Es war eine sternenklare Nacht knapp zwei Monde nach unserem letzten großen Aufeinandertreffen mit den Drachenreitern. Ich saß an Deck unseres Schiffes und starrte gedankenverloren in den Himmel. Einige Zeit war nun schon ins Land gestrichen, in welcher wir die Gelegenheit hatten in die Strukturen und Vorgehensweisen der Drachenjäger einzutauchen und nur selten verging ein Tag an dem ich nicht etwas Neues lernte. Seien es die kaltblütigen Methoden der Jagd oder ihre Handelsbeziehungen und ihre Stellung im Inselreich, wissbegierig saugte ich jede Information auf, die mir geboten wurde. Am meisten jedoch faszinierte mich ihre Hierarchie. Sie war zwar keines Falles komplex, doch mit jeder neuen Information, mit jedem neuen Auftrag wuchs das Interesse in mir, den Mann kennen zu lernen, der es geschafft hatte solch ein Imperium nicht nur aufzubauen, sondern auch standhaft zu halten. Viggo Grimborn steckte nicht nur hinter den meisten Konstruktionen und Strategien, welche die Drachenjäger verfolgten, sondern schien sich auch um jede Abwicklung persönlich zu kümmern. So war mir schon früh aufgefallen, dass Ryker - trotz seiner hohen Stellung in dieser Machtkette - nichts ohne die Erlaubnis seines Bruders zu unternehmen schien. Und auch wir waren an die Entscheidungen des großen Viggo Grimborn gebunden. All unser Handeln hing also von einer Peron ab, die wir noch nie in unserem Leben gesehen hatten, geschweige denn das wir jemals ein Gespräch mit ihm geführt hätten.
Bei genauerer Überlegung ein äußerst riskantes Spiel, vor allem da niemand außer Viggo selbst vollends in seine Pläne eingeweiht war. Auch Dagur schien die Abhängigkeit von höheren Autoritäten übel aufzustoßen, doch solang wir nicht im Besitz des Drachenauges waren, würde uns wohl nichts anderes übrig bleiben, als brav folge zu leisten. Und etwas tief in mir sagte, dass ich zumindest auf den einzigartigen Verstand des jüngeren Grimborn vertrauen konnte.
So kam es auch, dass ich nun hier an Deck saß, ohne Dagur und ohne Ryker, nur mit ein paar wenigen Männern und Heidrun, welche mich begleiten sollte. Man hatte uns auf den Weg geschickt, weitere Schiffe zur Verstärkung der Flotte zu holen, während die anderen das feindliche Territorium auskundschafteten. Nach unserem letzten Zusammentreffen mit den Drachenreitern hatte ich viel nachgedacht und auch noch einmal mit Dagur gesprochen und war zu dem Schluss gekommen, dass dies ein Ende haben musste. Dieses ewige hin und her zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen Schuld und Hass. Meine Vergangenheit hatte mich zu dem Menschen gemacht, der ich nun war und es war an der Zeit als diese Person zu leben. Ich hatte in meiner Kindheit sicher Fehler gemacht, doch nur durch Fehler kann man lernen und ich habe gelernt, wer meine wahre Familie ist. Und in gewisser Weise muss ich Hicks und seine Freunden wohl dafür danken, auch wenn dies noch lange nicht reichte, um meinen Hass zu tilgen. Statt mich jedoch von diesem zerfressen zu lassen, wollte ich ein neues Kapitel anfangen. Ich wollte diese ganze Angelegenheit hinter mich bringen und dann würde ich mit Dagur gemeinsam auf die Berserkerinsel zurückkehren und dort ein friedliches Leben führen. Dieser Gedanke war es, der mich von nun an antreiben sollte und diese Vorstellung verbreitete eine ungewohnte Ruhe in meinem Herzen.
So sehr war ich in meine Gedanken an ein besseres Leben versunken, dass ich nicht merkte, wie die schwarzhaarige Berserkerin an Deck gekommen war. Erst Windfangs freudiges Schuppenklappern machte mich auf ihre Anwesenheit aufmerksam. "Hey, noch wach?" Überrascht sah Heidrun zu mir auf, meine Präsenz war ihr wohl ebenso unbemerkt geblieben wie mir die ihre. "Ähm ja, ich konnte nicht schlafen, also wollte ich nochmal nach Windfang sehen. Warum bist du noch wach?" "Ich habe ein wenig nachgedacht, über alles was die letzten Monate so passiert ist." Erneut schweifte mein Blick in den Sternenhimmel und verlor sich in der Schönheit dieses funkelnden Meeres aus Dunkelheit. Schweigen legte sich wieder über das Schiff, nur der sanfte Klang der Wellen war zu vernehmen. Heidrun kümmerte sich ruhig um ihren Drachen und beide hingen wir unseren eigenen Gedanken nach, als die Wikingerin nach einigen Minuten der Stille erneut ihre Stimme erhob. "Darf ich dich etwas fragen?" "Natürlich." "Warum bist du hier? Also bei Dagur? Ich meine bei mir ist das klar, er ist mein Bruder und alles was ich von meiner Familie noch habe. Aber bei dir? Hat er nicht sogar einen Krieg gegen den Volk geführt? Ganz zu schweigen von dem Fakt, dass er regelmäßig versucht deinen Bruder und seine Freunde zur Strecke zu bringen." Schmunzelnd sah ich zu der Berserkerin hinüber. "Es stimmt zwar, dass unsere Stämme einst im Krieg lagen, doch er würde es allein mir zu Liebe nicht wagen, dass Leben eines Drachenreiters zu beenden. Sag, Heidrun, hat dir je jemand erzählt, wie das alles hier begann?" Kopfschüttelnd erwiderte sie den Blick und streichelte währenddessen sanft den Hals ihres Drachen. "Die Nacht ist noch lang. Setz dich zu mir und ich werde versuchen deine Fragen zu beantworten." Zunächst zögerte die Schwarzhaarige, doch als Windfang ihr einen ermutigenden Stups gab, setzte sie sich doch langsam in Bewegung und gesellte sich zu mir. Nun saßen wir gemeinsam dort auf den Stufen, an Deck unseres Schiffes und betrachteten die Sterne, während ich zu erzählen begann. Und ich erzählte ihr von meiner ersten Begegnung mit Dagur in unserer frühen Kindheit, von den schwierigen Verhältnissen auf Berk und meiner blühenden Freundschaft mit dem Berserker. Ich erzählte ihr von dem Krieg und meiner Rolle darin, von meinem Verrat und den Jahren der Qual die darauf folgten. Und ich erzählte ihr von der Familie, die Dagur mir schenkte, von einer friedlichen Zukunft und der Freundschaft und dem Vertrauen, welches uns seit jeher verbunden hatte und wie dankbar ich ihm war, für alles was er für mich tat.
So verbrachten wir viele Stunden mit Geschichten der Vergangenheit und Heidrun lauschte meinen Worten ruhig und aufmerksam. Und ich konnte beinahe sehen, wie auch ihre Gedanken begannen zu kreisen, um ihre eigene Vergangenheit und welche Rolle ihr Bruder darin spielte. Auch als meine Erzählungen zu einem Ende gekommen waren, saßen wir noch eine Weile so da und hingen unseren jeweils eigenen Gedanken nach. Erst als es zu dämmern begann, schreckte die Berserkerin schon beinahe überrascht aus ihren Überlegungen auf und erhob sich. "Ich sollte vermutlich mal eine Runde mit Windfang drehen und sehen ob ich irgendetwas verdächtiges sehe." Eiligen Schrittes ging sie auf ihren Drachen zu und begann sich auf den Abflug vorzubereiten. Schweigend beobachtete ich sie dabei und dachte ein wenig nach. Natürlich war es mir aufgefallen, wie Heidrun sich in letzter Zeit immer häufiger des Nachts weg schlich oder schlampige Fehler bei einem Kampf machte. Zu ihrem Glück war ich bis jetzt scheinbar der einzige gewesen, der es bemerkt hatte, doch wie lange würde das so weiter gehen können? Würde Ryker es rausfinden, wäre das wohl ihr Ende. Darum hatte ich es auch niemandem verraten. Sie mochte uns vielleicht an die Drachenreiter verraten, doch ich würde es nie übers Herz bringen Dagur so zu verletzen. Diese Tat wäre ein Verrat auf einer viel höheren Ebene. Gleichzeitig wusste ich das Heidrun eigentlich eine gute Seele war, die nur von ihrem Hass und ihrer Trauer geblendet war. Vielleicht hatte ich ja mit den Geschichten dieser Nacht nicht nur ihre Fragen beantworten wollen, sondern auch versucht ein wenig ihre Augen zu öffnen, dass nicht alles immer so schwarz und weiß war wie es zu scheinen mochte.
Vielleicht waren das aber auch alles nur Ausreden und es war einzig allein mein junges Herz, dass noch voller Güte war, welches mich dazu überredete noch ein letztes Mal das Wort an sie zu richten, bevor sie in die aufgehende Morgensonne davonflog. "Heidrun. Sei vorsichtig, du wirst langsam auffällig."
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Die Erzählungen einer Drachenreiterin. [Dragons FF]
Fanfiction'Es ist schwer in einer Welt in der Menschen dich vergessen und dich nur noch an deinen Taten in Erinnerung halten. Denn hast du einmal etwas schlechtes getan, werden sich nur noch die wenigsten an das Gute erinnern, das vielleicht einmal da war. Me...