachzudenken, was ich da eigentlich tue. Umso schwächer ich gleich bin, desto eher schlafe ich ein...

Ich wache auf dem Badezimmerboden wieder auf, ein Blick auf die Wanduhr verrät mir, dass es erst sechs Uhr morgens ist. Zum Sprechtag müssen wir erst um 10 Uhr, dann habe ich genug Zeit zu duschen, mich zu verarzten und die Blutlache, in der ich aufgewacht bin, zu entfernen. Vermutlich bin ich wieder dabei ohnmächtig geworden, aber ich erinnere mich nicht mehr so genau. Ist wohl besser so. Mich durchfährt bei jeder Bewegung Schmerz im Brustkorb, aber es stört mich nicht sonderlich, weshalb ich einfach fortfahre mit dem, was ich tue...

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"WIE KANNST DU NUR, SO KOMMST DU AN KEINE OBERSCHULE! Wie ist man denn so schlecht in der Schule, selbst deine Lehrer sind schon geschockt, dass man überhaupt so schlecht abschneiden kann. Wenn du an keiner Oberschule angenommen wirst, schmeißen wir dich raus, dann kannst du selbst austesten, wie weit ein so dummes Kind im Leben kommt! Da bezahle ich schon die teure Nachhilfe und du wirst nicht mal besser, du undankbarer Nichtsnutz!..." Immer weiter schreit er mich an, schlägt mit flacher Hand und Fäusten auf mich ein. Irgendwann fängt er auch noch an, mit seinem Bambus-Katana auf mich einzuprügeln, sodass mir langsam die Luft wegbleibt.

Der Elternsprechtag lief wie erwartet sehr schlecht, ich werde mit Sicherheit nirgendwo angenommen und mein Leben ist im Prinzip vorbei. Ich kann jetzt nur noch für die Abschlussprüfungen beten, welche wir nächsten Monat schreiben.

Als er mit dem Bambusstab schließlich mehrmals auf die frischen Schnitte schlägt, werde ich ohnmächtig und merke, wie das Blut schon durch mein Shirt läuft. Hoffentlich vermischt es sich mit dem Blut aus meiner Nase, dann fällt es ihm nicht auf...

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A+ Student° ~ Jin FF, Side Story für Sociophobia° Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt