Noch eine ganze Weile beobachtete ich das Schiff, welches noch immer recht weit vom Hafen entfernt stand. Die Piraten haben wohl kein Interesse daran hier an Land zu gehen, zumindest jetzt noch nicht. Was sie wohl aufhielt?
Die Neugierde juckte in meinen Fingern, doch gleichzeitig wusste ich, dass wenn ich nicht gefahr laufen möchte entdeckt zu werden, mich besser fernhalte. Die See war heute ruhig und das Wasser klar. Entweder näherte ich mich nachts, oder die Männer könnten mich durch die Wasseroberfläche erspähe - selbst wenn ich am Boden tauchte.
Um nicht noch weiter in der Sonne auszutrocknen, verschlang ich die letzten Reste des Fisches, warf den Kopf, welchen ich für gewöhnlich immer verschmähte für die Möwen in den Sand und rutschte langsam tiefer ins Wasser. Die Wellen befeuchteten meine Schuppen, trafen auf meinen Oberkörper und ließen meine Haut vorfreudig prickeln. Ich drehte mich, zog mich nun mit meinen Armen vorwärts, und kaum hatte ich genügend Wasser um mich herum, um meine Flosse zu benutzen, schoss ich davon. Ich tauchte hinab kaum bot sich mir die Möglichkeit, ließ das Wasser durch meine Nase spülen und stellte meine Atmung von Lungen auf Kiemen um. Meine Augen schlossen sich um dieses Gefühl besser genießen zu können. Das salzige Wasser strömte durch meine Nase, ein Teil meines Halses hinunter und entfloh meinen Körper über die Kiemen welche sich beidseitig befanden. Das sprudelnde Gefühl ließ meine Haut eine Gänsehaut überkommen. Ich lächelte zart während ich mich fast schon schwerelos durch das wasser bewegte, die Hände nach vorne gestreckt und übereinander gelegt, um leichter durch das Wasser hindurch zu gleiten. Es war nicht notwendig, doch fühlte sich besser an als meine Hände die ganze zeit steif an meinen Körper gelegt zu haben. So konnte ich mich den Bewegungen des Wassers besser angleichen, den Strom der Wellen leichter folgen und bekam nicht so viel treibenden Dreck ins Gesicht. Als ich meine Augen öffnete, sah ich nicht viel bis auf ein paar vage Umrisse des steinigen Untergrund unter mir. Obwohl sich selbst meine Augen an die Gegebenheiten Unterwasser angepasst hatten, unterschied sich meine Sicht nur kaum von der des Menschen. Allerdings benutzten diese keine Echoortung, wie ich oder Delfine. Ein Schnalzen mit der Zunge genügte um im Umkreis von 100 Metern alles zu 'sehen'. Ein Bild, ähnlich eines Grundrisses baut sich vor meinem inneren Auge auf, verankerte sich dort und wurde eingespeichert. So brauchte ich an bekannten Orten nicht immer wie ein behinderter Delfin rum schnalzen, sondern rief mir die Erinnerung einfach aus meinem Gedächtnis ab. Sollte ich das Gefühl haben, es habe sich etwas geändert, konnte ich den Plan ja immer noch durch ein erneutes Schnalzen aktualisieren.
Durch das klare Wasser und die sanften Stellen, reichten aber auch meine Augen aus um genügend zu erkennen. Neben dem endlosen Blau des Ozeans, welches so tief und weit reichte, zogen vor allem aber der mit kleinen Steinen bedeckte Boden meine Aufmerksamkeit auf sich. Wie ein Mosaik bildeten die handgroßen Steine ein Farbteppich direkt auf dem Meeresboden. Die helleren Steine reflektierten das Sonnenlicht, während die dunkleren Steine als Kontrast dienten um den Effekt ihrer weißen Genossen noch zu verstärken. Wäre es nicht so wundervoll anzusehen, hätte ich meinem Drang bestimmt schon nachgegeben, und die hübschsten weißen Steinchen aus dem Teppich gepickt.
Ich schielte einmal zu der Sonne, welche durch die sich stetige Wasserbewegung recht verzerrt und verschwommen wirkte. In wenigen Stunden wird sie bereits untergehen. Bis dahin musste ich mir nur ein wenig die Zeit vertreiben.
Kein Problem für eine Sirene, welche den ganzen Ozean zur Verfügung hatte.
Der Sonnenuntergang färbte den Himmel orange und lockte mich zum Boot. Im Schutz der Dunkelheit, und nah am Meeresboden haltend, näherte ich mich dem riesigen Schiff aus dunklem Holz. Um mich ein wenig auszuruhen, ohne davon zu treiben, hielt ich mich an der Ankerkette fest. Ich schielte hoch zur Wasseroberfläche und wartete auf irgendeine Reaktion. Hätte ja doch sein können, dass man mich gesehen hatte. Doch das Glück war auf meiner Seite und es blieb ruhig auf Deck. Ein Lächeln zuckte über meine Lippe während ich mich an der Kette höher zog, bis ich das Holz des Schiffes berühren konnte. Algen und Plack befiel das Holz welches bestimmt schon mehrere Jahre das Meer durchzog. Die Nägel waren rostig, hielten aber das gewaltige Schiff beisammen. Langsam tastete ich mich höher, im Schatten des Schiffes bewegend und immer ein wachsames Auge und Ohr auf die Geschehnisse über mir haltend. Ich hatte die Hoffnung ich könnte ein paar Informationen über ihre Ankunft erhalten und ihre zukünftigen Pläne mit dem Hafen hier. Leider jedoch schienen sie zu schlafen, denn selbst als ich den Kopf aus dem Wasser streckte, konnte ich nichts hören. Zu Schade aber auch.
Doch gerade als ich mich wieder in das schützende Wasser begeben wollte um schnell zu verschwinden, erhaschte ich drei tiefe Kratzer im Holz des Schiffes. Ich näherte mich ihnen, nahm sie genauer unter die Lupe und ließ meine Fingerspitzen durch die Einkerbungen fahren. Sowas habe ich noch nie gesehen. Es sah aus wie lange Kratzer, waren breit wie meine Handkante und so lang wie mein Unterarm. Für einen Felsen waren die Ränder zu glatt, doch sonst viel mir kein Geschöpf des Meeres ein, welches solche Spuren hinterließ - noch ein Boot angriff. "HE!", brüllte es plötzlich und ein Schock als hätte ich einen Aal berührt, durchfuhr meinen Körper. Ich fuhr herum und blickte mit vor schreck geweiteten Augen zu dem Typen hoch, welcher sich über die Reling gebeugt hatte, die Öllampe runter haltend um bessere Sicht zu haben. Ihr Licht erreichte mich nicht, doch mein helles Haar stach bestimmt gut durch das dunkle Wasser hervor. Noch ehe er jedoch sich hätte mich einprägen können, steckte ich den Kopf unter wasser und schoss davon, darauf acht gebend, dass meine Flosse nicht die Oberfläche durchbrach. Mein Herz flatterte wie die Flügel einer Libelle und ich flüchtete verschreckt von dem Dunkelhaarigen in die Tiefen des Ozeans und zurück in meine schützende Bucht.
Das war knapp. Ich hoffte ich habe erstmalig mal keinen bleibenden Eindruck hinterlassen. Vielleicht hielt er mich ja für ein Hirngespinst oder Einbildung - denn was würde ein Mensch im Meer machen, wenn der Abend nahte?Erst als ich in dem Bett aus Algen, Seegras und Seetang lag, beruhigte sich mein flatterndes Herz wieder. Ich rückte mir die Polsterung zurecht und schnalzte einmal um nochmal sicherzugehen, dass sich an meiner versteckten Unterwasserhöhle nichts verändert hatte. Doch alles schien auf seinen Platz zu sein.. meine gesammelten Perlen, meine kleinen Schätze aus der Welt der Gehenden, meine Verstecke in den Wänden der rauen Felsen. Und Blubber durfte man auch nicht vergessen - mein kleiner Oktopus Freund. Als würde er merken, dass es mir schlecht ging, kam er zu mir gekrochen und legte einen seiner Acht tentakel auf meine Wange, saugte sich fest und ließ dann wieder los. Diese Art mir einen Schmatzer zu geben, ließ mich lächeln und ich schob vorsichtig eine Hand über das gleich große Tier. Ich seufze einmal stumm und setzte mich auf meiner Flosse auf. Sacht stupste ich das rosarote Tier an und ließ seine Ärmchen meinen Zeigefinger bis zur Schwimmhaut umschlingen. 'Ich hab dich auch lieb, mein klebrig, schleimiger Freund', erwiderte ich innerlich seine Bekundungen der Zuneigung und lächelte verzückt. 'Wenn du wüsstest, was passiert ist... du würdest mich tadeln', sprach ich weiter mehr mit mir selbst als mit dem Tier - welches mich sowieso nicht verstehen konnte. 'Lass es dir eine Lehre sein, und nähere dich niemals Booten', belehrte ich ihn und zeigte tadelnd mit dem Finger auf das kleine Kerlchen. Nicht verstehend, was ich von ihm wollte, machte er einfach weiter damit meine Hand mit seinen Saugnäpfen zu erkunden und kleine Schmatzer zu verteilten. 'Gut, da wir das jetzt geklärt haben.. legen wir uns schlafen, Blubber', entschied ich für uns beide und legte mich wieder nieder. Der Oktopus durfte sich seinen Schlafort aussuchen, entschied sich aber wie immer für den Platz zwischen Brustbein und Kopf, direkt unterhalb meines Kinnes. Schätze dort war es am sichersten.
Irgendwie hatte ich ein ganz schlechte Gefühl bei der Sache.Und das würde mich auch nicht Enttäuschen.
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Gem-Sirens [BL]
FantasySirenen - Wesen die nur aus Legenden, Mythen und Geschichten bekannt sind. Doch was, wenn der hübsche junge Mann, mit den außerordentlichen lilianen Augen und dem weißen Haar, eben ein solches Geschöpf ist? Würde man seiner charmanten Art noch imme...