Kapitel 1 - Prolog

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Der Wind peitschte hart über das Land, ließ sich das eh schon launische Wasser der See zu Wellen aufbauschen, welche letztlich mit einem Knallen gegen die kantigen und spitzen Felsen der Bucht schlugen. Eine enorme Kraft traf die Klippen, welche schon die einen oder anderen raue Tage ausgehalten haben. Egal mit welcher Kraft Poseidon seine Massen gegen sie schleuderte, sie hielten diesen stand und zerschellten die Wellen an ihrer steilen Wand. Der Schaum und einzelne Tropfen spritzen Meter in die Höhe, setzen sich in kleine Fugen und Zwischenräume der mit Moos überzogenen Steine, in denen es sich gewiss auch schon hunderte von Seeigeln eingenistet haben. Für sie war die Bucht, welche von Menschen ohne Todeswunsch nicht betreten werden konnte, ein wahres Paradies. Die steile Klippe und die Felsen, welche nur Zentimeter unter der Oberfläche der dunklen See lauerten, und auf nichtsahnende Fischerboote wartete um diese wie eine Dose auf zu schlitzen, wurden von Fischern gefürchtet. Sie und die torbulenten Strömungen machten es Booten und Schwimmern unmöglich in diese Bucht zu gelangen. Doch was sollte man auch schon dort wollen? Bis auf Seeigel, scharfkantige Felsen, Strömungen und Seegras würde man dort eh nichts finden. Vielleicht entdeckte man, wenn man großes Glück - oder großes Pech hatte, eine Leiche, oder Teile einer. Denn wenn es Menschen wirklich in diese Bucht zog, so hatte das immer suizidale Hintergründe.

Bei allen im recht kleinen, doch handelsfreudigen Dorf Kalimba war diese Klippe der beliebteste Ort, wenn man sein Leben beenden wollte. Wie viele sind schon gesprungen, aus ganz unbekannten Gründen? Wenn man sich die Klippe hinunter stürzte, so wurde man nie wieder gefunden und Freunde und Familie mussten sich nicht um die Überreste kümmern.

Und doch stand der junge Mann an dessen Fuß, gelehnt an den nur mageren Holzzaun, welcher mehr zur Zierde als zur Sicherheit diente, nicht um sich sein Leben zu nehmen, sondern entdeckte diesen Ort auf seiner Suche nach Inspiration.

Ein junger, hübscher Handelsmann, aus der fernen Stadt angereist um sich von der Qualität der Seeigel in diesem Dorf zu überzeugen. Seine geliebte Luisa liebte die teure Delikatesse, und extra für sie machte er sich auf den Weg um ihr die feinsten, wohl schmeckensten Exemplare zu besorgen. Er hatte viel von Kalimba gehört - das Dorf in dem die Seeigel am leckersten schmecken und gedeihten, doch nicht einmal wurde dieser Ausblick erwähnt, welchen man hier erleben konnte. Die Klippen, welche stolze 30 Meter über dem Meeresspiegel ragten, erlaubten ihm den Blick in weite Ferne.

Und so länger er den Nachthimmel betrachtete, und in das Antlitz des runden, kahlen Mondes sah, desto mehr fühlte er förmlich wie die Ideen für ein romantisches Gedicht an seine Liebste in ihm hoch sprudelten. Als würde der Wind, ihm die Wörter förmlich ins Ohr flüstern und das Rauschen der Wellen ihn in Stimmung bringen.

Liebste Luisa, dachte er still für sich und legte eine Hand auf seine Brust, um sein schlagendes Herz zu beruhigen. Nur bei dem Gedanken an die Schönheit in ihrem zart rosanen Kleid und dem Haar so braun wie Kakao, fing sein Herz an wild zu flattern.

Wie oft hatte er sich schon vorgestellt, wie es wäre wenn er ihr seine Liebe gestehen würde? Wie würde sie reagieren? Ein gar so gütiges Wesen, wie es Luisa war, würde ihn bestimmt nicht wie so manch andere Frau auslachen. Sie würde seine Gefühle wertschätzen, selbst wenn sie sie nicht erwidern würde.

Er wartete nur auf den richtigen Moment an dem er ihr seine Gefühle offenbart. In seinem Kopf hatte er diesen auch schon gewählt. Bei einer Nacht wie dieser, in der der Mond so hell strahlte wie die Sonne und ihren Garten in ein mysteriöses Licht tauchte. Er würde ihr die Seeigel überreichen, ihr das Gedicht vortragen, in ihre hellen blauen Augen schauen, und sagen: "Ich liebe dich Luisa."

Er würde ihr sagen, dass ihr Haar so schön glänzte wie Seide und die Farbe in ihren Augen ließ selbst die schimmernsten Topaze neidisch werden. Er würde ihr erzählen, wie liebreizend er das fand, wenn sie für die Blumen in ihrem Garten sang und barfuß über die Wiese tänzelte wie eine Fee, das herrliche Sommerkleid wild umher flatternd und der Duft von Rosen sich in der Luft verbreitend.

Sie wäre bestimmt gerührt und vielleicht steckten ja wirklich mehr hinter den heimlichen Blicken, welche sie ihm zuwarf. Vielleicht verbarg sich mehr als reine Neugierde in seine Waren, hinter ihren fast täglichen Besuchen bei seinem Stand. Wer weiß schon ob sie wegen seinen Waren, mit welchen sie zwar liebäugelt doch nicht kauft, da war oder vielleicht doch wegen ihm?

Dieser Gedanke versüßte ihm das Gemüt, ließ ihn tief Seufzen. Seine Hand kraulte derweil seine kurzen Ziegenbart, auf den schon so mancher neidisch war in seinem alter. Viele Jahre hat es gebraucht bis er so füllig und bauschig heranwuchs, auf eine länge die sich sogar sehen ließ. Da raue, struppige Haar fühlte sich gut zwischen seinen Fingern an, beruhigte ihn und stillte den Drang an irgendwas herum zu fummeln. Gerade wenn er daran denken musste, dass selbst wenn Luisa seine Gefühle erwiderte, es immer noch einen Faktor gab, welcher die beiden in ihrem Glück behindern würde. Ein Faktor, den man nicht so leicht ignorieren konnte.

Er bestand aus einem 1.90m großen Riesen, bepackt mit Muskeln, einem eisigen Blick und einer finsteren Miene. Er hatte ein hütendes Auge auf seine Tochter, und war ganz sicher nicht davon angetan, dass sein Schatz sich mit einem einfachen Händler zufrieden gab. Nein! Für seine Tochter musste es nur das Beste geben, auch zum Mann. In Augen ihres Vaters war wohl das Beste der hübsche Adelsmann von einem fernen Land. Gut aussehend, jung, gut erzogen und das wichtigste: stinkreich. Er könnte der süßen Luisa alles bieten, alles kaufen was sie sich wünscht und ihr wunderschöne Kinder schenken. Er musste sich selber eingestehen, dass der Kerl ihr ein viel besserer Ehemann wäre. Denn während er selber darauf angewiesen war viel reisen zu müssen, um seinen Bestand immer auf dem neusten Stand zu halten und zu erweitern, konnte der Adelsjunge seine Geschäfte direkt vom heimatlichen Schreibtisch aus tätigen.

Die Einsicht schmerzte im Herzen des Schwarzhaarigen, ließ es sich zusammen ziehen. Nicht das er einfach so seine Luisa aufgeben würde - nein! Aber die Konkurrenz war groß, gar schon gewaltig, und das bezog sich nicht auf die körperlichen Maße. Er wusste noch nicht genau wie er Luisas Vater von sich überzeugen konnte, denn selbst die Reise in ein so abgelegenes Dörflein wie Kalimba, nur um der braunhaarigen Schönheit ihre geliebten Seeigel zu besorgen, konnte noch lang nicht mit einer Schatzkammer voll glänzenden Gold mithalten.

Hach, könnte mir der Herr nicht eine einfache Lösung zeigen, durchstreifte der Gedanke seinen Kopf während sein Blick sehnsüchtig auf dem Meer lag.

Der weite Ozean hat ihn schon immer gerufen, nur diesmal schien seine flehende Stimme deutlicher als jemals zuvor. Genüsslich schloss er seine Augen und lauschte den süßen Klängen der See. Es war, als würde sie ihre Hände nach ihm ausstrecken, um nach ihm zu greifen. Er spürte förmlich die kühlen Hände auf seinem Gesicht, während das Salz in seiner Nase prickelte und sein Körper leicht wurde, gar schon schwerelos.

Was ein herrliches Gefühl, dachte der Handelsmann kurz bevor sein Kopf auf den spitzen Felsen in der Brandung aufschlug und zerbrach wie eine Walnuss über die man mit einer Kutsche fuhr. 

Gem-Sirens [BL]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt