wie mein albtraum meine seele berührte

Hotline

Die Gassen, durch die Olive am Abend laufen musste, um Heim zu kommen, waren dunkel und einsam. Das ist der Preis für das ruhige Wohnen, dass ich mir so sehr gewünscht habe, dachte sie, mit einem Gefühl von Panik im Nacken. Es passte gar nicht zu der resoluten Frau, sich alle drei Sekunden umzusehen, doch sie konnte einfach nichts daran ändern.

Seitdem die Pforten zu Himmel und Hölle sich geöffnet hatten, fürchtete sie hinter jeder Ecke einen Dämon zu treffen, der seine Macht nutze, um Unaussprechliches mit ihr zu tun. Olive dachte an die Nachrichten am Morgen. Man hatte die Leiche einer jungen Frau im Fluss gefunden. Ihr Körper war bis zur Unkenntlichkeit verbrannt worden. Waren es Dämonen gewesen? Oder nutzte irgendein Psychopath die Gelegenheit seinen Sadismus auszuleben? Olive wusste es nicht, doch was ihr klar war: Die Welt war viel gefährlicher geworden und das Böse lauerte hinter jeder dunklen Ecke.

Endlich an ihrer Wohnung angekommen, den Schlüssel hatte sie längst parat, schoss sie so schnell sie konnte durch die Tür und schloss diese sorgsam ab. Nicht, dass dies einen waschechten Dämon davon abhalten konnte ins Haus zu kommen. Aber der Talisman von Michael würde sie hier beschützen. Ein Schutzstein, den die Bewohner von Mainstraße 45 gemeinsam erworben hatten. Ein Schutzzauber von den Engeln, der Dämonen daran hinderte, die Schwelle zu überqueren.

Olive öffnete die Tür zu ihrer Wohnung und lehnte sich mit einem Seufzer an.

»Na, Schwesterchen?«

Olive schaute auf. Polly, ihre jüngere Schwester, mit der sie zusammen lebte, saß im Wohnzimmer auf der Couch und schaute ihre ältere Schwester belustigt an.

»Was gibt es zu grinsen?«, fragte Olive gereizt.

»Du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen«, sagte Polly und kicherte.

»Und du, als würden wir nicht in der Hölle leben. Was ist das für ein Outfit?«, entgegnete Olive, die beim Anblick ihrer jüngeren Schwester sauer wurde. Polly trug einen kurzen Jeansrock und ein enges weißes Top.
»Warst du so draußen?«

»Reg dich mal ab, du Angsthase! Was hat mein Outfit mit deiner Paranoia zutun?«, entgegnete Polly ungerührt.

»Du legst es wohl darauf an, im Fluss zu enden?«

»Olive, es passieren kaum mehr Verbrechen als vor der Weltengleichung. Du hast nur Bammel, dass irgendwann ein heißer Dämon dich verführt. Du bist ein bisschen prüde, meine Liebe«, sagte Polly in ruhigem Ton.

»Prüde?« Olive war extrem genervt von ihrer Schwester.

»Tut mir leid, dass ich mich um dich sorge«, sagte Olive beleidigt. Polly schaute sie eine Weile an und verzog dann den Mund.

»Okay, es tut mir leid, sei doch nicht so.«

Polly stand auf und umarmte Olive. Beide schwiegen einen Moment.

»Hast du dich beruhigt?«, fragte Polly liebevoll.

»Ja«, antwortete Olive knapp. Es war einfach nicht die Diskussion wert. Die beiden ungleichen Schwestern würden bei diesem Thema nie auf einen Nenner kommen.

»Ich leg mich mal aufs Ohr, war ein langer Tag«, sagte Olive schließlich.

»Ja, natürlich. Gute Nacht, Maus«, sagte Polly und setzte sich wieder aufs Sofa.

»Gute Nacht, mein Schatz«, sagte Olive und trottete zu ihrem Zimmer. Erschöpft ließ sie sich aufs Bett fallen. Ihr Blick ging direkt zum Laptop.

»Ich sollte das wirklich nicht machen«, sagte sie zu sich selbst. Doch da war sie schon aufgestanden und nahm an ihrem Schreibtisch platz. Olive setzte ihr Headset auf, während sie den Laptop startete. Mit flinken Fingern tippte sie die Webseite in das Suchfenster ein.

Eine Hotline erschien auf dem Bildschirm. Olive klickte auf die Verbindung. Es klingelte. Dann ein Knacken in der Leitung.

»Save with Wings, ihre Hotline für himmlische Angelegenheiten. Sie sprechen mit Celeste, wie kann ich Ihnen helfen?«