Kapitel 14 - Shinigari

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Mit den Armen locker auf der Reling liegend, lehnte ich gegen das massive Holz und blickte gen Horizont. Die Sterne funkelten im Himmelszelt über mir, doch ein ganz anderes Licht zog meine Aufmerksamkeit auf sich. In der Ferne sah ich unzählige Lichtpunkte flackern, einige waren rot, andere gelb und wieder andere waren orange. Das faszinierende Farbspiel ließ mich in meiner Haltung etwas hochfahren und ich lehnte mich ganz automatisch etwas über die Reling hinweg in der Hoffnung etwas besser den viel zu langsam näherkommenden Hafen zu betrachten.
Eine warme Brise fuhr durch mein Haar und ließ meinen Bauch kribbeln. "Vorsicht Perle", die dunkle Stimme von Sylas ließ mich kalt, und selbst als er einen Arm um meinen Bauch schlang um mich etwas von der Reling wegzuziehen, nahm ich meine Blicke nicht von dem Hafen. "Sonst fällst du noch ins Wasser", führte er seinen Satz fort, wobei ich seine Blicke auf meinem Hinterkopf spürte. Sie verweilten auch so lange dort, bis ich mich von den Lichtern losreißen konnte und ihn ansah. "Ich werde schon nicht ertrinken", merkte ich mit einem schiefen Grinsen an, verschränkte locker meine Arme vor der Brust. Erneut glitt mein Blick wie magisch angezogen zu der Stadt.
"Der Rubin ist nicht weit... doch ich möchte, dass du vorsichtig bist. Shinigari ist eine gefährliche Stadt, die zwar voller Schätze ist, doch selbst unter Piraten gemieden wird. Banden, Mörder, Söldner, Menschenhändler... kein Fleck auf Erden beherbergt mehr Abschaum", warnte er mich in einer ernsten und ruhigen Stimmlage, die es unmöglich machte, mir nicht seine Worte zu Herzen zu nehmen. Ich nickte einmal, als Zeichen, dass ich verstanden hatte und atmete einmal tief durch. "Schon eine Idee wie du den Rubin finden willst?", erkundigte er sich dann bei mir, nahm einen Platz neben mir ein und lehnte sich mit dem Rücken zur Reling.
Ein paar Strähnen seines Haares tanzten im leichten Wind und drei Knöpfe seines Hemdes waren offen, offenbarten sein Brustbein und die Muskelansätze darunter. Ich erwischte mich dabei, den Anblick etwas zu lang zu genießen, doch noch ehe Sylas ihn aufschnappte, festigte sich mein Blick wieder auf den Hafen.
"Darum mache ich mir keine Sorgen... Sirenen finden sich einander", entgegnete ich wenig besorgt, was Sylas aber nur zum Verwundern brachte. Langsam hob sich seine rechte Braue und auffordernde Blicke trafen meine Schläfe. Er verlangte eine Erklärung, und die würde ich ihm auch geben. "Ich kann es nicht beschreiben... Man fühlt einfach eine gewisse Anziehung", murmelte ich nachdenklich, dachte an dem Moment zurück, an dem ich es zum ersten Mal spürte - diese Anziehung. "Einmal schwamm eine Sirene in mein 'Territorium', damals in Kalimba. Ich fand sie sofort und sie auch mich. Wir konnten es uns nicht erklären, aber es funktioniert wohl nur in einem bestimmten Radius", erzählte ich dem Kapitän den Hintergrund meines Wissens.
Ich atmete einmal tief durch, und unter den salzigen Geruch des Meeres mischte sich eine hauchzarte süße Note. "Auch jetzt spüre ich die Anwesenheit einer Sirene", murmelte ich leiser und versuchte in der Ferne die ersten Menschen zu erkennen - doch es war zwecklos. Zwischen uns und dem Hafen trennten uns noch ein paar Meilen. "Du siehst nicht begeistert aus", las der dunkelhaarige meine Miene korrekt. "Sirenen sind Einzelgänger. Wir meiden den Kontakt zu anderen und reagieren empfindlich, wenn eine fremde Sirene unser Territorium betritt."
"Ein Grund mehr um extra vorsichtig zu sein", kam es daraufhin von Sylas in einem noch ernsteren Ton. Er wird recht haben. Wer weiß schon wie die Sirene reagieren wird... mit offenen Armen wird sie mich nicht begrüßen.

Eine Stunde später wurde der Anker ins Wasser geworfen und die ersten Ruderboote wurden zu Wasser gelassen. Ich wartete bis die Mannschaft ihre volle Aufmerksamkeit auf Sylas richtete, der ihnen den Plan erklärte, ehe ich aus der Kapitänskajüte huschte, und die Treppe zur Steuerplattform stieg. Über meiner Schulter trug ich einen Lederbeutel mit Wechselkleidung, denn im Gegensatz zu den Piraten werde ich kein Boot nutzen um aufs Land zu kommen.
Das könnte unsere wahre Mission nur verraten, und dass dies nicht in meinem Interesse lag, war selbstverständlich. Die würden nur unnötige Fragen stellen auf die Sylas keine Antwort wüsste ohne meine Identität und meine Absichten zu verraten.
Am Heck, dem hintersten Teil des Bootes, kletterte ich über die Reling und ließ mich ins Wasser fallen.
Selbst das Meer war wärmer als sonst und fühlte sich merkwürdig fremd an. Nichtsdestotrotz umgab mich gleich ein wohliges Gefühl der Geborgenheit und das Salzwasser füllte meine Lungen. Meine Beine verschmolzen zu meinem heißgeliebten Schweif, aus meinem Rücken spross meine Rückenflosse und Kiemen öffneten sich an meinem Hals. Schwimmhäute zwischen den Fingern, Flossen hinter meinen Ohren, Schuppen über meinem Oberkörper verteilt und lange, scharfe Fingernägel durften auch nicht fehlen.
Mehrmals schnalzte ich um meine Umgebung zu 'sehen', und schloss einen Moment meine Augen. Ich konzentrierte mich auf mein Bauchgefühl, welches mir verriet, dass sich außer mir keine andere Sirene im Wasser befand.

Gem-Sirens [BL]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt