Arox

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Arox war in seinem Leben nie viel gereist. Er hatte das eine oder andere Dorf gesehen; meisten hatte er sich jedoch nie mehr als ein halber Tag Fußmarsch von Ljec entfernt. Er kannte somit nur die Bauweisen, die in seiner Heimat üblich waren.

Von dem außerordentlichen Bau der Akademie hatte er dennoch immer wieder gehört. Fremde in einem Lokal hatten davon geschwärmt, wie imposant das Gebäude in seiner vollen Herrlichkeit bis in den Himmel ragte, wie die Wolken die Spitzen der Türme küssten und die Sonnen nichts lieber taten, als sich in den glatten Flächen der Mauern zu spiegeln. Er hatte zwar nie verstanden, wie Wolken Türme küssen konnten, aber wenn die Schönheit der Akademie so vielen Menschen den Atem verschlug, musste es wohl so sein.

Und einmal war er auf einen Baumeister getroffen, der nach seinem vierten Bier von nichts anderem gesprochen hatte, als dass er eines Tages selbst ein Prachtstück wie die Akademie errichten wollte. Dass er tagtäglich die langweiligen Häuser mit dem schiefen Dach, den bunten Fensterläden und den Steinmauern errichtete, obwohl das eine aussah wie das nächste, er aber doch Häuschen um Häuschen bauen würde, wenn es ihm nur irgendwie die Möglichkeit eröffnete, ein Kunstwerk wie die Akademie zu anfertigen,

Nun, Arox musste den Fremden zugestehen, dass auch ihm das Gebäude durchaus imponierte. Es imponierte ihm, dass jemand ein so hässliches Bauwerk errichten konnte und noch mehr, dass noch niemand die Abnormität abgerissen hatte. Hätte er über die Mittel verfügt, hätte er das Bauwerk ohne zu Zögern dem Erdboden gleichgemacht und an seiner Stelle ein neues erbaut. Er verstand nichts von der Baukunst, aber war sich sicher, dass selbst der unerfahrenste Laie etwas errichten konnte, bei dem man sich nicht fragte, ob der Baumeister mit Blindheit geschlagen worden war.

Für einen Moment fragte er sich, ob dies ein Scherz des elften Meisters war, der ihn erst zu einem Gefängnis führte, ehe er ihm die tatsächliche Akademie offenbarte. Es lag ihm schon auf der Zunge Myrax danach zu fragen, als er den Gesichtsausdruck des Meisters sah. Freude, Sehnsucht, Heimweg. Wie jemand beim Anblick dieses hässlichen Was-auch-Immer so viel empfinden konnte, wusste Arox nicht, aber immerhin hatte er sich die Blamage ersparen können, seine Gedanken laut auszusprechen.

Türme aus weißem Stein ragten hoch hinaus über das, was der Gerufene des Wassers als Hauptgebäude identifizieren konnte. Er wusste nicht, um was für ein Gestein es sich handelte, dass im Licht der Sonnen den Eindruck erweckte fast transparent zu sein und doch massiv genug sein musste, um die Stabilität einer Festung solchen Ausmaßes zu garantieren. Das Gestein nur länger anzusehen, bereitete ihm Kopfschmerzen. Vielleicht hatte man das Material gerade deswegen gewählt. Versuchte jemand die Akademie einzunehmen, wurde er mit böser Migräne bestraft.

Arox war sich ziemlich sicher, dass man die Akademie als Gefängnis nutzen würde, wäre sie grau statt weiß. Zwei der Seiten waren durch denn See vor Angriffen geschützt und auf der anderen Seite war die Akademie von weiten Ebenen umgeben, die einem Feind keinerlei Schutz bieten konnte. Wieder einmal wurde Arox daran erinnert, dass es sich bei den Gerufenen ursprünglich um einen Kriegerorden handelte und nicht um einfache Heiler oder gar Unterhaltungskünstler.

Er überlegte sich, ob es gerechtfertigt war, wenn er jetzt umdrehte und in seine Heimat zurückkehrte. Das Gebäude vor ihm erschien ihm kalt und abweisend. Als hätte es schon jetzt beschlossen, dass Arox' Ruf nicht ausgereift genug war, um ihn als Novizen aufzunehmen. Er versuchte sich einzureden, dass es ihn nicht sonderlich stören würde, wenn man ihn wegschickte, noch bevor er richtig angekommen war. Dass er nach Ljec zurückkehren könnte, in sein kleines Zimmer. Dass er all die Übungsstunden mit Myrax vergessen könnte, als hätten sie gar nicht erst stattgefunden. Dass er in sein Lokal zurückkehren könnte, um den Frauen schöne Augen zu machen, ohne an Clenyas Lächeln denken zu müssen. Er verbot sich an sie zu denken. Nicht an ihr Lächeln, nicht an ihre sanften Augen, nicht an ihren nackten Körper in den Armen eines anderen.

»Willkommen zuhause«, hörte er Myrax leise vorsich hin murmeln. Arox hatte sich noch nie so fehl am Platz gefühlt.

Die GerufenenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt