Arox

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»Noch Eins«, grölte er über die Köpfe der lärmenden Menge hinweg. Es war nicht sein erstes Bier. Und wenn es nach ihm ging auch bestimmt nicht sein letztes. Nach diesem Tag hatte er es bitter nötig.

»Du hast wohl nie genug«, seufzte die Bedienung und fragte sich, ob Arox überhaupt noch im Stande war, sein übliches Gebräu von Wasser zu unterscheiden. Sie spielte mit dem Gedanken die Theorie zu testen, doch ein kurzer Seitenblick verriet ihr, dass der Inhaber des Gasthofs noch immer zwischen den Bänken seine Runden drehte, sodass auch alles nach dem Rechten zu und her ging.

»Wie könnte ich von dir jemals genug haben?«, schnurrte Arox und ließ seinen lüsternen Blick über ihren wohlgeformten Körper wandern. Sie schnaubte, wunderte sich, warum sie immer und immer wieder schwach wurde, wenn es um dieses Kleinhirn ging (an seinem Charm lag es bestimmt nicht), knallte dann das Bier unsanft vor ihm auf den Tisch, sodass die Hälfte über den Rand schwappte, und wandte sich anderen Gästen zu. Arox glaubte, sie leise eine Beleidigung murmeln zu hören.

»Wurdest du etwa abgewiesen, mein Freund?«, erkundigte sich eine bekannte Stimme. Arox knurrte wütend. Dieser Hornochse hatte ihm gerade noch gefehlt. Talons Auftauchen versprach immer Ärger. Auch wenn Arox nicht verstand, warum der andere Mann es auf ihn abgesehen hatte. Immerhin war er sich ziemlich sicher, weder mit dessen Frau noch Geliebten geschlafen zuhaben.

»Ich bin genauso wenig dein Freund, wie du der meine bist«, verabschiedete sich Arox, warf ein paar Münzen auf den Tresen und verließ das Lokal. Er brüstete sich zwar damit, sonst nie einem Kampf den Rücken zu kehren, sei er noch so klein, aber heute war ihm nicht danach, sich stundenlang Talons stichelnde Bemerkungen anzuhören, bis einer der beiden (also Arox) die Beherrschung verlor und das ganze Theater draußen neben dem Schweinezwinger mit fliegenden Fäusten geklärt werden musste.

Der dicken Luft des Lokals entkommen, lichtete sich sein Kopf ein wenig. Tiefe Atemzüge halfen ihm, den restlichen Nebel aus seinen Gedanken zu vertreiben. Er schob die Hände in die Taschen seines Wamses, um sie vor dem beißenden Wind zu schützen. Die Schultern hochgezogen stapfte er los. Er hatte noch einen langen Weg vor sich.

»Warte«, rief eine Frauenstimme ihn zurück, noch bevor Arox das Grundstück verlassen hatte. »Heute ist wohl kein Tag für Trinkgeld, was?« Die Kellnerin lächelte und Arox wusste, dass sie nicht auf die Art Trinkgeld aus war, das man aus seiner Geldbörse zauberte.

»Übliche Zeit, bei mir?«, fragte er und gab sich die größte Mühe sein typisches Grinsen aufzusetzen, auch wenn ihm heute nicht wirklich viel an Gesellschaft war. Aber vielleicht konnte ihn die Kellnerin, dessen Name er sich trotz unzähliger Begegnungen nie merken konnte, auf andere Gedanken bringen.

»Ich bin hier fertig, sobald die Lichtstrahlen der ersten Sonne Pulz hinter den Gipfeln der Unüberwindbaren Berge verschwunden sind.«, bestätigte sie und verschwand die Hüften schwingend im Lokal.

Arox sah zum Himmel hinauf. Pulz stand noch hoch. Er würde genug Zeit haben. Ein wenig beschwingter als zuvor nahm er den Weg in Richtung seines Dorfes Ljec wieder auf. Er passierte einen kleinen Weiher und entschloss sich dem Fluss Cay zu folgen. Er hätte den schnelleren Weg über die Wiesen nehmen können, doch das Wasser rief heute besonders laut nach ihm. Dies war auch der Grund, warum er sich in erster Linie im Gasthaus eingefunden hatte, um das Verlangen einzudämmen. Nicht dass Arox immer einen Grund brauchte, um zu trinken, ganz bestimmt nicht.

Der Abstecher ins Wirtshaus und auch die Verabredung mit der Kellnerin hatten geholfen seinen Kopf zu klären. Im Reinen mit sich und seinem Leben wanderte Arox pfeifend weiter. Das Wasser glitzerte neben ihm im Sonnenlicht, als wollte es ihn auf sich aufmerksam machen. Doch Arox wusste damit umzugehen. Er ignorierte den Ruf geübt. Früher hatte ihn das Wasser reizen können. Es hat ihn mit seinem Plätschern gerufen, mit seinem Schäumen gelockt, mit seinen Wellen gesäuselt, bis er dem Drang nachgegeben und dem Wasser ein bisschen Magie geschenkt hatte. Nicht viel. Immer nur ein kleines bisschen, bis der Drang nachließ und das Wasser gesättigt war.

Die GerufenenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt