Die meisten Leute würden vermutlich denken, dass man als Häuptlingskind stets beliebt ist oder sich die anderen Kinder zumindest um eine Freundschaft bemühen würden. Doch bei Hicks und mir was das anders, wir waren schon immer ziemliche Ausenseiter. Und während Hicks alles versuchte um das zu ändern, hatte ich nie den Sinn hinter solchen Bemühungen gesehen. Natürlich wäre es toll Freunde zu haben, aber ich würde mich auch ganz sicher nicht verbiegen, nur um in das Bild dieser störrischen Wikinger zu passen. Außerdem war ich ja auch nicht ganz allein. Denn neben Hicks gab es noch jemanden mit dem ich mehr als gern meine Zeit verbrachte. Ich hatte seit unserer ersten Begegnung stets zu ihm aufgesehen und der junge Berserker hatte mich freudig als sein kleines Anhängsel akzeptiert. Unser Start war zwar etwas holprig und endete in einer - für kindliche Verhältnisse - ziemlich heftigen Prügelei, doch umso erstaunter waren unsere Väter über die darauf folgende Freundschaft und Verbundenheit. Immer wenn das verbündete Stammesoberhaupt und sein durchgeknallter Sohn ihren Besuch ankündigten, stand ich als erstes am Steg und wartete auf die kommenden Schiffe. Gemeinsam verbreiteten wir soviel Chaos und Ärger, oft durfte ich mir am Abend Standpauken meines Vaters anhören. Und doch tat ich es immer wieder. In der Zeit mit Dagur fühlte ich mich immer ein bischen weniger einsam und ich lernte für eine Weile mein Außenseiterdasein und meine Andersartigkeit zu genießen. In diesen Moment fühlte ich mich einfach frei und ich liebte es.
Doch umso älter wir wurden, umso extremer wurde auch Dagurs Einstellung zum Thema Spaß. Während es früher noch reichte, die Waffenkammer zu verwüsten oder die Schafsherde durcheinander zu bringen, entwickelte der Berserker über die Jahre eine ungesunde Vorliebe für das Leid anderer. Vater hatte einmal den Fehler gemacht Hicks statt mich damit zu beauftragen auf den Rotschopf aufzupassen. Nachdem Hicks dann beinahe geköpft und ertrunken wäre, überließ er diese Aufgabe dann doch lieber wieder mir. So verbrachte ich mittlerweile einen Großteil des Berserkerbesuches damit, Dagurs Schaden gegenüber den Dorfbewohnern auf das Minimum zu beschränken, was Anfangs nicht gerade leicht war, doch nach einiger Zeit lernte man, wie man mit dem jungen Krieger umgehen musste. Dennoch ließ ich mir nie den Spaß verderben während dieser wenigen Stunden und jedes Mal winkte ich dem Häuptlingssohn nach, in freudiger Erwartung auf das nächste Jahrestreffen unserer Stämme. So auch heute.Die Sonne begann bereits unterzugehen, als die Berserkerschiffe langsam Richtung Horizont verschwanden. Es waren wieder einmal ein paar turbulente Tage gewesen, Dagur hatte sich wirklich nicht zurückgehalten in seiner sadistischen Art. Doch ich konnte das meiste seines aggressiven Potentials schnell auf nicht lebende Dinge umlenken, sodass niemand ernsthaft zu Schaden gekommen war. Dem entsprechend sah allerdings nun das Dorf aus. "Du wirst dieses Chaos heute noch beseitigen. Ist das klar?" Streng sah Vater zu mir hinunter und ich nickte mit gesenktem Kopf. Natürlich war ich ein eigensinniger Sturschädel und hörte nur selten auf andere, doch selbst ich mochte es nicht Vater Kopfschmerzen zu bereiten, auch wenn er es mir in diesem besonderen Fall nur halb so übel nahm wie sonst. Und so machte ich mich an die Arbeit all das Durcheinander wieder aufzuräumen, dass Dagur und ich in nur drei kurzen Tagen angerichtet hatten. Es dauerte bis nach Einbruch der Nacht bis wir endlich fertig waren - Hicks war so freundlich gewesen mir zu helfen - und wir konnten endlich nach Hause gehen. Träge schleppte ich mich hinter meinem Bruder her und wollte gerade unsere Hütte betreten, da hörte ich jemand meinen Namen rufen. Verwirrt drehte ich mich um und erblickte Fischbein eilig die Stufen erklimmen. Nervös kam er ein paar Meter vor mir zum Stehen und sah schüchtern zu Boden. Skeptisch hob ich eine Augenbraue und die Fragezeichen waren förmlich auf meine Stirn geschrieben, während ich den jungen Berkianer musterte. Es passierte so gut wie nie, dass ich Kontakt zu einem der anderen Kinder im Dorf hatte, geschweige denn dass eines von ihnen auf mich zu kam ohne einen schlechten Witz zu reißen oder eine Beleidigung auszuspucken. "Fischbein? Was willst du hier?" Nun schien der Wikinger endlich genug Mut zu haben, um sein plötzliches Erscheinen zu erklären und ohne aufzublicken, hielt er mir einen kleinen Strauß Blumen entgegen. "Für dich, als kleines Dankeschön dass du mich aus dem Käfig gelassen hast." Richtig, ich erinnerte mich; Dagur hatte Fischbein aus Spaß in einen Käfig gesperrt und wollte ihn darin gefangen halten und mit vergammelten Fisch füttern. Damals hatte ich sofort interveniert und Dagurs Aufmerksamkeit schnell auf etwas anderes gelenkt, um den armen Jungen befreien zu können. Das er mir dafür Blumen brachte, hätte ich nicht erwartet. Wo ich so darüber nachdachte, hielt sich Fischbein meistens eher im Hintergrund wenn seine Freunde Hicks und mich wieder einmal ärgerten. Er war wohl der Typ Mensch der lieber mitzog als selbst in die Schusslinie zu geraten. Aber konnte man es ihm verübeln? Seine Strategie war wesentlich sicherer. So entschied ich mich das Geschenk lächelnd entgegenzunehmen und mich zu bedanken. Eilig nuschelte der Wikinger nun einen Abschied und verschwand schnellen Schrittes in seine eigene Heimstatt. Schmunzelnd sah ich auf die Blumen hinunter.
Wer hätte gedacht, dass sich hinter einem so stämmigen Jungen ein so weiches Herz verbarg?
DU LIEST GERADE
Die Erzählungen einer Drachenreiterin. [Dragons FF]
Fanfiction'Es ist schwer in einer Welt in der Menschen dich vergessen und dich nur noch an deinen Taten in Erinnerung halten. Denn hast du einmal etwas schlechtes getan, werden sich nur noch die wenigsten an das Gute erinnern, das vielleicht einmal da war. Me...