Maylenn

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Mit einem triumphierenden Lächeln auf den Lippen strich Maylenn sich die roten Haare aus dem Gesicht. In ihrer Tasche spürte sie das zusätzliche Gewicht der Geldbörse, die sie einem Fremden auf der Straße abgenommen hatte. Er hatte es ihr aber auch zu leichtgemacht, mit seiner offenen Manteltasche, dem abwesenden Gesichtsausdruck.

Das ganze Unterfangen hätte schiefgehen können, fürchterlich schief, immerhin gehörte es nicht zu ihrer Standartprozedur die Passanten tatsächlich anzurempeln. Nein, lieber griff sie in ihre Taschen, ohne dass ihre Opfer überhaupt von ihr Kenntnis nahmen, bewegte sich wie ein Schatten, sichtbar für jeden und doch verborgen vor jedermanns Aufmerksamkeit. Man sah sie nicht kommen und nicht gehen. Man spürte nicht mal, wenn die Tasche plötzlich leichter war. Wenn die Passanten nicht wussten, wann sie ausgeraubt worden waren, wussten sie auch nicht vom wem.

Sie hatte nicht vorgehabt den Mann mit dem schwarzen Haar auszurauben, der sie um mehrere Köpfe überragte. Doch als er mit ihr zusammengestoßen war, hatte sie in der kurzen Sekunde vor dem Zusammenprall, in der sie noch hätte ausweichen können, den Zipfel einer Geldbörse entdeckt und wer wäre sie schon, um eine solche Gelegenheit ziehen zu lassen? Die Königin des Weiten Tals? (Nicht, dass es eine Königin gab oder jemals gegeben hatte, aber wie auch immer.)

Maylenn schlug den gewohnten Weg ein, tänzelte über Dächer, drückte sich durch die Spalten in den engen Gassen, die außer ihr nur noch Kinder nutzten, bis sie in einem kleinen Innenhof stand, der von der Außenwelt abgeschirmt war. Sie wusste nicht, warum jemand diesen Hof gebaut hatte, obwohl kein Tor und keine Straße dahin führte und keine Fenster in Richtung Hof zeigten. Aber wer war sie schon, um sich darüber zu beklagen? Die Königin des Weiten Tals? (Sie sollte aufhören, sich als Königin zu bezeichnen, bevor sie sich selbst in teuren Gewändern und prunkvollen Palästen sah.)

»Na, Tänzerin, was hast du uns denn schönes gebracht?«

Sie warf dem Fragenden den Beutel mit den Münzen zu, abzüglich der paar Münzen, die sie für sich selbst in ihren Schuhen versteckt hatte. Sie nannte es Vorsorge.

Eines Tages würde sie von hier verschwinden, ihre wenigen Habseligkeiten schultern und in der Menschenmasse abtauchen, sodass niemand ihr folgen konnte. Irgendwann war es vorbei mit dem Leeren fremder Taschen (naja, außer es erwies sich als nötig), vorbei mit »der Tänzerin«. Ja, eines Tages würde sie all dies hinter sich lassen.

Um Königin des Weiten Tals zu werden. Oder so ähnlich.

Die GerufenenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt