Ein tiefer Atemzug entwich ihren Lippen, als die schweren Türen des Aufzugs sich langsam begannen zu schließen, doch bevor es tatsächlich dazu kommen konnte, schob sich aus dem Nichts eine Hand zwischen den Türen hindurch, sodass diese ruckartig stoppten und sich zu ihrem Bedauern wieder öffneten. Fast wäre ihr eine meckernde Bemerkung herausgerutscht, die sie gerade noch so für sich behalten konnte. „Hey, Annalena." Seine Stimme drang in ihr Ohr, bevor sie den gesenkten Kopf heben konnte. Umso überraschter, ja fast erschrockener war sie, als er plötzlich vor ihr auftauchte. Seit sie beide Minister:in waren, kam es nicht mehr häufig vor, dass sie sich über den Weg liefen, und auch sonst war der Kontakt in den vergangenen Wochen immer weniger und abgekühlter geworden. Ob es daran lag, dass sie beide nun viel zu tun hatten, ja vielleicht, aber wahrscheinlich auch daran, dass der Wahlkampf nicht so gelaufen war, wie erhofft, dass sie beide diesen einen Platz gewollt hatten und sie letztendlich die Auserwählte geworden war. Sie waren daran irgendwie zerbrochen, nicht ganz, aber stellenweise, und bis jetzt hatte sich niemand die Mühe gemacht, die Scherben wieder zusammenzusetzen. „Robert, hey." Sie rang sich zu einem gequälten Lächeln durch und machte einen Schritt zur Seite, um ihm etwas Platz zu machen und ihm gleichzeitig, zumindest physisch, aus dem Weg zu gehen. Sie war wirklich nicht in der Verfassung, jetzt irgendwas zu diskutieren, oder so zu tun, als gäbe es keine unausgesprochenen Spannungen zwischen ihnen. „Wie geht es dir?" Sie spürte, wie er sie intensiv von der Seite musterte, so, als müsste er sich ihren Anblick nach all der Zeit erstmal wieder ins Gedächtnis rufen. „Viel zu tun. Und bei dir?" Erwiderte sie knapp und sah ihn aus dem Augenwinkel nicken. „Ja, bei mir auch." Die darauffolgende Stille war kaum auszuhalten. Ungeduldig beobachteten ihre Augen das bunte Licht, das nach und nach die Zahl der jeweiligen Etage erklomm, dreizehn, vierzehn, fünfzehn, ein flackerndes Licht, ein heftiges Ruckeln, ihre Hand, die sich hilfesuchend an das silberne Geländer klammerte. „Fuck." Ungewollt panisch klebte ihr Blick plötzlich an ihm. Sie spürte ihr Herz heftig klopfen, das Adrenalin durch ihre Adern schießen. „Alles okay?" Sie richtet sich nach dem ersten Schreck etwas auf, nickte zaghaft. „Ja, ja, alles in Ordnung. Was war das?" Das flackernde Licht hatte Nummer sechzehn nur zur Hälfte ausgefüllt und schien stillzustehen. Sie steckten fest. Sie steckten fest, in einem Aufzug, der nicht größer war als eine großzügige Abstellkammer. „Wir sind steckengeblieben." Sprach er ihre befürchteten Gedanken schließlich laut aus und machte sich an dem vorhandenen Notrufsystem zu schaffen, ohne tatsächlich was zu erreichen. „Soll ich mal?" Kopfschüttelnd fuhr er um. „Ich schaff das schon." Genervt rollte sie mit den Augen und lehnte sich mit ihrem Rücken gegen die Aufzugswand, während er weiter Knöpfchen drückte. Er war so stur manchmal.
