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Ein mulmiges Gefühl beschlich mich als ich aus der Bahn ausstieg. Im zögerlichen Tempo lief ich die Straße hinauf zum Gebäudekomplex, worin sich seine Wohnung befand. "Bin gleich da", schrieb ich ihm während des Hinlaufens.

Ich schaute auf die Uhr meines Smartphones: 17:52. Noch Zeit durchzuatmen. Ich wusste nicht wieso das überhaupt so ein großes Ding war. Ich meine er war eben etwas weird und wir haben uns eine Woche lang danach nicht mehr kontaktiert... Aber ist das nicht normal so unter Freunden? Freunden... Als dieser Begriff in meinen Verstand kam, wurde mir etwas mulmig. Ich nahm einen tiefen Atemzug. Ein... Aus... Schüttelte mich kurz durch. Dann verpasste ich mir eine links und rechts und führte die restlichen zwanzig Meter ein bisschen Peptalk mit mir selbst:

"Komm schon Neece, du kannst daaaas. Ich meine, was ist schon groß dabeeei... Er war eben ein bisschen abweisend und hat dabei ein bisschen wie Gollum ausgesehen... Ich meine eigentlich voll witzig wenn man sich tatsächlich Gollum vorstellen würde... Aber dafür sieht er viel zu gut aus... Naja egal -" Ein alter Opa kam gerade aus der Tür und hielt sie mir auf. Mit angestrengtem Gesicht versuchte er meiner Konversation einen Sinn zuzuschreiben. "Danke", meinte ich nickend zu ihm und führte meinen Monolog fort: "Najaaaa... und dann habt ihr halt den ganzen Rückweg 14 Stunden lang einfach nicht mehr miteinander geredet.... Ich meine ist das nicht normal? Dass man nach einer Reise einfach kaputt ist und kein Bock mehr hat? Warum ist das denn jetzt so ein großes Diiiing?" Ich ignorierte das hörbare Hallen im Flur während ich die Treppen zu seiner Wohnung aufstieg und mein Hals sich immer mehr zuschnürte.

Wieso war mir das so wichtig? Ich meine es war eigentlich doch nur eine Belanglosigkeit oder nicht? In Gedanken verloren drückte ich auf den Schalter mit der Aufschrift "Pfeiffer". und nochmal , und nochmal und nochmal und nochmal und hörte nicht auf als ich schwere schnelle Schritte auf mich zukommen hörte.

Bis mir schließlich ein Strahlemann die Tür öffnete. Etwas außer Atem lächelte er mich im Türrahmen stehend an und brachte ein freundliches "Hi, da bist du ja" heraus. Währenddessen schaute ich bestimmt eine halbe Minute richtig lost auf die von seiner Brust abperlenden Wassertropfen , welche sich zu einem vereinten und dann seinen nackten Oberkörper herunter zu seiner Hüfte flossen, um die ein weißes Handtuch locker gewickelt war. Mein Kopf folgte meinem Blick, bis ich mich selbst aus der Trance befreite, zu ihm hochguckte und ein unbeholfenes und kehliges "Hi" erwiderte. Dabei erkannte ich, dass er mich mindestens genauso verloren betrachtete und vor sich hinlächelnd geduldig auf meine Reaktion gewartet hat. Sehe ich da etwa rote Ohren?

"Ehm... Kann ich rein?", fragte ich zackig und gestikulierte dabei mit meinen zwei Zeigefingern in Richtung des Inneren seiner Wohnung. Als er nicht antwortete haute ich noch ein ungeschicktes extrem gestelltes breites Lächeln obendrauf, welches dem der Grinsekatze aus Alice in Wonderland ernsthafte Konkurrenz bereitete. Dies schien ihn aus seinem Tagtraum zu holen und verlegen antwortete er mir mit "Oh. Ja klar. Komm rein." und hielt sich den Nacken währen der zur Seite trat um mich hineinzulassen.

Er hatte also gerade geduscht... Alright. Ich schaute ein letztes mal auf mein Handydisplay, welches 17:56 anzeigte, bevor ich es in meine Hosentasche steckte und Ausschau nach einem Wohnzimmer hielt. Währenddessen zog ich meine Schuhe aus und legte diese auf das dafür vorgesehene Regal.

Mir kam es so vor, als wäre ich das erste Mal in seiner Wohnung. Obwohl ich weiß dass ich hier schonmal war, aber sind wir mal ehrlich: Viel ist vom letzten Mal nicht in meinem Hirn geblieben. Ich war da sturzbesoffen und wusste nicht mal wie ich überhaupt hingekommen bin. Und als ich gegangen war, war ich zwar nicht mehr besoffen, dafür mit Packgedanken beschäftigt. Umso mehr freute es mich hier mal nüchtern aufzutauchen und mich umsehen zu können. Die Art wie jemand wohnt sagte nunmal das meiste über seinen Charakter aus.

Das erste was mir auffiel waren kleine Wackelkopffigürchen auf der Kommode im Flur. Darunter war auch die eine aus England zu finden. Ich stupste alle 5 auf einmal an, welche jetzt fröhlich auf der hölzernen Kommode vor sich hinwackelten. Das brachte in mir ein kleines Schmunzeln hervor, welches offensichtlich nicht an Tim vorbeigegangen ist.

Mit einem Handtuch bekleidet stand er mit etwas Abstand neben mir und lächelte aufrichtig dabei wie ich Gefallen an den kleinen wackelnden Köpfchen fand. Als ich zu ihm schaute sah ich sein strahlendes Zahnpastawerbung-Lächeln und grinste verloren vor mich hin. Er schien immernoch auf die Figuren zu schauen.

"Willst du dich nicht anziehen oder so?", fragte ich belustigt nach. Seine Augen leuchteten wie ein dreijähriges Kind das ein neues Spielzeug bekommt. Das löste ihn scheinbar aus seinem Tagtraum und er ging an mir vorbei ins Bad, während er immer wieder zu mir zurückschaute. "Ich bin noch nicht verschwunden, keine Sorge", witzelte ich, was nicht half, da er so lange zurückschaute bis er die Tür schloss und mich dabei verloren anlächelte. Etwas verwirrt steppte ich vor den großen Spiegel in seinem länglichen Flur welche einen wunderschönen Holzrahmen hatte. Ich konnte nicht anders als diesen mit meinen Fingern nachzufahren.

Als ich damit fertig war schaute ich mich im Spiegel an. "Helluuuuuuuuuuu", begrüßte ich mich selbst während ich eine Grimasse zog und mich zusammenkrümmte wie ein Nagetier. Ich hatte eine schwarze Jeans an mit einem grauen, weichen Strickpulli und darunter ein Top. Eine Handtasche oder ähnliches hatte ich nicht dabei, da ich es hasste mit diesen rumzulaufen. Eigentlich sah ich ganz gut aus. Unter dem Oversize-Strickpulli konnte man nicht erkennen dass ich ein menschliches Blobb geworden bin.

Ich versuchte mein Handy herauszuholen um ein Bild von mir zu machen. Das musste für Zukunftsneece festgehalten werden. Mal ehrlich? Wieso sind die Taschen von Frauenhosen eigentlich so VERFICKT KLEIN?! Ich hatte Probleme damit mein Handy aus der vorderen Hosentasche heraus zu friemeln, da es auch nur gerade so knapp reinpasste. Frustriert ließ ich es sein und schaute mich weiter in seiner Wohnung um, während im Bad das Geräusch eines Föns ertönte.

War seine Wohnung aufgeräumt oder nicht? Ich wusste es nicht. Sie sah in einigen Zimmern, wie in der Küche und im Wohnzimmer so aus, als hätte alles eine Ordnung und wurde blitzblank geputzt. Allerdings konnte man dies von seinem eigenen Zimmer nicht behaupten. Beziehungsweise seinem Schlafzimmer. Das letzte mal wo ich hier war, konnte ich mich noch wage dran erinnern, wie es aussah. Es schien so, als hätte er es umgestellt. Dies konnte man auch anhand der Möbelabdrücke auf dem Teppich erkennen.

Prompt bemerkte ich, wie wenig ich noch über diesen Menschen wusste. Ich hätte ihn nie so eingeschätzt wir jemand der sein Zimmer umstellen würde. Sich gut verstehen war wohl die halbe Miete, jedoch offensichtlich nicht alles. Es ist sehr skuril, denn in gewisserweise hatte seine Einrichtung ein Muster, hinter das ich nicht steigen konnte. Ich ging in sein Schlafzimmer setzte mich auf sein Bett. Ok nein ich schmiss mich da komplett drauf und kuschelte mich in die Decke ein, als ich merkte wie gemütlich es ist.

Jedes seiner Zimmer hatte ein eigenes Motto. Aber es wurde sehr darauf geachtet die selben edlen hölzernen Möbel zu verwenden. Sein Bett jedoch war ein Palettenbett, womöglich 1,40 mal 2 Meter. Hatte er zu viel Geld oder sowas? Meines Wissens nach sahen seine Eltern so aus wie Menschen die etwas mehr Geld hatten, aber wie zum Teufel konnte man sich SO eine Einrichtung aus Massivholz leisten und dan in nem Palettenbett pennen?

Und vor allem: Wie besoffen war ich eigentlich das letzte mal um sowas nicht bemerkt zu haben? Ist ja n Unding. Ich hätte schwören können, dass er ein schwarzes ledernes Doppelbett hatte.

Speakin of which... Während ich verloren mein Gesicht zu dem eines Wildschweins mutieren ließ durch Zusammenziehen, hatte ich vollkommen ausgeblendet dass neben mir im Türrahmen ein leicht assitoastervibe verstrahlender, muskulöser Mann im pinken Pulli und Jogginghose stand.

Neece 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt