*TRIGGERWARNUNG*
Dieses Kapitel behandelt Depressionen.Januar
Das neue Jahr begann mit Homeschooling. Den ganzen Tag am Schreibtisch sitzen. Mit der Zeit kam das Weinen an die Tagesordnung. Zusammenbrüche im Unterricht – ein Glück dass wir keine Kameras anmachen mussten.
Ich habe mehrmals die Woche das Onlineangebot meiner Tanzschule wahrgenommen, bis ich irgendwann sieben Kurse in der Woche belegt habe. Es war der einzige Ausgleich den ich hatte.
Februrar
Das Homeschooling schien kein Ende zu nehmen. Auch familiäre Probleme bedrückten mich. Ich war als Außenstehende zwischen die Fronten geraten. Es hat mich erdrückt.
Zu all dem Stress haben wir in der Schule wieder Kursarbeiten geschrieben. Die Motivation zum Lernen war weit unter dem Keller.
Die ganze Isolation hat mir so zugesetzt, dass ich mit meiner Therapeutin über einen Therapeutenwechsel und die Einnahme von Antidepressiva gesprochen habe. Ganz abgesehen davon, dass es mich belastet hat, nach zwei Jahren immer noch nicht weitergekommen zu sein in der Therapie.
März
Wir konnten wieder in die Schule zurückkehren. Doch keine zwei Wochen später wurden wir in verfrühte Osterferien geschickt. Es erschien hoffnungslos.
Auch die Suche nach einem anderen Therapieplatz erschien hoffnungslos. Meinen Eltern habe ich nie gesagt, dass ich mit meiner Therapeutin über Antidepressiva gesprochen habe. Ich habe sie nie genommen.
April
Langsam ging es wieder zurück in die Schule. Der Kontakt mit anderen Menschen in meinem Alter hat mir gefehlt.
Auch meine emotionale Lage kam langsam wieder ins Gleichgewicht.
Mai
Es war ein Dienstag, an dem meine Therapeutin mir etwas sagte, was alles verändert hat; es war etwas wie: "Jeder hat seine eigene Schublade, die er aufräumen muss; du kannst nicht die der anderen aufräumen und niemand wird dir deine aufräumen. Das ist allein deine Aufgabe." Ich habe zwei Leuten geschrieben und sie Dinge gefragt, die für mich sehr untypisch waren. Erstaunlicherweise bekam ich Positives zurück. Das hat sich gut angefühlt.
Es war der Mittwoch danach, der Tag bevor es wieder ins Homeschooling ging, als ich A. auf ihre Handyhülle ansprach. Ein Gespräch über zwei Freistunden und eine mir sehr wichtige Freundschaft ist daraus entstanden.
Juni
Zwei Wochen lang habe ich für mein Praktikum bei meinem Onkel am anderen Ende von Deutschland gewohnt. Ich nehme viele schöne Erinnerungen, lange Gespräche und gute Erfahrungen mit. Sogar meine Mutter sagte mir, dass mir diese zwei Wochen sehr gut getan haben.
Juli
Einer meiner größten Erfolge des Jahres ist es, dass ich einen vierten Platz bei einem regionalen Schreibwettbewerb belegt habe. Meine erste Buchveröffentlichung halte ich in Ehren.
Die letzten Weichen für den Auszug meiner Schwester wurden gestellt.
August
Bei uns zu Hause ging das Renovieren weiter. Jetzt war ein Zimmer frei geworden, und das sollte wieder voll ausgenutzt werden.
In der letzten Ferienwoche und der ersten Schulwoche sind Dinge vorgefallen, die mich stark geprägt haben und für die ich immer dankbar sein werde.
M. hat mich ins Leben gezogen. Zudem hat sie mir einen Jungen vorgestellt, mit dem ich viele erste Male erleben durfte. Außerdem kam es irgendwie zustande, dass ich die Hälfte der Woche in meiner heißgeliebten Tanzschule verbracht habe. D., mein Tanzlehrer, hat mir mehr beigebracht als nur die Box in der Rumba.September
Ich wurde offiziell Teil der Hip Hop Meisterschaftsgruppe meiner Tanzschule. Ein Jahr zuvor hatte D. mich schon dazugeholt, doch mit acht Monaten Coronapause hat sich meine Probezeit um einiges verlängert.
