Kapitel 6 - Entführung 2.0

328 43 3
                                    

Das nächste Mal als ich mit dem Piraten in meinen Arm die Wasseroberfläche durchbrach befanden wir uns in einer von mir entdeckten Unterwasserhöhle. Umgebungen von Strömungen, Felsen und Korallen wäre eine Flucht für einen Menschen äußerst unwahrscheinlich, wenn man gleichzeitig überleben wollte. Erneut hustete Sylas, drückte sich von mir und paddelte auf einen kleinen Vorsprung zu. Scheinbar hatte da jemand genug vom Wasser.

Während ich noch überlegte, was ich mit ihm nun machen sollte, beobachtete ich den muskulösen Mann dabei, wie er sich aus dem Wasser zog. Trotz der dichten Dunkelheit hier war es mir möglich selbst das kleinste Detail meiner Umgebung und auch meinem Gegenüber auszumachen, denn wenn schon nicht Unterwasser dann aber in der Dunkelheit verbesserte sich meine Sicht wie die einer Katze. Und wie eine Katze lauerte ich, nur soweit aus dem Wasser ragend, dass meine Augen drüber ragten und ich meine Beute beobachten konnte. Sein weißes Hemd klebte an seinem Leib wie eine zweite Haut und die Erhebungen zeichneten sich nur allzu deutlich darunter ab. Leichtes Zittern durch die Kälte und der Kraftanstrengung erschütterte seine Arme, während er sein Gewicht aus dem Nass wuchtete und auf die felsige Kannte verfrachtete. Auch seine ledrige Hose lag eng an ihm, ließ kaum Platz für die Fantasie was sich so zwischen seinen Beinen versteckte.
Da lief es ja schon fast einem das Wasser im Mund zusammen.

Langsam näherte ich mich dem Vorsprung, meine Blicke auf meinen nächsten Snack fixiert. Nun erhaschte ich erneut seine Aufmerksamkeit, während ich mich etwas aus dem Wasser erhob und einmal Luft in meine Lungen sog. Mein Mund öffnete sich und eine süße Melodie entsprang meine Kehle, wurde von den Wänden der Höhle zurückgeworfen und ein unvergleichbares Lied wurde gesponnen. Faden für Faden, Note für Note, webte ich eine tödliche Falle die meine Opfer mit süßem Honig anlockte und dann gefangen nahm, auf dass sie ihr nie mehr entfliehen konnten.

Doch die Fliege vor meinen Augen schien gänzlich unberührt! Sie sah mich zwar mit Faszination an, doch presste sich noch immer vehement gegen die steinige Felswand hinter ihr, anstatt sich in meine Arme fallen zu lassen. Meine Lippen versiegelten sich wieder, ließen die melodischen Klänge verebben und meine Stirn legte sich in Falten. "Wie kann das sein?", hauchte ich nur, meine Fassungslosigkeit und Verwunderung kaum verbergen können. Ich zog mich nun nah an die felsige Kante seines Vorsprungs und stemmte mich in die Höhe, half mit meiner Schwanzfloss leicht nach. Nun schien auch Sylas zu begreifen was er vor sich hat und er entspannte sich ein bisschen - sehr komisch wo er doch einem Raubtier mit Vorliebe für Menschenfleisch gegenüberstand. "Eine Sirene", murmelte er und ging leicht in die Hocke, die Blicke meinen Schweifansatz unterhalb meines Bauchnabels musternd. Viel von den Schuppen wird er allerdings aufgrund des fehlenden Lichtes nicht erkennen können. Langsam wanderte sein Blick über meine bleiche Haut, die einzelnen Schuppen die an den Schultern und dem Schlüsselbein hervortraten, den Kiemen an meinem Hals, ehe sie erneut auf den Flossen hinter meinen Ohren verhangen. Er war wohl der erste Mensch der einen so genauen Blick auf eine Sirene werfen konnte - ungewollt, denn würde es nach mir gehen, würde ich meine Zähne in sein saftiges Fleisch hauen. Das könnte ich noch immer, denn viel schaffte er mir nicht entgegensetzen, wenn ich ihn jetzt einfach ins Wasser zog, doch irgendwie wollte ich nicht. Wo bliebe denn da auch der Spaß? Ich war zudem auch kein Barbar, der auf sein Fleisch angewiesen war wie ein verhungernder Hai. Hinterher konnte ich mich immer noch an ihm bedienen.  "Unfassbar... die Geschichten sind wahr", drückte er erneut sein Erstaunen in Worten aus. "Geschichten?", horchte ich mit geweckter Neugierde auf, neigte fragend meinen Kopf. Natürlich gab es Gerüchte, doch ich kannte kaum (aufgrund meines langen Aufenthaltes an einem Ort) welche. Ich ließ mich wieder ins angenehme Wasser gleiten, bis nur noch meine Ellbogen auf den Steinen lagen und ich darauf mein Kinn bettete. Ein Räuspern entkam ihm als er meine langen scharfen Fingernägel bemerkte, die gerade kleine Kreise auf dem Stein kratzten. Er erkannte wohl endlich, welche Gefahr von mir ausging, und seine Muskeln spannten sich wieder etwas an, gut erkennbar durch das angeschmiegte Hemd. "Naja, du weißt schon... Menschenfressende Unterwasser Monster mit dem Gesang so süß wie der einer Nachtigall", erklärte er grob und machte sich daran das Meer aus seinen Klamotten zu wringen. Ich beobachtete ihn dabei, würde aber keinen Finger rühren um ihm zu helfen. "Nachtigall?", hakte ich lieber nach und hob eine Augenbraue. Dieses Wort war mir unbekannt. War es etwas Gutes? Sein Gesichtsausdruck nahm erneut erstaunte Züge an durch die gefaltete Stirn, der erhobenen Braue und der fragende Blick. "Der Singvogel?", antwortete er in einer Tonlage die mich etwas nervte. Er tat so als wäre es Grundwissen jede einzelne Vogelart zu kennen. "Ich interessiere mich nicht wirklich für Federvieh", erklärte ich meine Unwissenheit schnippisch. Er brauchte ja nicht zu wissen, dass diese Aussage das genaue Gegenteil der Wahrheit war. Singvogel klang auch gar nicht mal so schlecht, und auch nicht falsch - erinnert man sich daran, welche meine stärkste Waffe ist.
Aber Monster? Entschuldigung?! Ich schnaubte einmal mit aufgeplusterten Wangen und aufgestellten Flossen, als mir so richtig bewusstwurde, als was er mich beleidigte. "Sehe ich für dich aus wie ein abscheuliches Monster?", fragte ich dann empört und sah ihm in die dunklen Augen. Das Schweigen brachte mich erneut zum schnaufen und ich stieß mich Schwunghaft von der Kante ab. Begreifend, dass seine einzige Chance hier raus zu kommen, verschwinden wollte, besann er sich auf seinen klaren Menschenverstand. "Natürlich nicht! Eher das Gegenteil!", wendete er hastig ein und erschleimte sich damit eine weitere Minute meiner wertvollen Zeit. Doch bei der nächsten dummen Bemerkung wäre ich weg, oder er würde doch noch gewaltsam verspeist werden. "Ich war nur verwundert wie viel Falschinformationen über euch kursieren... ", rechtfertigte er seinen Aussetzer, der ihm beinahe sein Leben kostete. Erneut wollte ich mich erkundigen was er damit meinte, doch so leicht wollte er es mir nicht machen. "Wie wäre es: Ich erzähle dir alle Gerüchte und Geschichten die man sich über euch auf der Welt erzählt und du lässt mich dafür gehen?", schlug er vor. "Und ich mein, ich muss es wissen... es gibt kaum einen Ort an dem ich noch nicht war, und man hört viel", versuchte er mich von sich zu überzeugen. "Hm... Ich überlege es mir", lächelte ich darauf nur verzückt. Es reizte mein Interesse und vielleicht finde ich auch heraus warum mein Gesang nicht auf ihn wirkte? Vielleicht wusste er ja wirklich noch etwas über Sirenen, dass ich nicht wusste.
So unwahrscheinlich war das nämlich nicht, denn Kontakt zu anderen Sirenen wird gemieden aufgrund der Rivalität des Futters.
Im Glauben es sei alles gesagt, wendete ich mich ab und wollte bereits wieder untertauchen. "Warte! Wohin gehst du?", wollte er beinahe schon panisch wissen. "Ich angel mir mein Abendbrot... wenn du nicht als dieses Enden willst?", schnurrte ich nur über meine Schulter, was ihn erneut verstummen ließ. "Du kommst aber wieder, oder?", harkte er nach um sich zu vergewissern, hier nicht zu verdursten, hörte sich dabei beinahe schon hoffnungsvoll an. "Hm... ich überlege es mir", wiederholte ich mit demselben Lächeln und tauchte ab um die Höhle zu verlassen.

Gem-Sirens [BL]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt