Gerade noch rechtzeitig bekam er sie am Arm zu packen, bevor sie die Autotür hinter sich zu ziehen und davonfahren konnte. „Annalena, verdammt nochmal. Was ist los mit dir?" Protestierend versuchte sie ihn abzuschütteln, versuchte sich wehrend aus seinem Griff zu lösen, etwas, das ihr auch nach mehrmaligem Versuchen nicht gelang. Er zog sie schließlich aus ihrem Sitz und nahm ihr die Autoschlüssel ab. „Du kannst in deinem Zustand doch nicht mehr fahren. Du gefährdest damit nicht nur dich selbst, sondern auch alle anderen Verkehrsteilnehmer." Es war kalt draußen, dunkel. Er hatte bereits seit einer Weile das Gefühl, dass der liegende Schnee durch seine nicht witterungsgeeigneten Schuhe drang und seine Füße nach und nach zu Eisklötzen gefrieren ließ. „Du tust so, als wäre ich völlig dicht. Ich hatte drei Bier." Verständnislos blickte er sie an. „Und was ist mit den Wodka Shots und dem Wein? Habe ich mir das alles nur eingebildet?" Genervt rollte sie mit den Augen und legte ihre Arme schützend um ihren Körper. Sie versuchte hart zu bleiben, nicht zu zittern, in ihrem dünnen Pullover und der engen Jeans, doch gegen die Kälte, die mehr und mehr in sie eindrang, hatte sie keine Chance. „Hier, nimm die." Rasch schlüpfte er aus seiner Jacke und hielt sie ihr vor die Nase. „Geht schon." Erwiderte sie stur und biss sich feste auf die Lippe, um das Zittern ihrer Unterlippe irgendwie zu unterdrücken. „Nimm schon, bitte." Zögerlich nahm sie ihm die Jacke schließlich doch aus der Hand und schlüpfte hinein. Augenblicklich stieg ihr sein Duft in die Nase, während seine verbliebene Körperwärme sich schützend um sie legte. Ein Gefühl, dass sie in diesem Moment kaum ertrug. „Kommst du jetzt bitte wieder mit rein? Du holst dir doch den Tod hier draußen." Redete er erneut auf sie ein und versuchte wie wild dagegen anzukämpfen Mitleid mit ihr zu haben, sie zu nah an sich heranzulassen, denn er war sich sicher, dass das nicht gut enden würde. „Kann dir doch egal sein. Es interessiert dich doch sonst auch nicht." Das stimmte nicht. Die ganze Situation interessierte ihn mehr, als sie glaubte, nahm ihn mehr mit, als er sie wissen ließ. Wenn er zurückdachte, an die Zeit vor diesem verhängnisvollen Abend, wie sie gemeinsam waren, wie Pech und Schwefel, wie Bonnie und Clyde, doch so war es nicht mehr, so waren sie nicht mehr. „Annalena, bitte." Sie stieß einen undefinierbaren Laut aus und schüttelte den Kopf. „Du checkst es nicht, oder? Annalena, bitte?" Äffte sie ihn nach. „Tu nicht so, als würde ich dir noch irgendwas bedeuten, als würdest du dir Sorgen um mich machen, als würde es dich auch nur im Geringsten interessieren, wie es mir geht. Sonst wärst du in den vergangenen Wochen längst auf mich zugekommen und wir hätten geredet, versucht es irgendwie hinzubekommen, doch da hat es dir nicht in den Kram gepasst, Robert, und jetzt willst du unbedingt auf heile Welt machen, aber ich sag dir was, so läuft das nicht." Sie schluckte hörbar, versuchte krampfhaft Tränen zu unterdrücken, die hinter ihren Augen lauerten. Sie hörte ihn schnaufen, nachdenken, abwägen. „Okay, dann lass uns reingehen und wir reden."
Sie lief vorneweg, er hinterher, so konnte er zumindest sicher sein, dass sie nicht einfach verschwand. Drinnen war es warm, angenehm. Sie irrten mehr oder weniger durchs Gebäude, entflohen ungebetenen Zuhörern und neugierigen Blicken. Er ließ sie entscheiden. Überließ ihr die Suche nach einem geeigneten Ort, um endlich Klartext zu reden, auch wenn er sich nicht sicher war, ob damit nicht noch alles viel schlimmer würde. Irgendwann stieß sie auf einem Gang eine verschlossene Tür zu ihrer Linken auf, lugte hinein und schien halbwegs zufrieden. Der Raum war nicht größer als eine leere Abstellkammer. Das Licht an der Decke war schummrig, schmierig, der Platz begrenzt, weshalb er sich mit seinem Rücken gegen eine der nackten Wände lehnte, um ihr, so gut es ging, aus dem Weg zu gehen. Sie tat es ihm zu seiner Überraschung an der gegenüberliegenden Wand gleich und versuchte seinen Blicken so gut es ging auszuweichen. „Möchtest du anfangen?" Er bemühte sich um einen ruhigen und sanften Ton, um sie nicht noch mehr zu verletzten. Er trug dieses dumpfe Gefühl in sich, dass er das in den kommenden Minuten noch genug tun würde. Sie räusperte sich. „Weißt du, ich glaube mir hat noch nie etwas so weh getan, als deine Reaktion, ach, deine Ignoranz, vor ein paar Wochen. Ich hab dir gesagt, dass ich dich liebe, dass ich Gefühle für dich habe, und du hast einfach geschwiegen, als hätten wir uns übers Wetter unterhalten, als wär dir das alles völlig egal, als wäre ich dir egal. Du warst mein bester Freund, Robert. Du warst alles für mich und jetzt, keine Ahnung, was wir jetzt