Kapitel 4

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Der Rathausvorplatz sieht total verändert aus und doch wie sonst immer. Die Stühle sind weggeräumt, alle Festlichkeit ist verschwunden.

Lediglich die Drachen, majestätisch wie eben schon, genießen sichtlich die Sonnenstrahlen und die Hitze. Alle haben die Köpfe auf den warmen Boden gelegt und das Brummen, welches aus ihren Brustkörben kommt, lässt die Erde vibrieren. Ein Reflektieren lässt mich genauer hinschauen und als ich die Ketten bemerke, die um die Drachenkörper gespannt sind, bleibt mir kurz die Luft weg.

Oh nein, das sieht aus wie ein Geschirr! Stahlharte Ketten, die durch verschiedene Ringe an verschiedenen Punkten miteinander verbunden sind. Ringe für Karabiner? Sofort fängt mein Magen bei dem Gedanken daran, zu rebellieren. Keiner von uns ist je geflogen.

Oberstleutnant Ahrend und seine Kollegen sitzen auf Klappstühlen vor ihren Drachen und unterhalten sich. Wir sind nicht die Einzigen, die etwas früher wie vereinbart da sind. Nur Mikko und Rebecca sind noch nicht da.

„Komm“. Emma zieht mich weiter und wir bleiben in sicherer Entfernung stehen. Die Drachen haben unsere Anwesenheit bemerkt und alle schauen mit einem Auge zu uns. Ihre Blicke sind … wachsam.

„Kommt ruhig näher!“. Oberstleutnant Ahrend winkt uns heran und vorsichtig nähern wir uns. Die Drachen lasse ich nicht aus den Augen.

Die anderen Teamkameraden folgen unserem Beispiel. „Schön, dass ihr pünktlich seid“.

Oberstleutnant Sherbaz lächelt freundlich und deutet auf Sicherheitsgurte, die neben ihr liegen. „Das sind alles Standardmaße, Sie müssten bitten die entsprechenden Einstellungen für die Passgenauigkeit selbständig vornehmen“.

Zögerlich nehmen wir uns alle einen und beginnen, das Konstrukt zu verstehen. „Hier die Beine?“, fragt mich Emma flüsternd und ich betrachte nachdenklich die Öffnungen.

„Macht Sinn. Und vorne dann vielleicht verschließen?“. Aus dem Augenwinkel bemerke ich die belustigten Blicke der Kapitäne, die uns beobachten.

„Wie junge, unerfahrene Welpen“, meint Oberstleutnant Moreau und Oberstleutnant Sherbaz kichert.

„Lass das, wir waren auch mal in der Situation“, flüstert sie und Oberstleutnant Ahrend grinst beide an.

„Wer wohl als Erster fertig ist?“. Als sie Münzen tauschen, laufe ich knallrot an. Sie wetten sogar auf uns.

„Okay, da gehören definitiv die Beine rein“, meint Emma und lächelt stolz, als sie so langsam den Gurt verstanden hat.

Ich folge ihrem Beispiel und als ich vorne die Karabinerhaken ineinander verschraube, muss ich erstaunlicherweise nicht mehr nachjustieren. Der Gurt sitzt bombenfest. Am vorderen Verschluss befindet sich ein straff aussehender weiterer Gurt, an dessen Ende ebenfalls ein Haken befestigt wurde. Mir schwant Übles.

„Ha, ich habe gewonnen“. Die beiden Kapitäne übergeben ihre Münzen murrend an Oberstleutnant Sherbaz und ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen. Wenigstens hat sie gewonnen.

Oberstleutnant Ahrend erhebt sich und deutet auf unsere Taschen. „Bitte legt sie alle auf einem Haufen zusammen. Einer unserer Drachen wird diese gleich in einem Bauchsack transportieren. Keine Sorge, die Taschen werden nicht verloren gehen“.

Als wir gerade die Taschen stapeln, kommen Mikko und Rebecca angerannt. Wie ich bemerke, gerade rechtzeitig vor der Zeit.
Florian Osterwald bemerkt sie ebenfalls und schnalzt missbilligend mit der Zunge.

„Wenigstens einmal im Leben seid ihr pünktlich“, meint er schnippisch und am liebsten würde ich ihm eine scheuern.

„Und wieso lassen Sie Ihre Kameraden so auflaufen? Macht es Ihnen Spaß, andere zu verpfeifen?“. Oberstleutnant Ahrend hat sich still und heimlich hinter Florian aufgebaut und erschrocken wirbelt dieser herum.

Das Funkeln, welches dieser Florian zuwirft, wirkt sehr wütend. „Sie sind hier nichts Besonderes. Ihre Position als Sohn des Bürgermeisters gehört der Vergangenheit an! Von nun an sind das Ihre Kameraden, Ihr Team. Ohne ein Team werden Sie die Prüfungen nie bestehen und werden nie eine Chance haben, auch nur jemals Kapitän zu werden. Haben wir uns da verstanden?“.

Florian wird von Wort zu Wort kleiner und nickt nur noch, mit beschämten Blick nach unten gerichtet.

Oberstleutnant Ahrend richtet seine Blicke auf uns. „Gut. Bitte verteilen Sie sich gleichmäßig, die Drachen haben noch eine weitere Strecke vor sich“.

Die Erde beginnt zu beben, als sich die Drachen nach und nach aufrichten und sich wieder hinstellen. Während wir wie verängstigte, kleine Mäuse stehen bleiben und die Prozedur mit großen Augen betrachten, schnallen die Kapitäne unsere Taschen unter Oberstleutnant Ahrends Drachen.

Danach klettern sie geschickt mithilfe ihrer Drachen hinauf in die Sättel und schnallen sich fest.

„Nur keine Scheu. Sie werden bald viel Zeit auf einem Drachenrücken verbringen“. Oberstleutnant Sherbaz lächelt wieder freundlich und Emma schaut mich kurz an.

Langsam treten wir vor und gehen auf ihren Drachen zu. Als dieser seine riesige hintere Pranke nach vorne zieht, beginnen wir nach oben zu klettern. Erstaunlicherweise finden unsere Schuhe sofort Halt auf den Drachenschuppen und die Wärme, die der Drachenkörper verursacht, steigt auf und fährt mir sofort in die Glieder.

„Einhaken bitte“. Wir suchen uns jeweils eine Öse, an der wir unsere Karabinerhaken anknipsen.

Unserem Beispiel folgend suchen sich die Verbliebenen ebenfalls einen Kapitän und Drachen aus, mit dem sie fliegen wollen. Es überrascht mich in keiner Weise, dass bei Oberstleutnant Moreau kaum jemand mitfliegen will. Mikko und Rebecca haben sich aber getraut.

„Bitte besser verteilen, sonst brauchen wir länger“. Als einige Sekunden verstreichen und sich keiner rühren will, werfe ich einen Blick zu Mikko und Rebecca, die Emma und mich flehend ansehen.

Mein Blick huscht weiter zu Oberstleutnant Moreau, der grimmig die Stirn runzelt. Und zu seinem Drachen, der ebenfalls seinen Kapitän anschaut. Als ich einen Anflug von Mitleid über dessen Züge huschen sehe, legt sich bei mir wie ein Schalter um.

„Moment“, sage ich, knipse mich wieder ab und klettere geschwind hinunter. Emma folgt mir ebenfalls und schnell klettern wir an der dargebotenen Pranke des Drachens hinauf. Mikko und Rebecca haben sich direkt hinter Oberstleutnant Moreau eingehakt.

„Besser. Dann wollen wir mal!“. Als sich der Drache unter mir anfängt zu bewegen, halte ich mich automatisch krampfhaft am Geschirr fest. Dabei sind wir noch nicht einmal losgeflogen.

Als der Drache von Oberstleutnant Ahrend mit einem gewaltigen Satz in die Luft springt und wild mit den Flügeln schlägt um an Höhe zu gewinnen, wirft uns der Luftstrom leicht zurück. Meine Haare wirbeln sofort am Pferdeschwanz durcheinander und der Luftdruck lässt meine Ohren leicht knacken.

„Festhalten“, ruft Oberstleutnant Moreau für alle nach hinten, die sich noch nicht so krampfhaft festhalten wie ich und ich spüre die Muskelberge, die sich unter mir anspannen. Der Drache breitet schnell die Flügel aus, geht leicht in die Hocke und springt mit einem gewaltigen Satz hoch in die Luft. Während seine kräftigen Flügel immer mehr Höhe gutmachen, rebelliert mein Magen prompt und ich versuche das aufkommende Gefühl der Übelkeit zu unterdrücken. Bloß nicht brechen, bloß nicht vor Oberstleutnant Moreau!

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