Ich habe das Gefühl, mein Herz bleibt kurz stehen. Das Rauschen in meinen Ohren wird lauter und lauter, in meiner Brust setzt ein beklemmendes Gefühl ein und raubt mir den Atem.
Scheiße, jetzt bloß keine Panikattacke kriegen! All deine Freunde haben es doch auch geschafft!
Langsam erhebe ich mich und bahne mir einen Weg durch die Reihe. Sehe die vielen erleichterten Gesichter, die nun wissen, dass sie nicht ausgewählt wurden. Dass sie nicht einberufen worden sind.
Der Mittelgang nach vorne zum Podium scheint endlos zu sein. Ich muss immer noch wie erstarrt aussehen, als ich die Treppe erklimme und wie in Trance vor Oberstleutnant Ahrend zum Stehen komme.
„Kopf hoch!“, flüstert er mir zu, bevor er seine Hand ausstreckt. „Herzlichen Glückwunsch Gefreite Brandt“.
Ich schüttle seine Hand mechanisch und gehe auf die beiden anderen Oberstleutnants zu. Die Frau schüttelt mir zuerst die Hand.
„Oberstleutnant Sherbaz, freut mich Sie kennen zu lernen“. Sie lächelt freundlich und überreicht mir meine Kette.
Der grimmige Kapitän neben ihr nickt mir nur kurz zu. „Oberstleutnant Moreau“. Das war’s. Ich reihe mich automatisch neben Rebecca ein und schaue mit Tränen in den Augen in Richtung der Menge.
„Bitte einen kräftigen Applaus für unsere neuen Offiziersanwärter“. Verhalten applaudieren die Leute, vereinzeltes Weinen dringt sogar bis aufs Podium zu uns hoch.
„Vielen Dank Oberstleutnant Ahrend“. Während Bürgermeister Osterwald wieder das Reden übernimmt, kommt Oberstleutnant Ahrend zu uns und nickt in Richtung des Rathauses.
Wir entfernen uns von der Ansammlung und verschwinden im Rathaus. Da es keine Klimaanlagen in den heutigen Zeiten gibt, ist es hier drin auch nicht wesentlich kühler.
Oberstleutnant Ahrend schaut uns einem nach den Anderen an. „Heute beginnt ein komplett neues Leben für euch“, sagt er und lockert seine Uniform ein wenig am Kragen.
„Gott ist das unbequem!“, mault er und grinst, als er unsere verdatterten Gesichter sieht. Oberstleutnant Sherbaz und Moreau lockern ebenfalls ihre Uniform.
„Keine Sorge, sowas tragen wir nur zu offiziellen Anlässen. Normalerweise laufen wir nicht so affig aussehend herum“.
Man merkt deutlich, wie sehr die Anspannung von allen abfällt. Mikko und Emma treten zu Rebecca und mir herüber.
„Ich sehe schon, es sind auch einige Freundesgruppen unter euch. Vergesst das gleich wieder. Ihr seid jetzt eine Einheit. Ein Team. Alle miteinander. Erst, wenn ihr die Prüfungen besteht und Kapitäne eurer eigenen Drachen werden solltet, löst sich dieses Team auf. Oder ihr einem Kapitän zugeteilt werdet, je nachdem was schneller eintritt“.
Florian hebt die Hand. Ich verdrehe leicht die Augen und versuche ein ‚Streber’ zurückzuhalten. Rebecca neben mir kichert leise los.
„Oberstleutnant Ahrend, ist das nicht sicher, dass wir eigene Drachen reiten werden?“, fragt er und irritiert schaut dieser ihn an.
„War der Kerl gerade nicht anwesend?“, fragt er seine Kollegen und die zucken bloß mit den Schultern.
„Was an meinen Erläuterungen haben Sie eben nicht verstanden? Sie müssen erst eine Prüfung ablegen, bevor Sie einem Drachen zugeteilt werden. Und von Vorteil wäre, wenn der Drache sie akzeptiert. Ansonsten kann es auch passieren, dass Sie einem Team zugeteilt werden. Das hängt ganz allein von Ihrer Leistung ab“.
Oberstleutnant Ahrend schaut auf seine Uhr. „Ihr habt nun noch etwa drei Stunden Zeit, euch von euren Familien zu verabschieden. Um Punkt achtzehnhundert fliegen wir zum Stützpunkt zurück“.
Als Oberstleutnant Ahrend die Hand zum Salut erhebt, machen wir es ihm gleich. Wir eilen alle fluchtartig aus der Rathaushalle und ich atme sofort die frische Luft ein.
„Kommst du gleich noch vorbei? Mama und Papa wollen sich bestimmt von dir verabschieden“. Emma legt mir mitfühlend die Hand auf die Schulter und ich nicke.
„Ich brauche nicht lange“.
Wir eilen alle in Richtung unserer Wohnungen. Als mich die Stille meiner empfängt, starre ich nachdenklich auf die gepackte Tasche. Es ist eine sehr kleine Tasche und alle meine Besitztümer befinden sich darin.Oh Gott, das kann doch alles nicht wahr sein. Wieso muss ausgerechnet ich ausgewählt worden sein? Reicht es nicht schon, dass ich seit fünf Jahren Waise bin? Das ich meinen Dienst mit Drachen leisten muss, die meine Eltern getötet haben?
Seufzend betrachte ich das Bild, welches als einzige Dekoration an der Wand hängt. Meine Eltern, die mich als Fünfjährige lachend herumwirbeln.Ich verstaue das Bild ebenfalls in meiner Tasche und kontrolliere nochmals, ob alles leer ist. Die Wohnung wird spätestens heute Abend von den Schergen des Bürgermeisters gereinigt und neu vergeben worden sein. Wohnraum ist rar.
Ich lege die Schlüssel auf die Anrichte und ziehe die Tür hinter mir zu. Ich senke den Kopf, um den Blicken der Nachbarn auszuweichen, die mich mitleidig anschauen. Ich würde sie eh nie wiedersehen.
Ich schultere die Taschen und bahne mir einen Weg durch die Stadt. Emmas Eltern leben am Rande der Innenstadt in einem kleinen Haus mit Garten. Meine halbe Kindheit habe ich hier mit ihrer Familie verbracht und gerade nach dem Tod meiner Eltern waren sie wie meine zweiten Eltern.
Emmas Mutter öffnet mir die Tür und nimmt mich schluchzend in die Arme. „Kaia meine Liebe, komm herein!“.
Kassandra führt mich in die Küche, in der Emma neben ihrem Vater Harald am Küchentisch sitzt. Auch er steht auf und nimmt mich in die Arme.
„Ihr Beiden müsst uns versprechen, dass ihr aufeinander aufpasst!“, sagt er und ich nicke. Emma lächelt zaghaft und ich nehme neben ihr Platz. Kassandra gibt mir ein Glas Wasser und auch etwas von ihrer köstlichen Reispfanne.
„Als kleine Stärkung“, meint sie und ich esse trotz meines kaum vorhandenen Hungers. Wer weiß, was wir demnächst erhalten werden.
Lange sitzen wir einträchtig nebeneinander und versuchen, nicht allzu oft auf die Uhr zu starren.
Aber irgendwann wird es Zeit. Kassandra will ihre Tochter kaum loslassen und auch Emma kullern die Tränen über die Wangen. Als ich mich von ihren Eltern verabschiede, spüre auch ich die Tränen rollen.
Ich nehme tief einatmend Emmas Hand und gemeinsam drehen wir ihrem Elternhaus den Rücken zu. Nicht wissend, wann wir das nächste Mal die vertrauten Wände erblicken werden.
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Love on fire
FanfictionWas wäre, wenn die Schauergeschichten wahr werden würden? Was wäre, wenn die Wirklichkeit nicht so schön ist, wie Geschichten es vermittelt haben? Was wäre, wenn die uns bekannte Zivilisation nicht mehr existiert? Drachen haben die Erde in ein Fl...