»Hat sich dein Tag nach unserer letzten Begegnung noch zum Besseren gewendet?«
»Jemand hat mir meinen Geldbeutel abgenommen.« Sie lachte auf bei seinen Worten, nicht böswillig, nein, eher als würde sie das Ganze für einen Scherz halten. Jedem anderen hätte Arox es übelgenommen, sich über sein Leid lustig zu machen, aber mit Clenya fühlte es sich nicht an, als würde sie sich auf seine Kosten amüsieren. Es fühlte sich an, als würde sie ihn für charmant halten.
»Ein mieser Tag erhöht die Chance – «
» – dass der nächste besser wird, ich weiß«, beendete er ihren Satz. Sie lächelte. Er konnte nur mit großer Mühe den Blick von ihren Lippen losreißen, indem er stattdessen den Boden vor seinen Füssen musterte. Es fühlte sich falsch an, wo er doch sonst keine Probleme hatte mit Freuen zu sprechen. Oder auch nicht zu sprechen.
»Wenigstens jemand, der mir zu hört«, merkte sie an. Er fragte sich, wer ihr nicht zuhören wollen würde.
»Möchtest du mich auf den Markt begleiten?«, fragte sie ihn. »Ich kann eine helfende Hand immer gut gebrauchen.« Arox mochte keine Märke. Schon gar nicht mochte er die Menschenmassen, durch die man sich kämpfen musste, um an die guten Produkte zu kommen.
»Dir nach«, willigte er ein.
Während Arox – falls er sich überhaupt einmal genötigt fühlte, den Markt aufzusuchen – den kleinen und übersichtlichen Markt in Ljec bevorzugte, schlug Clenya zielstrebig den Weg nach Avin ein, auf zum großen Markt, der selbst in den ruhigsten Stunden noch gut besucht war. Am liebsten hätte Arox seine vorherige Entscheidung zurückgenommen. Er tat es nicht.
Der Weg nach Avin verging schnell. Clenya lachte, Clenya erzählte, Arox lauschte. Er wusste nicht, wieso er kaum den Mund aufbrachte in Clenyas Anwesenheit. Sie war nichts Besonderes. Im Gegenteil, sie war in jeder Hinsicht durchschnittlich. Durchschnittlich attraktiv, durchschnittlich intelligent, durchschnittlich witzig, ja sogar ihr braunes Haar nichts anderes als durchschnittlich. Und doch war sie so anders, dass Arox nicht umhinkonnte, sich von ihr angezogen zu fühlen wie die Motte vom Licht.
Auf dem Markt nutzte Clenya die zwei zusätzlichen Hände, um gleich für mehrere Wochen einzukaufen. So kam es Arox zumindest vor. Als er es sagte, lachte sie nur und stellte fest, dass er seine Mahlzeiten offenbar nie selbst zubereitete. Arox verstand nicht, wie sie darauf kam.
»Ich wünschte, ich könnte noch immer auf den Märkten in Mayec einkaufen. Du kannst dir gar nicht vorstellen, was man dort alles findet! Früchte in jeglichen Farben und Formen, Brote so weich, dass man in ihnen versinken will. Und die Stoffe, hach, die Stoffe. Ich glaubte nicht, dass es auch nur einen Stoff gibt, den man auf den Märkten Mayecs nicht kaufen kann. Was auch immer du suchst, in Mayec kannst du es kaufen. Vermutlich versucht dich jeder Händler erst übers Ohr zu hauen, aber wenn du willig bist, tief in deinen Geldbeutel zu greifen, kannst du sogar ein Stück Sonne kaufen, dass dir dann dein Wohnzimmer erleuchtet.«
Arox wunderte sich, warum irgendjemand ein Stück Sonne kaufen wollte, wenn man sich doch einfach draußen auf eine Wiese legen konnte. Aber es war ja allgemein bekannt, dass die Bewohner Mayecs nicht ganz bei Verstand waren.
Mit Wurzeln, Mehl, Früchten und Gewürzen beladen traten Arox und Clenya den Weg zurück nach Pimdi an, vor dessen Tor der Gerufene vor Stunden auf die junge Frau gestoßen war. Er hatte geplant, sich ins Wirtshaus zu begeben, um sich von seinem langen Morgen zu erholen. Stattdessen schmerzten seine Arme unter der Last und sein Rücken fühlte sich an, als wäre Arox erneut mit einer Fratze zusammengestoßen. Der Abstecher nach Avin hatte Arox Hass auf Märkte nicht gerade abklingen lassen.
»Danke«, lächelte Clenya, als Arox die Einkäufe in ihrer Küche abstellte. Er wusste nicht, ob das Lächeln mittlerweile zu ihrem Gesicht gehörte wie die leicht gebogene Nase oder die braunen, gutmütigen Augen.
»Wenn du möchtest, kannst du zum Essen bleiben. Ich kann dir ein einfaches Rezept beibringen, falls du irgendwann doch einmal selbst für deine Mahlzeiten verantwortlich bist.« Sie zwinkerte und Arox hätte nicht Nein sagen können, selbst wenn er es gewollt hätte. Dass er Myrax versprochen hatte, den Abend mit Konzentrationsübungen zu verbringen, hatte er längst vergessen.
Clenya verpasste ihm eine Schütze, Arox fühlte sich lächerlich darin, behielt sie aber an, um Clenya eine Freude zu machen. Sie entpuppte sich als hervorragende Köchin, die mit Töpfen und Schüsseln umzugehen wusste, wie ein Kämpfer mit seinem Schwert. Der Gerufene des Wassers hingegen konnte es nicht verhindern, ihr im Weg zu stehen, das Gläschen mit Zimt fallen zu lassen und einen der Teller zu zerschlagen. Danach hielt er sich nur noch auf der anderen Seite der Küche auf.
Das Gericht aus Hirse, Beeren und Honig schmeckte ihm vorzüglich, auch wenn er sich solch süße Mahlzeiten nicht gewöhnt war. Clenya schien sich über die Gesellschaft zu freuen, Arox glaubte, dass sie ihre Freunde in Mayec vermisste, die sie mit ihren Kochkünsten verwöhnen konnte.
Der Gerufene fühlte sich nicht besonders wohl bei jemandem zuhause, er mochte es nicht, von jemandem als Freund wertgeschätzt zu werden. Er würde Clenya nur enttäuschen, wenn sie von seinem Ruf erfuhr. Sie würde ihre wundervollen Augen aufreißen und ihn mit schriller Stimme aus ihrer Wohnung werfen.
Als sie ihn küsste und er den Honig auf ihrenLippen kosten konnte, vergaß er seine Zweifel.
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Die Gerufenen
FantasyDer Auftakt der Fantasy-Dilogie «Die Gerufenen» Der Frieden im Weiten Tal ist gefährdet. Mit jedem Tag überwinden mehr Ungeheuer die schützende Bergkette und nicht einmal die schwer bewaffneten Truppen können die Sicherheit der Bewohner garantieren...