noch sein können." Ihre Worte trafen ihn, zurecht. Wenn er einfach über seinen Schatten gesprungen wäre, sie bei Seite genommen und offen kommuniziert hätte, vielleicht wäre es dann nie so weit gekommen. Vielleicht hätten sie einen Weg gefunden, einen freundschaftlichen, aber einen Weg. Er plapperte drauf los, ohne nachzudenken, konnte sich einfach nicht stoppen und ließ Worte aus seinem Mund stolpern, die genau das Gegenteil von dem ausdrückten, was er eigentlich hatte sagen wollen. „Du hättest es mir nie sagen dürfen, niemals. Du hättest es einfach für dich behalten soll, stattdessen stellst du mich vor diese Wahl, die ich unmöglich treffen kann." Bebte es auch ihm. Er wusste, dass seine Reaktion ganz schön unfair war und, dass sie ihn nicht verstehen würde, doch er wusste sich selbst nicht anders zu schützen, nicht anders zu helfen. Der Schrei seiner Vernunft war einfach zu laut, zu laut, um ihn blind zu ignorieren, selbst für ein paar Stunden. Er wollte sich nicht verlieren in diesem Gedanken, in diesen Hirngespinsten, dieser Hoffnung auf mehr. Er war Realist, sowohl im politischen Sinne als auch im Privaten. Sie und er, das war wie Himmel und Hölle gleichermaßen, wie Feuer und Benzin, es loderte, so elektrisierend, so explosiv, dass es kaum auszuhalten schien, war aber gleichermaßen so gefährlich, dass sich beide nicht nur die Finger verbrennen würden. „Welche Wahl Robert? Ich war verdammt nochmal ehrlich zu dir. Findest du nicht, dass es an der Zeit ist, dass du das auch bist?" Er spürte, wie ihm ein Schwall Wut entgegenschlug, Unverständnis. „Ich bin verheiratet." Sie machte einen entschiedenen Schritt auf ihn zu, funkelte ihn böse an. „Lass deine Frau aus dem Spiel. Du weißt genauso gut, wie ich, dass eure Ehe lange vorbei ist. Das hier ist eine Sache zwischen dir und mir." Für einen kurzen Moment verspürte er das Bedürfnis sich die wirren Haare zu raufen. Es war zwecklos. Er zwang sich zu einem tiefen Atemzug. „Was erwartest du von mir? Sag es mir." Am liebsten hätte sie ihn bei den Schultern gepackt und ordentlich durchgeschüttelt, das spürte er auch ganz ohne Worte, stattdessen wurde sie ganz still, begann zu murmeln. „Sag mir, dass du mich nicht liebst, dass du rein nichts für mich empfindest. Dass da nicht diese Bilder in deinem Kopf sind, immer, wenn du mich siehst." Ihr Herz schlug auf einmal so heftig in ihrer Brust, dass eine Welle der Übelkeit sie überkam. Dieser nächste Moment würde alles entscheiden, ihr alles nehmen oder alles geben. Fest schaute sie ihm in die Augen, ließ den Blick zu ihm nicht abbrechen, versuchte zu lesen, was in seinem Kopf vorging. Er schluckte hörbar, dämpfte ebenfalls seine Stimme und zerbrach ihr im selben Moment das Herz. „Ich liebe dich nicht, ich habe keine Gefühle für dich und das wird sich nicht ändern. Wir werden niemals mehr sein als Freunde." Dieser sich plötzliche ausbreitende Schmerz ließ sie nach Luft schnappen. Es war, als hätte man ihr eine Klinge in die Brust gerammt und das bei vollem Bewusstsein. Wahrscheinlich war die Begrifflichkeit Freunde noch schlimmer zu ertragen als der Fakt, dass er sie nicht wollte, einfach, weil sie keine Ahnung hatte, wie sie jemals nochmal mit ihm befreundet sein sollte. Der Song Bonnie und Clyde spielte aus dem Nichts in ihrem Kopf, ließ das Brennen, dieses Gefühl der Hilflosigkeit noch unerträglicher werden, doch sie bemühte sich darum, Fassung zu bewahren, unterdrückte die stechenden Tränen, die Wut. Sie wollte nicht auch das noch an ihn verlieren, ihr letztes Stückchen Würde. „Du hast schon mal besser gelogen, aber wenn es das ist, was du willst, dann hoffe ich, dass du damit glücklich wirst." Sie floh. Keine Ahnung wohin, einfach nur weg, weg von ihm. Er lief ihr nicht hinterher, weil das nichts ändern würde. Sie würden sich gegenseitig nur noch mehr weh tun, einander Dinge an den Kopf werfen, die sie beide irgendwann bereuen würden. Stattdessen gab er ihr Raum, mit der Hoffnung, dass sie vielleicht irgendwann wieder halbwegs normal miteinander umgehen konnten.
Not every story has a happy ending.
Ihr Lieben, hier ist der versprochene Oneshot, von dem ich in vorherigen Postings bereits gesprochen habe. Zum Jahresende wird es nochmal dramatisch, traurig. Ich hoffe ihr mögt es und ich wünsche euch bereits jetzt einen guten Rutsch und ein frohes neues Jahr. :)
Ich freue mich wie immer über euer Feedback! <3
DU LIEST GERADE
One Shots & Short Stories (Annalena Baerbock x Robert Habeck)
FanfictionIhr findet hier eine Sammlung von One Shots und Short Stories, kleine Momente, Szenarien, die ich schriftlich festhalten wollte. Einen Ort, wo man für kurze Zeit eintauchen kann, in ein Allerlei unterschiedlichster Emotionen. :) Bitte beachtet, das...