Nach einigen Unsicherheiten habe ich mich auf den Jungen eingelassen, und ich frage mich, wie er mein ganzes Hin und Her eigentlich durchgehalten hat. Ich wurde in diese Freundesgruppe integriert und nehme lustige Erinnerungen mit ins neue Jahr.
Oktober
Nicht nur sexuell hat mich das Verhältnis zu dem Jungen geprägt; ich habe mich das erste Mal seit Jahren getraut, in der Öffentlichkeit einen Badeanzug zu tragen – und mich dabei sogar sexy gefühlt. Die Akzeptanz meinem Körper gegenüber, die ich im Frühjahr 2020 erreicht hatte, wechselte in ein Wohlbefinden.
Gleichzeitig merkte ich, dass ich die Schule schleifen ließ – aber ich hatte außerhalb der Schule so viel Spaß wie noch nie. Meine Einstellung zu meinen schulischen Leistungen hat sich geändert, und ich finde das gar nicht so schlecht. Etwa ein Jahr zuvor sagte mir jemand: "Schule ist nicht alles." Und sie hat recht. (Egal ist sie mir natürlich trotzdem nicht.)
November
Der Monat begann … verwirrend. Meine Stimmung hatte wechselnde Höhen und Tiefen. Das wichtigste Ereignis dieses Monats war die Landesschüler*innenkonferenz. Denn ja, obwohl ich es eigentlich nicht vorgehabt hatte, habe ich mich in diesem Schuljahr der SV-Arbeit gewidmet – und etwas besseres hätte ich nicht machen können. Denn nicht nur innerhalb unserer Schul-SV habe ich neue Freunde gefunden, sondern auch in der Kreis-SV und in der Landes-SV. Das Konferenzwochenende war ebenfalls gefüllt mit Gefühlshöhen und -tiefen (vor allem der Smastag hat uns allen zugesetzt), und ich bekam schon eine Vorahnung auf etwas.
Die Vorahnung wollte ich mir nicht eingestehen. Doch am letzten Tag des Monats bekam ich eine Nachricht – und es war um mich geschehen.
Dezember
Erwachsen zu werden ist wirklich komisch. Zwischen 16 und 21 verliert man Freunde, macht Fehler, fällt hin, versagt, realisiert Dinge, verliert sich selbst, wird in die Realität gestoßen – und am Ende findet man sich selbst und ist stärker als jemals zuvor.
Ich habe beschlossen, andere ins Leben zu holen, so wie M. es mit mir gemacht hat. Ich bin immer wieder aus meiner Komfortzone hinausgetreten und habe Positives zurückbekommen. Ich habe das schüchterne, unsichere Mädchen hinter mir gelassen; bin immer noch eifrig dabei, Freundschaften zu schließen und zu festigen; habe Dinge aus meinem Leben verbannt, die mir nicht gut tun – und dabei eine Sache vergessen.
Ich habe vergessen, mich vor mir selbst zu schützen. Mein altes Ich habe ich zwar hinter mir gelassen, doch es hat mich eingeholt. Und nun droht alles, was ich mir in den letzten Monaten aufgebaut habe, wie ein Kartenhaus zusammenzufallen.
Leben ist nicht einfach. Mit einem neuen Jahr kommt kein neues Ich. Veränderung ist ein Prozess. Ein anstregender, steiniger Weg, doch mit den richtigen Schuhen überwindbar.
In diesem Sinne wünsche ich euch ein frohes neues Jahr – auf das in 2022 noch mehr Veränderung kommt. 🥂
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Logbucheintrag 185
Random"Der Horizont vieler Menschen ist ein Kreis mit dem Radius 0 - und das nennen sie ihren Standpunkt." - Albert Einstein Updates: unregelmäßig, but sundays