Kapitel 15 - Xing

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Die Erkenntnis traf mich wie ein Tsunami, doch gegen die Massen an Fragen ankämpfend, löste ich meine kurzzeitige Starre.

"Du bist-", fing ich an, doch eine Hand legte sich über meine Lippen und der Rubin stand innerhalb eines Wimpernschlages vor mir. Mit einem mysteriösen Grinsen legte sich sein Zeigefinger auf seine Lippen. "Nicht hier", wisperte er, kaum hörbar über die Hintergrundgeräusche des nahen Marktes. "Folg mir", forderte er mich dann auf, die Blicke auf mir gefestigt, während er langsam an mir vorbei ging. Erneut füllte sein süß-scharfer Geruch meine Nase und ich entschied mich, ihm erstmal zu gehorchen. Immerhin wollte ich ja was von ihm. "Wohin gehen wir?", fragte ich skeptisch, denn ich kannte seine Absichten nicht, und wie ich gegenüber Sylas erwähnt habe, mieden wir Sirenen unsere Artgenossen.
"Zu mir, dort können wir ungestört sprechen", entgegen meiner Vermutung antwortete er mir bereitwillig auf diese Frage.
Schweigen legte sich nach dieser Antwort über uns und mein Blick hing mehr oder weniger auf seinem Hinterkopf. So viele Fragen schwirrten mir im Kopf umher, die ich ihm nicht gleich alle vor die Stirn knallen wollte. Ich musste mich auf die wichtigsten Punkte konzentrieren. "Bleib nah bei mir, kleine Nachtigall... und behalt diesmal deine Finger bei dir", zwinkerte er mir mit einem wissenden Grinsen über seine Schulter zu, als wir wieder auf die Hauptstraße traten. Empört schnaubte ich, verschränkte meine Arme vor der Brust und blieb - wie von ihm gebeten - nah bei ihm, denn in erneute Schwierigkeiten wollte ich nicht geraten. "Ich habe nichts geklaut", stellte ich klar und lief fast zum zweiten Mal in ihm, als er plötzlich stehen blieb. Auf der Ferse drehte er sich zu mir herum und griff vollkommen unverfroren in meine vordere Hosentasche. "Und was ist das?", erkundigte er sich schmunzelnd und hielt mir den Obelisken aus Amethyst vor die Nase. Erschrocken weiteten sich meine Augen und mir fehlten für einen Moment die Worte. Als ich dann jedoch erneut Luft holte um mich zu erklären, ließ er ihn wieder in meine Hosentasche gleiten. "Schon gut, hab's geregelt", zwinkerte er mir gelassen zu, die roten Augen voller Belustigung. Als er sich wieder umdrehte und den Weg - mit mir an seinen Hacken, fortführte schob ich meine Hände in die Hosentaschen, bevor noch jemand etwas dort reinwarf. "Danke, doch ich verstehe nicht, warum du mir hilfst", merkte ich dann ehrlich an, mit einem forschenden Blick in seinem Hinterkopf. "Oh, versteh mich nicht falsch, kleine Nachtigall, das habe ich nicht für umsonst gemacht", säuselte er und brachte mich zum erneuten schnauben. "Ich habe kein Geld, nur vorneweg", warnte ich ihn mit leicht zusammengekniffenen Augen. Er war also doch nicht so ritterlich wie er den Anschein machte. Ich hatte ein wirklich schlechtes Gefühl bei ihm. "Ich möchte kein Geld", ließ er mich weiterhin in einer unglaublichen Lockerheit wissen, drehte sich aber nicht erneut um.

Nun, da ich die Unterhaltung für beendet hielt, widmete ich meiner Umgebung auch erstmals wieder meine Aufmerksamkeit, bemerkte so gleich, wie unzählige Blicke auf uns lagen. Einige warfen uns nur versteckte Seitenblicke zu, andere waren da etwas indiskreter, und wieder andere fingen sogar an zu tuscheln.

Ob das ein gutes Zeichen war? Nein, da mussten ich mir nichts vormachen. Das bestätigte nur mein mulmiges Bauchgefühl. Irgendwas stimmte hier nicht.
Zumindest mussten wir uns nicht durch Leute quetschen, denn die machten von alleine großzügig Platz. Mein Adamsapfel hüpfte einmal als ich stark schluckte und ein unangenehmes Gefühl sich in meiner Magengegend breit machte. Erneut schielte ich zu dem Rubin, der von dieser Situation anscheinend gar nicht verwundert war. Er kannte also diesen Umgang, war demnach entweder ein hohes Tier oder der größte Abschaum. Das Selbstbewusstsein und die Verständlichkeit mit der er vorneweg ging, ließ mich aber eher auf Ersteres tippen. Dazu sahen die Menschen auch mehr ehrfürchtig als angewidert aus.
Oh Erik, in was ich nicht alles hineingerate wegen dir.

So wie ich das erkannte steuerten wir auf ein großes Gebäude an, welches auf einem Hügel lag und wo nur wenige Menschen waren. Es sah aus wie ein Tempel, zumindest meine ich mich daran erinnern zu können, sowas ähnliches in einem Buch gesehen zu haben.

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