„Das kann ein bisschen dauern, bis die uns hier rausholen." Meinte er schließlich und lehnte sich ein paar Schritte entfernt neben sie. „Was heißt das genau?" Er hob die Schulter und ließ sie wieder sinken. „Keine Ahnung, eine Stunde vielleicht." Es überkam sie das Bedürfnis sich die dunklen Haare zu raufen. Es konnte doch nicht sein, dass sowas so lange dauerte, dass sie jetzt so lange mit ihm eingesperrt war, ausgerechnet mit ihm. Sichtlich frustriert stöhnte sie auf, ließ gleichzeitig den Kopf in den Nacken fallen, was ihm einen unerwarteten Stich verpasste. „Was ist eigentlich passiert, dass du es jetzt nicht mal mehr eine Stunde mit mir in einem Raum aushältst?" Sein plötzlicher und so unerwarteter Konfrontationskurs überraschte sie. Es stimmte, früher hatten sie Stunden, ganze Tage aufeinander gehockt, ohne dabei aneinander zu geraten. Sie hatten immer dieses gemeinsame Ziel gehabt, gemeinsam dafür gekämpft, doch das war jetzt nicht mehr so. Also, die Ziele waren wahrscheinlich noch die gleichen, doch um diese kämpften sie jetzt nicht mehr gemeinsam. „Sag du es mir, Robert." Das erste Mal an diesem Tag schaute sie ihm wirklich in die Augen, tief, ging dorthin, wo es weh tat. Sie hatte immer gehofft, dass sie das unbeschadet überstehen würden, diesen Kampf ums Kanzleramt, diesen rauen Wind, der in der Vergangenheit schon so einiges zum Einsturz gebracht hatte, und von dem schließlich auch sie nicht verschont geblieben waren. „Ich weiß, du wolltest sie auch, diese Chance und ich weiß auch, dass du lange und hart dafür gearbeitet hast, aber ich hab das nicht allein entschieden. Wenn die Partei für dich gestimmt hätte, dann wärst du Kanzlerkandidat geworden. Ich hab bis heute das Gefühl, dass du mir die Schuld dafür gibst, für das Ergebnis, dafür, dass du es nicht geworden bist." Sie sah ihn mit sich hadern, mit der Wahrheit, die bis jetzt niemand von ihnen gewagt hatte auszusprechen. „Niemand hat Schuld. Ich glaube einfach nur, dass wir einiges hätten besser machen können, vor allem während des Wahlkampfes." Erwiderte er gewohnt diplomatisch und machte sie damit rasend, weil er so ruhig blieb. Sie wollte, dass er diskutierte, dass er laut wurde, sie sich so richtig fetzten, weil sie nur dann wusste, dass es ihm was bedeutete, dass ihn das in den vergangenen Wochen genauso beschäftigt hatte, wie sie. „Und mit wir, meinst du mich. Ich weiß, dass ich Fehler gemacht habe, und ich bereue das zutiefst, aber du weißt genauso gut wie ich, dass diese Fehler nicht das Problem waren. Dieser ganze Mist den ich mir anhören musste. Du hast doch keine Ahnung, wie sich das angefühlt hat. Und jetzt, als Außenministerin, geht das alles weiter, obwohl ich die Einzige bin, die in den vergangenen Wochen mal auf den Tisch gehauen hat. Weder von dir noch von Christian kommt irgendwas und Olaf scheint nach dem Wahlkampf in einen wochenlangen Tiefschlaf gefallen zu sein, anders kann ich mir sein Nichtstun nämlich nicht erklären." Sie spürte, wie ihr vor lauter Rage eine unangenehme Hitze den Hals hochkroch und hätte sich am liebsten aus ihrem Mantel geschält, stattdessen blickte sie ihn auffordernd an. „Du machst deinen Job sehr gut. Ist es das, was du hören willst? Du machst ihn besser als alle anderen, besser als ich." Sie schien einen wunden Punkt getroffen zu haben, schien ihn endgültig aus seinem Schneckenhaus gelockt zu haben, etwas, dass sie nutzen wollte, für offene Fragen, Antworten. „Darum geht es mir gar nicht. Ich will einfach verstehen, wie es so weit kommen konnte. Wie wir uns so verlieren konnten. Warum du dich nicht mehr meldest, nach allem, was wir zusammen erlebt haben." Sie machte einen entschiedenen Schritt auf ihn zu, was selbst ihn überraschte. „Ich vermisse dich." Er hob seinen Blick, schaute sie an, sanfter als noch zuvor. Sie trug keine Schuld. Nur weil sein Männerego bis heute nicht darüber hinweg war, dass man sich für sie und gegen ihn entschieden hatte, war das kein Grund, so zu tun, als wären sie Fremde. „Es tut mir leid, Annalena. Ich weiß, ich hätte mich melden sollen, für dich da sein sollen und ich habe es auch ehrlich versucht, aber jedes Mal, wenn ich kurz davor war eine Nachricht abzuschicken, hab ich sie wieder gelöscht, weil ich mir einfach so blöd vorkam. Wir waren uns plötzlich so fremd. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, es war, als hätten wir uns nie richtig gekannt." Mit seinem letzten Satz traf er den Nagel auf den Kopf und sprach das aus, wofür sie die ganze Zeit keine Worte gehabt hatte. Man hatte es geschafft sie zu spalten, sie voneinander loszureißen, durch politische Macht, Geld, Presse. Sie waren immer bewundert, beneidet worden, für ihre unbekümmerte Zusammenarbeit, ihre Freundschaft, die sich durch nichts zerbrechen ließ, doch insgeheim hatte man immer versucht, ihnen genau das zu nehmen, weil es das war, was sie stark gemacht hatte. Das spielte inzwischen zwar alles keine Rolle mehr, weil sie jeweils ihren eigenen Minister:innenposten betreuten und doch tat es ihr im Herzen weh, dass sie es so weit hatten kommen lassen. „Versprich mir, dass wir das wieder hinkriegen. Ich will dich nicht verlieren." Sie musste bei ihren eigenen Worten heftig schlucken. Es gab nur diese zwei Möglichkeiten und dessen war sie sich mehr als bewusst. Entweder, sie bekamen das alles wieder hin und gingen noch enger auch dieser Sache heraus, als sie es zuvor schon waren, oder das hier war das Ende und sie würden bald tatsächlich sowas wie Fremde sein. „Wir kriegen das wieder hin. Ich versprech's dir." Als er sie daraufhin ungefragt in eine innige Umarmung zog, ließ sie es zu, war erleichtert, dass sie dieses vertraute Gefühl trotz allem nicht verloren hatten. Sie versank in der Wärme, in seinem Duft und für einen kurzen Moment, war endlich alles still und okay.
Hallo ihr Lieben, wie angekündigt findet ihr hier einen neuen Oneshot von mir. :) Mit meiner neuen Story wird es wahrscheinlich morgen oder übermorgen weitergehen. Was würdet ihr euch inhaltlich für zukünftige Oneshots wünschen? Gibt es Situationen oder Szenarien, über die ihr gerne mal etwas lesen würdet? Ich hab bereits zwei oder drei weitere Oneshots im Kopf, die ich auf jeden Fall noch schreiben möchte, unter anderem eine Fortsetzung zu "Bis wir uns wiedersehen", weil viele von euch sich eben das "Wiedersehen" gewünscht haben, aber mich interessiert natürlich auch, was ihr sonst gerne lesen würdet, was es vielleicht noch nicht gibt/gab. Lasst es mich gerne in den Kommentaren wissen. :) <3
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One Shots & Short Stories (Annalena Baerbock x Robert Habeck)
FanfictionIhr findet hier eine Sammlung von One Shots und Short Stories, kleine Momente, Szenarien, die ich schriftlich festhalten wollte. Einen Ort, wo man für kurze Zeit eintauchen kann, in ein Allerlei unterschiedlichster Emotionen. :) Bitte beachtet, das...